Eigentlich war die Frischzellenkur längst fällig, umso intensiver fällt die „Mobilisierung“ nun aus. Die Rede ist von der mehr als 40 Jahre alten Europabrücke, die derzeit komplett saniert wird. Die WAZ war zu einem Baustellenrundgang vor Ort.
Die Sanierung ist ein aufwendiges, vielschichtiges und oftmals millimetergenaues Unterfangen, das seine Zeit braucht, am Ende aber die Europabrücke so gut wie neu erstrahlen lässt. „Dann hält sie mindestens noch einmal 40 Jahre“, sind sich Britta Pleiss, die zuständige Abteilungsleiterin im städtischen Ingenieursamt, und der städtische Projektleiter Lars Neubauer sicher, mit denen sich die WAZ traf.
Sechs Millionen Euro nimmt die Stadt - mit Hilfe des Landes - in die Hand, um Gladbecks mit 286 Metern längstes Brückenbauwerk in Schuss zu bekommen. „Das Abwarten ging nicht auf Kosten der Sicherheit“, betonen die beiden Experten. Vielmehr sei der Zustand der Brücke viel länger als üblich gut gewesen und habe so den städtischen Geldbeutel geschont.
Nun aber war die Instandsetzung unausweichlich. Sie teilt sich in zwei große Bereiche: Ersatz aller Verschleißteile und Ergänzungen im statisch-konstruktiven Bereich.
Der erste Bereich ist der umfangreichere, auch der sichtbarere Teil, bei dem die Brücke im Grunde „ausgezogen“ und der Rohbauzustand wieder hergestellt wird. Auf der Nordseite wurde damit begonnen: Asphalt, sämtlicher Beton und die dicken Kappen des Bürgersteigs wurden und werden per Wasserhochdruck weggesprengt. Insgesamt werden (inkl. Südseite) 750 Kubikmeter Beton abgetragen. Quadratmeter für Quadratmeter wird anschließend der Rohbeton mit Spezialmörtel bearbeitet, vor allem, um Unebenheiten auszugleichen, erläutert Britta Pleiss. Das passiert in dem gelb-weißen Zelt, das im Moment mitten auf der Brücke steht, aber täglich ein Stück weiter „wandert“. Es schützt vor Regen (und Schnee), aber auch vor Frost, da es leicht beheizt werden kann, um die Arbeiten, die nicht unter 5° ausgeführt werden dürfen, fortsetzen zu können. Nach den Mörtelarbeiten komme zur Abdichtung eine wasserfeste Folie und eine bituminöse Schicht auf den Unterbau, schließlich der neue Asphalt - immerhin 4300 qm.
Komplett erneuert werden auch die Übergänge zwischen den Widerlagern und der Brückenfahrbahn. „Statt Stahlplatten gibt es künftig einen Lamellenübergang“, erklärt Lars Neubauer, eine hartgummiartige Abdeckung. All diese Arbeiten seien nötig, damit kein Wasser an und in den Stahlbeton dringt. „Das würde zu grundsätzlichen Schädigungen führen.“ Vollständig erneuert werden die Geländer der Brücke (675 Meter), vor allem aber auch der Berührungsschutz, der vor unerlaubtem Kontakt mit den Oberleitungen der Bahnlinie bewahrt. Der bisherige Beton-Balkon kommt weg, dafür wird eine mannshohe, bruchsichere und transparente Kunststoffwand installiert - immerhin über 82 Meter. Ersetzt werden zudem sämtliche Abwasserrohre (600 Meter) und alle 22 Gullys.
Der zweite Bereich der Sanierungsarbeiten führt unter die Brücke - und in sie hinein. Unter der Brücke befinden sich die Hohlkästen, zwei parallel nebeneinander pro Brückenseite. In sie werden zur „zusätzlichen Ertüchtigung“ der Brücke, so Pleiss, pro Seite drei weitere Stahlseile eingezogen. „An einem Stück, versteht sich, zwischen 269 und 280 Metern lang“, so Polier Thomas Mickels von der Baufirma Schäfer.
Pleiss: „Das erhöhe die Tragfähigkeit der Spannbetonbrücke.“ Jedes dieser drei Stahlseile, erläutert Mickels, besteht aus 16 einzelnen, fingerdicken Seilen, die gemeinsam eine PVC-Ummantelung haben.“ 33,5 Tonnen wiegt das Ganze.
Im nächsten Frühsommer will man mit der Nordseite fertig sein, dann wird gewechselt. Etwa im August 2012 soll die Brücke komplett fertig sein.
Recht spektakulär wird eine der Sanierungsarbeiten sein, die sich unterhalb der Brücke abspielt: Wenn die Lager zwischen Brückenpfeilern und Brücke ausgetauscht werden, muss dafür die Brücke jeweils für geraume Zeit um einen Zentimeter angehoben werden. Jeweils zwei parallel und mit einem Querträger verbundene Pfeiler werden gleichzeitig angehoben. „Das alles passiert unter Verkehr“, so Polier Thomas Mickels. Nach oben gedrückt wird die Brücke per 2000 bar Wasserdruck. Für die Hydraulikmaschinen wurden bereits eigens Hilfsfundamente neben den kreisrunden Pfeilern gegossen.
Im übrigen sind die neuen Lager höher als die derzeitigen. Das bedeutet, dass die Pfeiler um den Unterschied abgetragen werden müssen. „Das ist Millimeterarbeit.“ Anfang des kommenden Jahres wird die Firma Schäfer mit diesen Arbeiten beginnen.
Die Lager der Europabrücke werden zum ersten Mal erneuert, damit haben sie 15 Jahre länger gehalten als üblich, so Lars Neubauer. Das Gleiche passiert auch an den Widerlagern, wo die Arbeit wegen der zunehmend engeren Räumlichkeiten komplizierter wird, so Mickels.
Daten und Fakten zur Brücke
Die Europabrücke wurde 1966/67 für 11,4 Mio DM als Spannbetonbrücke errichtet. Sie liegt zwischen 8 und 10 Metern über Grund und überspannt im leichten Bogen die Bahngleise am Bahnhof West und die Möllerstraße.
Die Brücke ist 286 Meter lang, 28 Meter breit und hat eine Fläche von 8010 qm.
Bei den Sanierungsarbeiten werden 750 cbm Beton abgetragen, 4300 qm Fahrbahnbelag saniert, 600 Meter Entwässerungsleitungen ausgetauscht und 675 Meter Brückegeländer erneuert.
Die voraussichtliche Bauzeit beträgt zwei Jahre, die Kosten betragen rd. 6 Mio €.
Geplanter Fertigstellungstermin: August 2012.