Gladbeck. Geht es dem eigenen Kind schlecht, verhalten sich manche Eltern in Gladbecker Kinderarztpraxen respektlos. In Extremfällen hilft nur ein Anwalt.

  • Schon immer gibt es in Kinderarztpraxen respektlose Eltern, doch zwei Gladbecker Kinderärzte berichten, dass der raue Umgangston immer schlimmer wird.
  • Mehrere Arzthelferinnen hätten in einer Praxis sogar schon aufgrund des Drucks, der durch die Eltern ausgeübt wird, gekündigt.
  • Im Extremfall sehen die Ärzte nur eine Lösung: Ein Behandlungsverbot, das den Eltern gegenüber ausgesprochen wird.

„Schaut man sich an, wie sich manche Eltern in meiner Praxis verhalten, ist das eine ganz fürchterliche Entwicklung“. Der Gladbecker Kinderarzt Dr. Stefan Kusserow findet deutliche Worte für das respektlose Verhalten einiger Mütter und Väter in seiner Praxis, unter dem insbesondere die Arzthelferinnen am Empfang leiden. Konfrontiert er die Eltern mit der unangemessenen Umgangsweise, zeigen sich manche nur wenig einsichtig. Stattdessen hagelt es schlechte Google-Bewertungen, in Extremfällen werden sogar Anwälte eingeschaltet.

Dass sich Eltern in Kinderarztpraxen aggressiv und respektlos verhalten, ist kein neues Problem – das weiß auch Carsten Rothert, der als Arzt im Gladbecker Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin arbeitet: „Die Kinder stehen für die Eltern im absoluten Mittelpunkt. Wenn es den Kleinen nicht gut geht, stresst die Eltern das natürlich.“ Zu Konflikten komme es, wenn manche Eltern erwarten, dass das Problem des Kindes auf der Stelle geregelt werde – was aber eben nicht immer möglich sei. „Die Wartetoleranz der Eltern ist mit der Zeit gesunken, dafür ist die Erwartungshaltung auf sofortige Hilfe gestiegen. Und allgemein ist der Umgangston schon ruppiger geworden.“

Mehrere Arzthelferinnen kündigten in Gladbecker Praxis aufgrund der Dauerbelastung

Aufgrund des massiven Drucks seitens der Eltern hätten in Dr. Stefan Kusserows Praxis sogar mehrere Arzthelferinnen gekündigt, der Job habe ihnen dadurch einfach keinen Spaß mehr gemacht. „Wir wissen, dass der Fachkräftemangel ein Problem ist, das kann wirklich frustrieren. Aber es kann nicht sein, dass unser Personal dadurch so in Beschuss gerät“, erzählt der Kinderarzt. „Gibt es am Empfang Probleme, lasse ich mich aus meinem Behandlungszimmer rufen, es ist mir schließlich wichtig, mitzukriegen, wenn sich Eltern respektlos verhalten.“

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Doch spreche er die Eltern auf das Fehlverhalten an, folge nur selten eine Entschuldigung – öfter redeten sich die Eltern raus oder beharrten auf ihrem Recht. In einem extremen Fall sei ihm von einer Mutter sogar Ausländerfeindlichkeit unterstellt worden, nachdem er sie darauf hingewiesen hatte, dass sie ihren Frust nicht am Personal auslassen solle. „Dabei hatte das überhaupt nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun, das war total an den Haaren herbeigezogen“, so der Gladbecker Arzt. Da die Frau einen Anwalt einschaltete, sei ihm nichts anderes übriggeblieben, als sich ebenfalls juristische Verstärkung zu holen. „Der Fall war allerdings ruckzuck geklärt, weil die Anschuldigungen eben völlig haltlos waren.“

Extrem werde es vor allem bei „Hardcore-Familien“, in denen beide Elternteile sehr aggressiv auftreten. „Die wollen lieber einen Krieg ausfechten, anstatt ihre Kinder vernünftig behandeln zu lassen“, so Kusserow. Dabei stachelten diese Familien auch noch weitere Eltern mit auf. Bei sechs Familien gingen die Auseinandersetzungen so weit, dass Kusserow per Einschreiben die Zusammenarbeit beendete.

In Extremfällen werden Behandlungsverträge aufgelöst

Auch Rothert berichtet davon, dass in seiner Praxis im Jahr etwa vier Behandlungsverträge aus solchen Gründen aufgelöst werden müssten. „Mir tut das wahnsinnig leid, ich will ja keine Patienten verlieren. Aber manche Situationen lassen sich einfach nicht anders lösen“, so Rothert. Dennoch stehe auch in solchen Fällen das Wohl des Kindes im Vordergrund: „In Notfällen lassen wir niemanden vor der Tür stehen, nur Routineuntersuchungen oder Impfungen führen wir dann nicht mehr durch.“

Carsten Rothert, Kinderarzt im Gladbecker Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, setzt auf ein „proaktives Aufeinanderzugehen“ zwischen dem Praxisteam und den Patienten, um Konfliktsituationen zu vermeiden.
Carsten Rothert, Kinderarzt im Gladbecker Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, setzt auf ein „proaktives Aufeinanderzugehen“ zwischen dem Praxisteam und den Patienten, um Konfliktsituationen zu vermeiden. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Damit es im Alltag zu möglichst wenigen Stresssituationen kommt, setzt Rothert mit seinen Kollegen auf präventive Maßnahmen. So entlaste die Terminbuchung über ein Onlinesystem die Mitarbeiter vor Ort und führe beispielsweise zu kürzeren Wartezeiten am Telefon. Mittlerweile sendet die Praxis sogar Push-Nachrichten aufs Handy, um die Menschen zu informieren. Rothert berichtet: „Erst kürzlich waren zwei Ärzte krank, da haben wir eine Mitteilung rausgeschickt, dass die Patienten bitte mehr Zeit mitbringen sollen. Die Eltern wissen dann, warum sie eventuell länger warten müssen, wodurch sie in der Regel auch mehr Verständnis zeigen.“ Zudem würden die Mitarbeiter extra für Konfliktsituationen geschult, so werden beispielsweise schwierige Gesprächssituationen durchgespielt.

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Doch manchmal hilft jegliche offene Kommunikation nicht. Kusserow berichtet beispielsweise von einem Fall, bei dem er mehrfach ein Baby behandelt habe, welches nicht versichert war. „Bei jedem Praxisbesuch haben wir die Eltern darauf hingewiesen, dass sie den Versicherungsnachweis nachreichen müssen, aber die Familie hat sich selbst nach sechs Monaten noch immer nicht darum gekümmert“, erinnert sich Kusserow. Als er nach vielen Monaten schließlich die Behandlungskosten in Rechnung gestellt habe, seien diese nur zur Hälfte bezahlt worden. „Am nächsten Tag habe ich auf Google eine schlechte Bewertung des Vaters gelesen, der dort schrieb, dass ich mich nie um sein Kind gekümmert hätte.“

Verdrehte Internet-Bewertungen sind großes Problem für Kinderärzte

Generell seien Internet-Bewertungen ein großes Problem für die Ärzte, oft würden Tatsachen verdreht oder Situationen aus dem Kontext gerissen. Dies sei geschäftsschädigend, sodass Kusserow der Online-Bewertungsplattform Jameda sogar mit juristischen Konsequenzen drohte, sollten dort weiterhin falsche Bewertungen stehen – mit Erfolg, Jameda sperrte das Profil der Kinderarztpraxis für neue Bewertungen. Auf Google stehen allerdings weiterhin viele in seinen Augen ungerechtfertigte Bewertungen.

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Ein Beispiel sei ein beharrlicher Vater, der sein Kind partout nicht impfen lassen wollte. Da Kusserow keine Impfgegner in seiner Praxis haben wolle, habe er den Vater in freundlichem, aber bestimmten Ton darauf hingewiesen, dass er das Kind so nicht weiter behandeln wolle. Das Resultat: Eine Google-Bewertung mit dem Wortlaut „Wenn dem Arzt etwas nicht passt, schmeißt er die Patienten einfach raus“.

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Doch trotz all dem Frust weisen beide Gladbecker Kinderärzte darauf hin, dass es sich bei den genannten Fällen um Extremsituationen handele, und viele Eltern nett und höflich seien. Für einen Gänsehautmoment sorgte laut Kusserow vor wenigen Tagen eine Mutter, die Süßigkeiten für die ganze Praxis mitbrachte und sich für deren tolle Arbeit bedankte. „Das war eine tolle Anerkennung und freut uns dann doppelt“, meint Kusserow. Und auch Rothert sagt: „Wir freuen uns auf unsere Patienten und haben weiterhin Spaß am Job.“