Gladbeck / Recklinghausen. Weite Wege in den Süden nehmen nicht mehr alle Störche auf sich. Einzelne Tiere sind gar im Winter im Kreis Recklinghausen. Das hat seinen Grund.
Vor 20 Jahren gab es im Kreis Recklinghausen noch gar keine Weißstörche, auch nicht im Sommer: Werner und Luise waren 2005 die ersten der Stelzvögel, die sich hier für ihre Brut niederließen – bevor sie im Herbst wieder Richtung Süden flogen. Doch jetzt werden Störche sogar im Winter im Kreis Recklinghausen gesichtet – wenn auch nur sehr vereinzelt.
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„Anfang Januar 2024 wurden zwei Weißstörche im Norden von Dorsten gesehen, Ende Dezember war ein einzelnes Tier in Datteln“, berichtet am 17. Januar Niels Ribbrock, der zudem von mehreren Storch-Sichtungen in Reken kurz hinter der Kreisgrenze weiß. „Das ist bislang im Kreis Recklinghausen und in unserer Region selten, die große Ausnahme, weit über 90 Prozent der Tiere ziehen weiterhin für den Winter in den Süden. Aber es gibt inzwischen einzelne Störche, die auch im Winter hier zu sehen sind“, erläutert der Landschaftsökologe der Biologischen Station Kreis Recklinghausen.
Niels Ribbrock hält das für eine Reaktion auf den Klimawandel, die zunehmend milden Winter. Dabei sind nicht die Temperaturen selbst entscheidend, „die sind kein Problem für die Weißstörche“. Vielmehr geht es um das Nahrungsangebot: „Die Störche haben ein recht breites Nahrungsspektrum. Im Winter fallen zwar die Insekten und Käfer weg, aber es bleiben noch Mäuse, Regenwürmer, Maulwürfe…. Wenn der Boden locker und nicht gefroren ist, haben die Störche durchaus die Chance, Nahrung in einem Ausmaß zu finden, um mit genug Energie über den Winter zu kommen“, sagt der Experte.
Winteraufenthalt in unseren Breitengraden birgt Risiken für Störche
Ein Vorteil im Winter sei es zudem, dass es im Gegensatz zum Sommer keine Revierzuordnungen gebe: „Während der Brutzeit haben die Störche einen festen Bezugsraum von etwa drei bis vier Kilometern um ihr Nest herum, im Winter können sie überall nach Nahrung suchen. So kann es auch sein, dass Tiere, die zurzeit im Kreis Recklinghausen gesichtet werden, zum Teil aus Norddeutschland kommen“, so Niels Ribbrock.
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Dennoch ist der Winter-Aufenthalt in unserer Region für die Störche durchaus ein Risiko, wie Ribbrock erläutert: „Wenn es zum Beispiel eine lange Frostphase mit Schnee gibt, wird die Futtersuche schwierig. Der Storch kann nicht im gefrorenen Boden oder unter einer Schneedecke nach seiner Nahrung suchen. In diesem Fall wird er ein paar Tage fasten oder aber – was wahrscheinlicher ist – versuchen, sich doch noch auf den Weg Richtung Süden zu machen. Wenn er dabei Rückenwind hat und schnell in mildes Wetter gelangt, hat er Glück und überlebt. Doch bei schlechtem Wind und Kälte wird er wohl verenden.“
In Gladbck hat sich bisher kein Storchenpaar niedergelassen.
Wird es sich nach und nach durchsetzen, dass die Störche von hier aus im Herbst nicht mehr nach Süden ziehen? „Das kann ich nicht beurteilen“, gibt sich Niels Ribbrock mit einer Einschätzung zurückhaltend. Sowohl ein Scheitern des Experiments als auch eine langsame Umorientierung weg vom Flug Richtung Süden seien möglich. „Damit sich das Hierbleiben durchsetzt, muss es einen evolutionären Vorteil für die Tiere geben“, betont Niels Ribbrock. „Zum Beispiel, hier fit durch den Winter zu kommen, keine Energie für den weiten Flug in den Süden zu verbrauchen und die hier vorhandenen Brutplätze als erste besetzen zu können – bevor die anderen Störche wieder zurückkommen.“
Das ist nach Auskunft von Niels Ribbrock etwa ab Mitte bis Ende Februar der Fall. „Die Ankunft hat sich nach vorne verschoben. Früher kamen die Störche erst im April in den Kreis Recklinghausen“, sagt der Landschaftsökologe. Auch hier spielen Klimawandel und mildere Temperaturen eine Rolle. Genauso wie beim Flugziel in den Süden: Während die Weißstörche aus unserer Region früher meist bis nach Afrika fliegen mussten, um die kalte Jahreszeit zu überstehen, liegt das Winterquartier inzwischen meistens in Spanien, bisweilen auch schon in Südfrankreich.
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In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Störche im Kreis stetig gestiegen. 2022 haben die Naturschützer im Kreis 38 Storchenpaare gezählt, im vergangenen Jahr lag die Zahl ähnlich hoch. Allerdings lassen sich die Tiere eher in den ländlich geprägten Städten des Kreises nieder. „Gladbeck ist in der Beziehung ein weißer Fleck. So wie übrigens auch Castrop-Rauxel, Herten und Recklinghausen. Das liegt einfach an der Siedlungsstruktur“, erläuterte Ribbrock in der Vergangenheit gegenüber der Lokalredaktion. In der Nachbarstadt Bottrop hat sich 2022 nach vielen Jahren erstmals ein Storchenpaar in Grafenwald niedergelassen.