Gladbeck.
Die Geschichte der Juden in Gladbeck reicht, historisch betrachtet, nicht weit zurück. Sie ist geprägt von nur wenigen Höhen und zahlreichen Tiefschlägen und persönlichen Tragödien. Und erst lange Zeit nach dem 2. Weltkrieg entsteht neues jüdisches Leben.
Vor rund zweihundert Jahren, genau 1812, kam Nathan Moises als erster Jude nach Gladbeck. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts war das Ansiedlungsverbot für nicht katholische Menschen im Vest Recklinghausen abgeschafft worden. Das ermöglichte Nathan Moises den Zuzug ins Kirchspiel Gladbeck. Er hinterließ nicht viele Spuren. Übermittelt ist, dass er heiratete und seine Frau Carolina die Töchter Rosina und Regina gebar. Dennoch, Nathan Moises ging als der erste Jude in Gladbeck in die Stadtgeschichte ein.
In den folgenden Jahren zogen einige jüdische Familien aus dem Umland nach Gladbeck. Die wenigen jüdischen Männer waren beruflich in ihren Möglichkeiten noch beschränkt. Erst das 1847 in Preußen erlassene Gesetz über die Verhältnisse der Juden eröffnete neue Möglichkeiten der Entfaltung. Im Gesetz heißt es, dass Juden „soweit dieses Gesetz nicht ein anderes bestimmt, im ganzen Umfang Unserer Monarchie neben gleichen Pflichten auch gleiche bürgerliche Rechte mit Unseren christlichen Untertanen zustehen.“ Auch das religiöse Leben war erleichtert worden. Synagogengemeinden durften gebildet werden. Die standen zwar unter staatlicher Aufsicht, durften sich aber selbst verwalten. Eine erste Gemeinde entstand in Dorsten. Zu dieser gehörten fortan auch die Gladbecker Juden.
Die Fluktuation unter den Gladbecker Juden war groß, denn die ökonomische Situation war für sie wenig attraktiv. Erst mit der Industrialisierung änderte sich dies. Mit den Zuwanderern aus dem Osten kamen vor allem nach der Jahrhundertwende osteuropäische Juden nach Gladbeck. Nur einige Jahre zuvor noch lebten lediglich einige jüdische Kaufmannsfamilien hier. Im Jahr 1910 verzeichnete man in Gladbeck 97 Juden.
Langsam etablierte sich das jüdische Leben am Ort. Ein wichtiges Zeichen war die Einrichtung eines jüdischen Friedhofes, der auf Bitten von Fridolin Zwillenberg entstand. Er untermauerte seine Bitte mit einem Gutachten des Rabbiners Dr. Marx, der hierin vor allem einen Beitrag zur Integration sah, und empfahl eine solche Begräbnisstätte, um „mit der Aufnahme sämtlicher Konfessionen wenigstens im Tode ein mahnendes Bild des Friedens“ zu zeigen. Der 1909 beschlossene jüdische Teil des kommunalen Friedhofs wurde ein Integrations-Symbol.
Zur selben Zeit genehmigte die Synagogengemeinde Dorsten eine Untergemeinde in Gladbeck und Bottrop. Ihr erster Vorstand war ab 1911 der Kaufmann Phöbus Perl. Und nur drei Jahre später fasste die Gemeinde den Bau einer eigenen Synagoge ins Auge. Kurz vor dem ersten Weltkrieg erwarb man einen Bauplatz im Gladbecker Ortskern und reichte die Baupläne ein. Doch der Kriegsausbruch verhinderte den Baubeginn. Allerdings gab es seit Mitte der 20er Jahre - man zählte gut 300 Juden in Gladbeck - einen Bet- und Unterrichtsraum im Hause von Max Kaufmann.
Die Juden waren fester Bestandteil der Gladbecker Gesellschaft. Sie waren Mitglied in wichtigen Vereinen, engagierten sich auch in der Politik. Nach dem Krieg, 1924, wurde Julius Callmann in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Er lebte schon seit 1903 in Gladbeck und war Kaufmann von Beruf. Callmann engagierte sich vor allem für soziale Belange von Rentnern und Kriegsgeschädigten und zeichnete sich durch große Gewissenhaftigkeit aus: Als er 1929 die Stadtverordnetenversammlung verließ, war er der einzige Stadtverordnete, der an allen 36 Sitzungen teilgenommen hatte.
Die Zeit des Nationalsozialismus warf ihre Schatten voraus. Bereits Ende der 20er Jahre nahmen antisemitische Tendenzen zu. Schon 1929 wurde der jüdische Friedhof von zwei jungen Männern verwüstet. Und seit Beginn der 30er Jahre trat die NSDAP in Gladbeck antisemitisch auf. Eine erste offene Aktion gegen Juden war im April 1933 der Boykott jüdischer Geschäfte. Die Juden sollten an den Rand der Gladbecker Gesellschaft gedrängt werden, besser noch, hinaus. Es wird berichtet, dass im Sommer 1933 ein älterer Herr von Nazis über den Marktplatz getrieben wurde. Ein Schild um seinen Hals trug die Aufschrift: „Ich bin eine jü-dische Sau und ein Mädchenschänder.“ Ein Jahr später wiederholte sich eine solche Tat. Die SA trieb Juden durch die Stadt. Dabei sang sie: „Spritzt vom Messer Judenblut, geht es uns noch mal so gut.“
Im August 1935 verabschiedete der Rat der Stadt Gladbeck ein 11-Punkte-Programm zur „Bekämpfung des Judentums“. Der Maßnahmenkatalog enthielt eine Schärfe, die damals ihrer Zeit voraus war. Mit dem Beschluss, Schilder am Ortseingang aufzustellen, Juden seien in Gladbeck verboten, verstieß man sogar gegen Verbote des Regierungspräsidenten und der Partei.
Das gesellschaftliche Klima veranlasste viele Gladbecker Juden, die Heimat zu verlassen. Die jüdische Gemeinde in der Stadt löste sich auf.
Hintergrund zur Serie:
Anlässlich der Woche der Brüderlichkeit in der kommenden Woche erinnert die WAZ Gladbeck in einer Serie an das jüdische Leben in der Stadt. Täglich erscheint eine Folge. In weiteren Folgen geht es u.a. um die die schrecklichen Jahre zwischen 1938 und 1945, den jüdischen Friedhof in Gladbeck, umd das jüdisches Leben heute und um persönliche Erinnerungen von Gladbeckern.