Gladbeck. Mit Anfang 30 trifft eine Iranerin die schwere Entscheidung, vor den Gefahren in ihrem Land zu fliehen. So geht es ihr heute in Gladbeck.
Etwas schüchtern, aber mit einem breiten Lächeln im Gesicht sitzt Mozghan Ghasemi in der Beratungsstelle für Geflüchte in Gladbeck und erzählt von ihrem Arbeitstag – auf deutsch, natürlich. Der 38-Jährigen ist es wichtig, die Sprache des Landes zu beherrschen, in dem sie sich mittlerweile zuhause fühlt. Als sie vor sechs Jahren aus dem Iran nach Deutschland floh, konnte sie noch kein Wort deutsch sprechen. Mittlerweile steht sie vor der Abschlussprüfung ihrer Ausbildung, hat eine Wohnung und Freunde gefunden – doch der Start in dem für sie fremden Land war alles andere als einfach.
Iranerin floh 2017 ganz alleine nach Deutschland
Bis 2017 lebte Ghasemi im Iran, studierte in der Hauptstadt Teheran Buchhaltung und wohnte in der Nähe ihrer Familie. Doch Ghasemi fühlte sich immer unsicherer, da sie sich zum Christentum bekannte und in der Bibel las – in dem streng islamisch geprägten Land eine große Gefahr, weshalb schon viele christliche Iranerinnen und Iraner flohen. Da sich die Lage insbesondere für Frauen immer weiter verschärfte, beschloss auch Ghasemi, zu fliehen. Ihre Familie wollte bleiben und verstand anfangs nicht, dass die damals 32-Jährige ihr Geburtsland verlassen wollte. So stieg die Iranerin ganz alleine in ein Flugzeug und flog nach Deutschland.
Auch interessant
In dem für sie völlig fremden Land musste Ghasemi von null anfangen, besonders die ersten Wochen seien sehr schwierig gewesen. Die Geflüchtete erinnert sich: „Einerseits habe ich meine Familie vermisst, andererseits wusste ich, dass mich hier ein besseres Leben erwartet und ich auf keinen Fall zurück möchte.“ Zunächst lebte sie in verschiedenen Flüchtlingsheimen in Essen, Ratingen und schließlich Gladbeck. Sie teilte sich kleine Zimmer mit Frauen, die sie nicht kannte, zusätzlich hatte sie große Sorgen, wie lange sie in Deutschland bleiben darf. Doch dann lernte sie Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup, Leiterin der Flüchtlingshilfe der evangelischen Kirche in Gladbeck, kennen.
Hildebrandt half Ghasemi, eine WG zu finden, sodass die Iranerin nach über drei Jahren in verschiedenen Heimen endlich in ein richtiges Zuhause ziehen konnte. Zudem halfen ihr die Mitarbeiter der Beratungsstelle dabei, Deutschkurse besuchen zu können – keine einfache Aufgabe. So musste sie nicht nur die Sprache selbst, sondern auch die Schrift lernen, im Iran liest man zudem von rechts nach links. „Das ist mir unglaublich schwer gefallen, aber ich war froh, dass ich überhaupt die Möglichkeit hatte, Sprachkurse zu besuchen.“
Sprachkurse sind für die Integration Geflüchteter sehr wichtig – aber kaum bezahlbar
Andreas Schlebach von der Flüchtlingshilfe weiß, wie wichtig es ist, dass geflüchtete Menschen schnell einen sprachlichen Zugang finden. „Allerdings sind die Kosten unglaublich hoch. An der VHS zahlt man pro Modul über 100 Euro und man muss mindestens sechs bis sieben Module besuchen, um einen Abschluss zu bekommen – da kommen schnell 1000 Euro zusammen. Wie sollen Geflüchtete das bezahlen?“ Um beruflich Fuß zu fassen und beispielsweise eine Ausbildung beginnen zu können, sei allerdings ein B1-, besser noch B2-Deutschniveau erforderlich.
++ Folgen Sie der WAZ Gladbeck auch auf Facebook ++
Obwohl Ghasemi ihre B1-Deutschprüfung bestand, lag eine große Hürde noch vor ihr: Das Asylverfahren. Schlimm sei eine Situation vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf 2019 gewesen. Hildebrandt erzählt: „Der Richter wollte Mozhgan einfach nur fertig machen. Er hat ihr nicht geglaubt, dass sie Christin ist und hat drei Stunden lang sehr schwierige Fragen zur Bibel gestellt, da wäre selbst ich überfordert gewesen.“ Am Ende wurde der Asylantrag abgelehnt – doch die Beratungsstelle aus Gladbeck hatte sich zu Ghasemis Glück schon im Vorfeld um ein Hintertürchen gekümmert.
Ausbildung zur Physiotherapeutin „rettet“ Iranerin vor der Abschiebung
„Als der Asylantrag abgelehnt wurde, hatte Mozhgan schon eine Ausbildung begonnen, dadurch konnte sie nicht abgeschoben werden“, erklärt die Leiterin der Flüchtlingshilfe. Denn: Innerhalb der drei Ausbildungsjahre sind Geflüchtete vor einer Abschiebung geschützt, danach haben sie ein Jahr Zeit, einen Job zu finden und so einen Aufenthaltstitel zu bekommen. Umso dankbarer war Ghasemi, beim Institut für Gesundheit und Ausbildung Gladbeck (IFGA) einen Ausbildungsplatz zur Physiotherapeutin zu bekommen. Sie erzählt: „Ich wollte gerne Richtung Medizin und Sport gehen und gleichzeitig mit Menschen arbeiten. Frau Hildebrandt hat dann beim IFGA angerufen und gefragt, ob es freie Ausbildungsplätze gibt. Da Fachkräftemangel in der Branche besteht, gab es tatsächlich noch freie Plätze.“
Lesen Sie auch:
- Einkaufen.„Schweren Herzens“: Beliebter Laden in Gladbeck geschlossen
- Erdgeschichte. 540 Millionen Jahre Gladbeck – Gletscher und Dinosaurier
- Advent. Adventsmarkt Zweckel wird wieder ein Fest der Sinne
- Schulen. Neue Räume für das Ratsgymnasium – Ausbau beschlossen
- Schulausschuss. Vor- und Nachteile von Gladbecks neuem Schulstandort
2019 begann die heute 38-Jährige schließlich ihre Ausbildung, zuerst machte ihr die Sprache noch große Probleme. „Mozghan musste ein Jahr wiederholen, aber seitdem ist sie richtig durchgestartet“, berichtet Hildebrandt stolz. Im September stehen die Abschlussprüfungen an, einen Arbeitsvertrag ab dem 1. Oktober hat die Iranerin schon auf dem Tisch liegen. Mittlerweile ist Ghasemi in der Gesellschaft integriert, besucht einen Bibelkurs unter der Leitung von Hildebrandt und singt in einem internationalen Freundschaftschor. Mit ihrem Leben hier ist Ghasemi sehr zufrieden: „Ich habe es nie bereut, hergekommen zu sein – Gladbeck ist jetzt mein Zuhause.“