Gladbeck. Im Wittringer Wald kreiste wieder die Säge. War das nötig? Oder ging es um Profit? Eine Tatortbegehung mit den vermeintlichen „Baumschlächtern“.
„Man sollte die Bürgerinnen und Bürger nicht für dumm verkaufen und ihnen immer wieder erzählen, dass die Bäume krank sind, die man fällt, sondern auch klar benennen, dass mit dem Holz aus den kleinen Wäldern, die wir haben, Geld verdient wird.“ Eindeutige Worte, mit denen sich eine Leserin an unsere Redaktion gewandt hat. Ihr waren die am Wegesrand gelagerten wuchtigen Baumstämme schmerzlich aufgefallen, die sich im Wittringer Wald derzeit meterhoch auftürmen. Deren Durchmesser lässt auf mindestens hundert Jahre alte Bäume schließen.
Waren diese Fällungen wirklich nötig? Und was ist am Vorwurf der Geldmacherei dran? Wir haben uns mit Vertretern des Zentralen Betriebshofs Gladbeck (ZBG) vor Ort verabredet. Hier erklären Sie, warum sich die Bürgerinnen und Bürger an den Anblick frisch gefällter Baumriesen wohl gewöhnen müssen.
Außen augenscheinlich gesund, innen von Fäule zerfressen
Tatort Nummer Eins liegt direkt hinter dem Lokal Bauer Wilm‘s. Bis vor kurzem spendete hier noch eine mächtige Eiche den Gästen im Außenbereich Schatten. Ralf Nolte, Sachgebietsleiter Baumschutz beim ZBG, beugt sich herunter und bricht mit der Hand ein Stück Holz aus dem übrig gebliebenen Baumstumpf. Helle Stellen durchziehen gut sichtbar das Kernholz im Inneren. „Das ist Weißfäule“, erklärt der Fachmann, Folge eines Pilzbefalls, der von den Wurzeln aus langsam den Stamm hoch wandert und nach und nach das Holz zersetzt. Nicht mehr als eine kleine Beschädigung des oberirdischen Wurzelwerks reicht aus, um den Schädlingsbefall auszulösen. In dieser Lage ein Todesurteil: Zu groß sei die Gefahr für die Gäste nebenan, so Nolte.
Ein paar hundert Meter weiter gerät eine auffällige Freifläche ins Blickfeld. Hier und da liegt noch abgesägtes Kronenholz. Dazwischen schlängeln sich einige Dutzend dürre Jungbäume in die Höhe. Sie sollen die von extremen Trockenphasen stark geschädigten Buchen ersetzen, die hier einst gestanden haben.
Ausgerechnet diese Baumart hat der ZBG nun wieder neu gepflanzt. Macht das Sinn? „Wir schauen, ob sich die Bäume an die neuen Bedingungen gewöhnen können“, sagt Ralf Nolte. In Zeiten der Klimakrise müsse man auch experimentieren, gibt er offen zu. Vielleicht gewöhnt sich die neue Buchengeneration an die extremen Bedingungen – vielleicht aber auch nicht. Weil der Klimawandel viel schneller voranschreitet, als Experten das bis vor kurzem noch für möglich hielten, stehen die Verantwortlichen unter Handlungsdruck: Die alten Bäume sterben ihnen deutlich schneller weg als gedacht; stichhaltige Erfahrungswerte müssen unter den neuen Bedingungen erst gesammelt werden.
Der Wittringer Wald befindet sich mitten in einem Generationswechsel
Immer häufiger trifft es im Wittringer Wald Buchen. Die litten meist an der Buchenkomplexkrankheit, ein Begriff, unter dem eine Reihe von Krankheitssymptomen verschiedenen Ursprungs zusammengefasst werden. Einige der gegen Jahresende gefällten Bäume geben den Blick frei auf innerlich völlig verfaulte Stämme. Die ersten Krankheitszeichen zeigten sich indes woanders. Ralf Nolte weist in die rund 30 Meter hohen Baumwipfel und sagt: „Wenn da ein Ast runterkommt... Da möchten Sie nicht stehen.“
Der ZBG fällt die erkrankten Bäume, um die Bevölkerung zu schützen. Auch dann, wenn die betroffenen Bäume noch lange weiterleben könnten. Mit ein, zwei Ästen weniger. Es handle sich beim Wittringer Wald schließlich um eine Freizeitstätte, betont Ralf Sonnenberg, Fachbereichsleiter Grünflächen- und Friedhofsunterhaltung beim ZBG.
Das fordert der BUND Gladbeck
Vera Bücker, Sabine Höfle-Czekalla und Helga Raith, die die Gladbecker BUND-Ortsgruppe leiten, fordern, dass in Gladbeck „so wenig Bäume gefällt werden wie nur möglich“. „Gewinnerzielung sollte nicht der Maßstab des Umgangs mit unseren Wäldern sein“, heißt es in einer Stellungnahme weiter. Eingriffe sollten auf ein Minimum reduziert werden. Man plädiere dafür, den Wald weitgehend sich selbst zu überlassen.
Bäume, die aufgrund ihrer Lage ein potenzielles Sicherheitsrisiko für Passanten darstellen, sollten eingehender untersucht werden, großflächige Fällungen wie im Buerscher Wald aber vermieden werden. Sollten dem ZBG dadurch Mehrkosten entstehen, müsse man mehr Geld für die Baumpflege in die Hand nehmen. Erste Handlungsdevise sollte der Erhalt der Wälder sein.
Dass es immer wieder so viele alte Buchen weichen müssen, hat aber auch einen taktischen Hintergrund. Damit beim nächsten Jahrhundertsommer – der so lange nicht auf sich warten lässt – die Buchen älteren Datums nicht auf einen Schlag wegstürben, müsse man den Wald jetzt nach und nach verjüngen, sagt Sonnenberg. Langfristig würden die schlicht verdursten.
Der Wittringer Wald habe quasi ein demografisches Problem: viel Bestand im Alter 100 Jahre plus, viele junge Bäume und ganz wenig dazwischen. Der ZBG geht deswegen proaktiv vor. Mit weitem Zeithorizont: Man plane bei der Waldpflege üblicherweise in Dekaden, in Jahrhunderten gar, so die Verantwortlichen. Das führt jetzt buchstäblich zu schmerzlichen Einschnitten; der Wittringer Wald befindet sich mitten in einem Generationswechsel.
„Mit dem Wald machen wir nur Miese.“
Für dieses Vorgehen muss der ZBG viel Kritik einstecken. Manchen gelten die Verantwortlichen nur als „Baumschlächter“. Immer wieder wird dem städtischen Betrieb auch ein ganz anderes Handlungsmotiv unterstellt: Das schnelle Geld mit geschlagenem Holz. Was ist dran am Vorwurf? Die Verkaufserlöse in den Jahren 2021 bis 2023 beliefen sich dem ZBG zufolge auf rund 110.000 Euro. Ein überdurchschnittlicher Betrag, betont Betriebsleiter René Hilgner. Während der Energiekrise schossen die Holzpreise in die Höhe. Normal seien Jahreserlöse von 10.000 bis 20.000 Euro. Dem stünden Kosten durch Trockenschäden im gleichen Zeitraum von rund 270.000 Euro entgegen.
„Mit dem Wald machen wir nur Miese“, resümiert Ralf Nolte. In der letzten Wintersaison 2022/2023 habe man insgesamt 130 Bäume in Gladbeck gefällt. 864 sogenannte Festmeter (Kubikmeter) gingen in den Verkauf. Bei insgesamt 265 Hektar städtischem Wald kommt man auf einen Wert von rund 3,3 Festmetern pro Hektar. Ralf Sonnenberg ordnet den Wert ein: „Im Wirtschaftswald kommt man auf mindestens sieben Festmeter pro Hektar.“ Von einem rational wirtschaftenden Forstbetrieb ist der ZBG damit weit entfernt.
Holz vom ZBG eignet sich meist nur zum Verfeuern
Die Stämme würden meist direkt an die mit der Entnahme beauftragten Unternehmen verkauft. Aus den jüngst gefällten Buchen werde laut ZBG Brennholz gemacht. Nur in Ausnahmefällen erreiche das geschlagene Holz Qualitätsstufen, die es auch für Sägewerke attraktiv mache. Daher auch die überschaubaren Erlöse pro Festmeter.
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Das gälte auch für die jüngst an einem Spielplatz gefällte Eiche. Der massive Stamm, der daneben liegt, macht augenscheinlich einen guten Eindruck. Trotzdem wird auch er im Ofen landen. Ralf Nolte weiß, warum. Er drückt mit seinem Finger in das Innere des übrig gebliebenen Baumstumpfes. Fühlbar weich ist der, zu weich für einen gesunden Baum. Die Eiche sei vom Hallimasch-Pilz befallen, einem aggressiven Schädling, der sich mit Vorliebe an bereits geschwächten Bäumen ausbreitet und diese dann nach und nach zersetzt. Aufgrund der unmittelbaren Nähe zum Spielplatz habe man nun handeln müssen.
Den gefällten Bäumen stehen im Zeitraum zwischen 2021 und 2023 dem ZBG zufolge 10.000 neue Bäume am Brabecker Feld, 1900 am Wiesenberg und allein 5000 im Wittringer Wald entgegen. Wie viele davon in zwanzig Jahren noch stehen, ist ungewiss. Die nächsten Extremwetterereignisse werden es zeigen.