Gladbeck. Therese Prost ist 90 Jahre alt und hat viel zu erzählen: von ihrer Flucht vor der Roten Armee, von „Oma Prost“ – und so vielem mehr.
„Wenn ich mal sterbe, dann wird das ja alles weggeschmissen. Das wäre eine Verschwendung.“ Also, dachte sich die Therese Prost, kommt sie mit ihren alten Fotos und Geschichten doch mal in die Gladbecker WAZ-Redaktion, „vielleicht können Sie ja was damit anfangen.“ Können wir, und wie. Denn Therese Prost ist 90 Jahre alt – auch wenn man sie der fitten Damen nicht anmerkt – und hat eine Menge gesehen, erlebt und gehört. Von einem Gladbecker Olympiasieger, der von ihrem Schwiegervater auf Schultern getragen wurde, über die Schwiegeroma, die einst die älteste Gladbeckerin war und in den 30er Jahren sowohl in der Zeitung als auch von Holzbaron Franz Küster betrauert wurde – bis hin zu ihrer eigenen, wilden Flucht aus dem heutigen Polen, als die Rote Armee 1945 ankam.
Therese Prost ist nämlich in Rydzyna geboren, auf Deutsch „Reisen“, vom Überfall auf Polen 1939 bis Kriegsende 1945 von der Wehrmacht besetzt und völkerrechtswidrig annektiert. Als dann die Rote Armee vorrückte, floh die damals 11-jährige Therese mit ihrer Familie, nur die Großeltern blieben in Polen. „Wir sind dann kurz vor Berlin gelandet, dort durften wir im Wochenendhaus eines Inders wohnen“, erinnert sie sich noch heute, 79 Jahre später. Nach wenigen Wochen ging die Nachricht um, man könne wieder nach Hause, „da sind wir mit einem Pferdefuhrwerk losgefahren. Aber anders als geplant sind wir in Schlesien gelandet.“ Bis zum März 1946 lebte die Familie dort, „unter Russen“, dann ging es nach Sachsen, und 1953 schließlich nach Gladbeck. Wieso Gladbeck? „Meine Großmutter hat hier mal gelebt, ist aber vor dem Krieg nach Reisen umgezogen.“
90 Jahre alte Gladbeckerin hat viel erlebt
Sie erinnere sich noch gut, wie sie dann, fern der Gladbecker Heimat, bei einem Arzt aushalf. „Wir mussten ja Geld verdienen. Wir waren Flüchtlinge und hatten nichts, und vom Staat gab es damals keine Hilfe.“ Erst 20 D-Mark, dann 30 und später 50 bekam sie für die Arbeit – pro Monat. „Geschlafen habe ich im Wartezimmer des Arztes.“ Entbehrliche Zeiten, ja, aber auch der Ursprung einer Erinnerung, die Therese Prost immer noch schätzt. „Mit der Arzttochter, die war damals noch ganz klein, habe ich noch heute Kontakt.“
Im Ruhrgebiet lernte die OP-Schwester dann ihren Mann kennen, Werner Prost, am 21. November 2022 im Alter von 92 Jahren verstorben. „Wir haben erst spät geheiratet, aber trotzdem fast 50 Jahre zusammen geschafft“, da muss Therese Prost lächeln. Die Familie ihres Mannes war in Gladbeck durchaus „berühmt“, aus eher skurrilem Grunde. Denn die Urgroßmutter von Werner Prost – bekannt nur als „Oma Prost“, an einen Vornamen können sich weder Zeitdokumente noch Therese Prost erinnern – war anno dazumal vermutlich die älteste Gladbeckerin.
„Oma Prost“ war einst die älteste Gladbeckerin
Das schätzt jedenfalls der Autor einer Traueranzeige aus einer Gladbecker Zeitung, die am 21. April 1936 erschienen ist. „Am vergangenen Sonntag starb die allbekannte, hochbetagte Gladbecker Mitbürgerin Witwe Heinrich Prost , Heinz-Oettinger-Straße 70. ‚Oma Prost‘ erreichte das hohe Alter von fast 93 Jahren. Mit ihr dürfte wohl die älteste Gladbecker Einwohnerin dahingegangen sein. R.I.P.“
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In der Stadt schien der Tod der Oma jedenfalls Gesprächsthema zu sein, sogar Holzbaron Franz Küster – richtig, der von der Villa Küster – schrieb einen Brief an die Familie. „Zum Tode des Oberhaupts Ihrer Familie, die noch dazu die älteste Einwohnerin Gladbecks war, auch meinerseits herzliche Anteilnahme“, tippte Küster im April 1936 auf seiner Schreibmaschine. Mit Oma Prost verband den Geschäftsmann durchaus auch persönliches. „Hier steht er mit seiner Enkelin und Oma Prost im Garten seiner Villa“, sagt Therese Prost und zeigt das Foto, von dem auch Franz Küster in seinem Brief schreibt. „Dieses Bild wird Sie alle hoffentlich noch dann und an die älteste Gladbeckerin erinnern!“
Und dann ist da noch das Foto von Willy Kaiser. Der Box-Olympiasieger – und damit Welt- und Europameister – Gewann 1936 bei den Sommerspielen in Berlin, Hitlers Prestige-Propagandaprojekt. Zurück im heimischen Gladbeck wurde er auf Schultern getragen – auch auf denen von Therese Prosts Schwiegervater, Ewald Prost. „Das müsste er sein“, sagt sie und zeigt auf einen Mann. Es dürfte leider eines der letzten Bilder von Ewald Prost sein, „er ist bei einem Unfall auf der A2 gestorben“, erinnert sich die Gladbeckerin. Ein gelebtes, oft auch ein hartes Leben. Aber bei der Erinnerung daran muss Therese Prost trotzdem lächeln.