Gladbeck.
Scheiden verbindet: Der Scheideweg macht seinem Namen alle Ehre: Er trennt Zweckel von Scholven, Gladbeck von Gelsenkirchen. Aber die Zwei-Städte-Straße verbindet auch, lässt die Ortsteile dies- und jenseits der Stadtgrenze zusammen rücken.
Der Scheideweg - eine ganz besondere Straße der Stadt. Historisch ist der Scheideweg eine alte Wegeverbindung von Zweckel nach Bülse und weiter nach Buer, die zunächst namenlos war. Er folgt auf seiner ganzen Länge von knapp 1,5 Kilometern exakt dem Grenzverlauf zwischen den Städten, der genau genommen an der Bordsteinkante der Gladbecker Seite liegt. Die früheste Namenserwähnung findet sich im Gladbecker Kataster im Jahr 1911. Der Scheideweg beginnt an der Bohnekampstraße und verläuft zunächst Richtung Süden. An der Ecke Tunnelstraße knicken Stadtgrenze und Scheideweg nach Südosten ab. Kurz hinter der Bülser Straße - nahe der Gaststätte „Zur Erholung“ - geht der Scheideweg in die Zweckeler Straße über und endet dort.
Etwa 2000 Menschen wohnen dies- und jenseits der Stadtgrenze am Scheideweg. Im Alltag der Scheidewegler spielt die Grenze keine große Rolle. Hildegard Tempel und Doris Biering - die eine aus Gladbeck, die andere von gegenüber aus Gelsenkirchen - sind der lebende Beweis: Seit Jahr und Tag führen die beiden Freundinnen gemeinsam ihre Hunde Henry und Trixi aus. „Hin und her über die Grenze, ein Problem macht das nicht.“
Probleme bereiten da schon eher die Hausnummern: Während Gladbeck mit seinen geraden Hausnummern im Westen beginnt, tut dies Gelsenkirchen mit den Ungeraden ganz im Osten. Das hat zur Folge, dass die Nr. 1 gegenüber der Nr. 180 liegt.„Das ist schon manchmal nervig, wenn die Leute nach den Hausnummern fragen“, berichtet Friseurin Anja Baraniak, die einen kleinen Salon auf Gelsenkirchener Seite des Scheidewegs betreibt. Ansonsten gebe es keine Probleme an der „Grenze“: Sie schneide auch Gladbeckern das Haar, „und es kostet auch nicht mehr“. Kundin Roswitha Pauwels bestätigt dies: Sie komme von drüben, „aber das ist doch wie eins“.
Heimatvereinschef Heinz Enxing erläutert die Kuriosität mit den Hausnummern: „Da haben sich die Städte nicht einigen können, wo man an-fängt zu zählen.“ Am Ende taten sie es, wie sie es immer tun: Die Nummerierung verläuft stadtauswärts. Nur, dass das entgegensetzt der Fall ist. Ein weiteres Kuriosum ist das Parken am Scheidewg: Meist stehen die Autos so, wie es sich gehört: mit GE-Kennzeichen links, mit RE-Schild rechts...
Für Ursel Winterfeld, wohnhaft im letzten Haus an der Tunnelstraße, sozusagen dem letzten „Außenposten“ vor dem Scheideweg, ist die Stadtgrenze kaum spürbar. „Wir liegen zwar am Rand der Stadt, aber irgendwie auch mittendrin.“ Anna Dreisewerd erinnert sich dagegen, dass es am Anfang, als sie hierher gezogen sei, „schon ein bischen ko-misch war, mit dem einen Bein in Gladbeck, mit dem anderen in Gelsenkirchen zu stehen, wenn man an dieser Straße wohnt. Aber man gewöhnt sich daran.“ Sabine Schmidt, die auf Gelsenkirchener Seite wohnt, kann sich allerdings nicht daran gewöhnen, dass sie, wenn sie mit dem Bus nach Buer will, einen höheren Fahrpreis zahlen muss, nur weil sie beim Buseinstieg die Stadtgrenze überschreitet...
Für Jürgen Sankalla die ist die Grenze „Alltag, kein Thema“, auch wenn er zum Einkaufen immer in die Nachbarstadt geht - zum Lidl gegenüber. Rolf Salewski weist auf Alltäglichkeiten hin, wie es sie nur hier gibt: Zweimal Müllabfuhr, zweimal Straßenreinigung, zweimal Post - „jede Stadt macht ihre Seite“. Nur bei Polizeieinsätzen gibts mit-unter Diskrepanzen, sagt Jürgen Sankalla, je nachdem wer wohin gerufen wird. Übrigens liegen im Scheideweg auch zwei Kanäle, alles muss seine Ordnung haben. Wie bei den Straßenschildern: In Gladbeck sind sie blau-weiß, in Gelsenkirchen weiß-schwarz.
Als eine Art Grenzposten könnte man den Gladbecker Kiosk Schmidt sehen. „Die Kunden kommen von beiden Seiten“, weiß Gabriele Haubold. So überrascht es nicht, dass sie, die in Gelsenkirchen parkt und in Gladbeck arbeitet, auch zwei WAZ-Ausgaben verkauft: die aus Gladbeck und die aus Buer. Globalisierung - auch am Scheideweg.