Gladbeck. In vier Konzerten feiern sechs Künstler den Geburtstag von Orgel-Punk Max Reger, zeigen, was die Klais-Orgel kann und tanzen vorm Altar.
„Vier reine Orgelkonzerte, das wäre für das Publikum eintönig geworden. Ich wollte etwas Besonderes auf die Beine stellen.“ Wenn man so auf das Programm der Gladbecker Orgeltage 2023 lünkert, sogar bevor der erste Ton gespielt wurde, kann man sagen: Das ist Kirchenmusikerin Friederike Spangenberg gelungen. Vom 3. bis zum 24. September, immer sonntags in der Propsteikirche St. Lamberti, warten vier Konzerte auf Musikliebhaber, Orgelfans und alle Neugierigen, die mal hören wollen, was eine Orgel abseits der Liedbegleitung so auf dem Kasten hat.
Los geht es am 3. September um 18 Uhr mit einem Solokonzert von Thomas Dahl aus Hamburg, „mein Mentor“, sagt Spangenberg. Dahl spielt Werke von Bach, Brahms und Nicolaus Bruhns, dann lockert er das Publikum mit einer Improvisation auf, bevor er zum Geburtstagskind Max Reger kommt. 150 Jahre wäre der 2023 alt geworden, sein Werk wirkt in Orgelkreisen bis heute nach. Sein vielleicht berühmtestes Werk, die „Phantasie und Fuge über B-A-C-H“ ist der Abschluss des ersten Gladbecker Orgelabends. Der alte Meister Bach war, so heißt es, sehr stolz, seinen Nachnamen in Noten schreiben zu können, Regers Verehrung macht sich genau diesen Zufall zunutze. Wobei der geneigte Musikhörer keine harmonisch vollendeten Bachchoräle erwarten sollte, zumindest nicht durchgängig. Reger pfeift auf bekannte tonale und harmonische Gerüste, fordert den Organisten spielerisch heraus und holt technisch alles aus der Orgel heraus.
Robert Schumanns „Träumerei“ und ein skurriler Zufall
Am 10. September legt Friederike Spangenberg um 16 Uhr selbst Hand an die Manuale, in ihrem Duokonzert mit Klarinettistin Julia Puls. „Wir haben uns bei einem Benefizkonzert für die Ukraine kennengelernt“, erinnert sich Spangenberg, gemeinsam wagen die beiden einen wilden Ritt durch bekannte Kompositionen vergangener Tage, machen mit der „Suite Française“ von Günter Berger aber auch einen Ausflug ins zeitgenössische Metier. Zwischen Händel, Mozart, Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel und César Franck sicherlich das populärste Werk: Robert Schumanns „Träumerei“ aus seinen „Kinderszenen“.
Am 17. September gibt es um 16 Uhr wieder Orgel pur, mit dem Oberhausener Organist Christoph Nierhaus. Neben Bach und August Gottfried Ritter spielt er gleich zwei Werke von Max Reger, die „Introduktion und Passacaglia D-Moll“ und „Wie schön leuchtet der Morgenstern“. Letztere ist eine Choralfantasie, sozusagen eine Variation über den gleichnamigen Choral von Bach – im Reger-Stil natürlich harmonisch, rhythmisch, melodisch ordentlich zerpflückt, wenn auch zahmer als B-A-C-H. Der Orgelabend bringt auch einen skurrilen Zufall mit sich: Am 17. September wird Propst André Müller offiziell verabschiedet und leitet fortan die Pfarrei St. Clemens in Oberhausen-Sterkrade – Christoph Nierhaus’ Heimatgemeinde.
Heiße Sohle unterm Kreuz: Tango in St. Lamberti
Denn Abschluss am 24. September um 16 Uhr macht das wohl ungewöhnlichste Konzert der Reihe. Kerstin Wolf spielt an der Orgel nicht bloß klassische Musik (Bach), sondern auch spanische, lateinamerikanische und orientalische Musik, etwa Volkslieder aus Georgien, den sayyidischen Gesang und Tanz Nr. 29 von George Gurdjieff und Thomas de Hartman und zum Abschluss John Rutters „Toccata in Seven“ – in der der umtriebige Brite kurzerhand die bachsche Motivik in einen 7/8-Takt gequetscht hat.
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Wirklich besonders wird das Konzert aber durch Yamuna Henriques. Die Flamencotänzerin wird auf Podesten im Kirchenraum – damit die perkussiven Elemente des Tanzes auch hörbar werden – die Musik von Kerstin Wolf in Bewegung übersetzen. Einen cleveren Namen hat sich das Duo auch überlegt: Die mit der Wolf tanzt.
Die Gladbecker Klais-Orgel: mieser Ruf, tolles Instrument
So viel zur Musik, beim Konzert ist das Instrument ja allerdings auch nicht ganz unwichtig. Die vier Organisten machen es sich sogar absichtlich ein wenig schwerer, weil sie am elektronischen Spieltisch im Kirchenraum spielen – der Ton kommt natürlich trotzdem von der Orgelempore, eine gewisse Verzögerung lässt sich nicht vermeiden. Besonders spannend zu hören also, wie Max Regers Hang zu 32tel-Läufen am Spieltisch einschlägt. „Das hat aber auch Vorteile“, sagt Friederike Spangenberg. „Anders als auf der Empore haben wir unten am Spieltisch die gleiche Akustik, die auch das Publikum hat, das hilft beim Spielen.“
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Das Instrument selbst, eine Klais-Orgel aus dem Jahr 1960, genießt in der Szene nicht den besten Ruf, bei „Klais“ läuft es Orgelpuristen gerne mal kalt den Rücken runter. „Ich finde sie wirklich schön“, sagt aber Friederike Spangenberg, „mein Vorgänger hat mir erklärt, dass man das Instrument mit der Zeit lieben lernt. Und er hat Recht behalten. Man wahnsinnig viele verschiedene Dinge auf dieser Orgel spielen, und der tolle Raumklang in der Kirche wertet das Instrument nochmal auf.“ So wild die Gladbecker Orgeltage auch werden – es ist sicher nicht verkehrt, ein verlässliches Instrument im Rücken zu haben.