Gladbeck. .
Die diffamierenden Äußerungen der Jungen Union über sozial Schwache im Zusammenhang mit der Einführung eines Sozialtickets haben für viel Empörung und Reaktionen gesorgt. Hat Sarrazin hier Pate gestanden?
Ist jedes Mittel recht, wenn es dem Zwecke dient? Die Frage musste gestellt werden bei Thilo Sarrazins provokanten Äußerungen und beleidigenden Thesen über Migranten im Zusammenhang mit der Integrationsproblematik. Und sie stellt sich, ganz lokal, im Hinblick auf die diffamierenden und unpassenden Äußerungen der Jungen Union über Hartz-IV-Betroffene und Sozialhilfeempfänger, die mit einem Sozialticket für öffentliche Verkehrsmittel mobiler sein könnten. Anstoßen wollte die JU nach eigenen Worten von Holger Winterfeld mit den bewusst provozierenden Äußerungen „eine Debatte über die Verteilungsgerechtigkeit in der Gesellschaft“. Erreicht haben die Nachwuchs-Politiker einen empörten Aufschrei und scharfe Reaktionen linker und grüner Politiker - die SPD hat sich merkwürdigerweise nicht zu Wort gemeldet - und blankes Entsetzen bei von Arbeitslosigkeit Betroffenen ausgelöst, die als leistungsscheue Sozialschmarotzer hingestellt wurden.
Was kommt als nächstes?
Jetzt fragt man sich: Muss die Jugendorganisation der CDU zu solchen Mitteln greifen, um gehört zu werden? Das wäre schlimm und ist sicherlich nicht so. Oder, schlimmer noch, stellt sich die Frage, ob Sarrazin und der von ihm ausgelöste mediale Hype hier quasi Vorbild ist und gar Schule machen könnte? Was kommt dann als nächstes? fragt man sich bang. Welche Mitglieder der Gesellschaft bieten sich noch als Opfer an, die beleidigt und verunglimpft werden können, um eine Debatte anzustoßen?
Hoffentlich kommt es dazu nicht. Vielleicht hat die Junge Union bereits begriffen, dass der Schuss nach hinten los ging. Debattiert wird nicht über die Frage, ob ein Sozialticket sozial gerechtfertigt ist, sondern über die erschreckende Sozialkälte der jungen Politiker, die in Person von Holger Winterfeld als Ratsherr die Politik dieser Stadt mitgestalten. Einer Stadt, in der 40 Prozent arm sind oder an der Armutsgrenze leben.
CDU-Stadtverband liest Jugend die Leviten
Auch in der eigenen Partei wurde über diesen JU-Vorstoß debattiert, und man ist im Vorstand mehr als unglücklich über die unpassenden Äußerungen des Nachwuchses. Ergebnis: Eine sachlich abgefasste Pressemitteilung des CDU-Stadtverbands, in der die „Einführung eines Sozialtickets im VRR nach intensiven und kontroversen Beratungen als unverantwortlich abgelehnt“ wird, weil die „ausufernde Schuldenpolitik voll zu Lasten der jüngeren Generationen geht“. Denn auch wenn den Städten und Kreisen keine zusätzlichen Kosten entstünden, trage doch der Steuerzahler die Last. Verklausuliert lesen die „Alten“ in der CDU aber auch der eigenen jüngeren Generation die Leviten: „Anlass für die Beratung war die aufgeheizte und in weiten Teilen unsachliche öffentliche Diskussion der letzten Tage . . .“ Der Zweck heiligt eben nicht alle Mittel!