Gladbeck. Gladbecker Ärzte wappnen sich für die bevorstehende Herbst-/Wintersaison. Diese Probleme erwarten sie, diese Lösungen sehen sie.
Fachleute sprechen schon von der Barbie-Welle. Klingt niedlich, dürfte aber für die Betroffenen eher unangenehm sein. Verlassen sie doch Kinosäle mit leerer Popcorn-Tüte, aber mit dem Coronavirus im Leib. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sieht steigende Infektionszahlen auf die deutsche Bevölkerung zurollen. Ärzte in Gladbeck treiben jedoch ganz andere Probleme um.
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Kinderarzt Carsten Rothert hat in der Praxis auf dem Medizincampus Butendorf feststellt: „Wir hatten nach den Ferien schon einige Mallorca-Rückkehrer, die sich mit dem Coronavirus angesteckt haben.“ Allerdings seien die Eltern zumeist relativ gelassen. „Was Covid 19 angeht, gibt es unter Kindern nicht so viele Risiko-Patienten“, sagt Rothert. Sein Kollege Dr. Stefan Kusserow geht so vor: „Wir haben Markierungen in unserer Datei vorgenommen, wenn es sich zum Beispiel um ein Risiko-Kind handelt.“ Dann empfiehlt er eine Impfung. Allerdings hat er den Eindruck, dass Covid 19 in der Öffentlichkeit nur noch wenig Beachtung findet. Nach der Devise: „Da ist ja nichts mehr.“
Gladbecker Ärzte orientieren sich bei der Corona-Impfung an der Empfehlung der STIKO
Lena Heimers, Sprecherin in der Kreisverwaltung Recklinghausen, erklärt: „Eine Infektion mit dem Coronavirus ist immer noch meldepflichtig, und Laborergebnisse landen weiter bei uns.“ Letzteres logischerweise aber nur, wenn überhaupt entsprechende Tests in Praxen gemacht wurden. Doch häufig kontrollieren die Menschen daheim, ob sie sich mit dem Coronavirus infiziert haben, und isolieren sich bei einem positiven Resultat von ihrem Umfeld. So sollte es wenigstens sein. Den Gang in eine Praxis ersparen sich viele Menschen. „Eine Inzidenz können wir nicht hochrechnen, wir stellen jedoch fest, dass die Corona-Infektionen leicht gestiegen sind“, so Lena Heimers.
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Aktuell kursiert eine neue Coronavirus-Variante, die sich weltweit ausbreitet: EG.5, auch Eris genannt. Fachleute aus den Bereichen Virologie und Epidemiologie sowie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stufen sie nicht als besonders gefährlich ein, aber sie verbreitet sich rasend schnell. Dieser Auffassung schließt sich das Robert-Koch-Institut (RKI) an. In Deutschland sei die EG.5-Mutante erstmals Ende März diesen Jahres registriert worden. Seitdem mehren sich die Fälle in Windeseile. Wegen der rasanten Verbreitung beobachten Fachleute die Lage mit wachsamem Blick.
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Nicht nur den Auslandsurlaub auf der Deutschen liebsten Ferieninsel Mallorca haben Beobachter als großen Infektionsherd ausgemacht, auch aus den USA bringen Menschen Coronaviren mit. Eine besondere Gefahrenquelle scheint zudem ein Kino-Besuch zu sein. Gerade an regnerischen Tagen gehen Menschen gerne ins Cinema, sitzen dicht an dicht, um sich Blockbuster wie „Barbie“ anzuschauen – daher die etwas flapsige Bezeichnung der aktuellen Coronawelle.
Hausarzt Dr. Ulrich Heil vom Gladbecker Ärzteverein weiß: „Das RKI empfiehlt eine weitere Impfung zum Schutz vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus für vulnerable Gruppen.“ Er verfolge mit Interesse die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO). Heil berichtet: „Patienten fragen uns nach einem Schutz. Und falls nicht, sprechen wir sie darauf an, sollten sie zu einer der besonders gefährdeten Gruppen gehören.“ Zu diesen zählt die STIKO beispielsweise kranke Menschen ab 60 Jahren, chronisch Kranke wie Krebspatienten und medizinisches Personal. Wer Herz-, Kreislauf-, Lungen- und Nieren-Erkrankungen hat, gehört ebenfalls zu den vulnerablen Gruppen. „Einem Otto-Normal-Patienten, der jünger als 60 und kerngesund ist, wird die Corona-Impfung nicht angeraten“, betont Ulrich Heil.
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Zu beachten seien Fristen. Wann wurde zuletzt gepiekst? Wie lange liegt die Impfung zurück? Antworten können der Impfausweis und die behandelnden Ärzte geben. Heil sagt ausdrücklich: „Die Covid-19-Impfung kann man mit der Grippe-Impfung kombinieren.“
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Letzteres haben viele Menschen (jetzt noch) nicht im Kopf. Auch den Grippeschutz legt die Ärzteschaft vor allem vulnerablen Gruppen ans Herz.Dr. Gregor Nagel, der im Hausarztzentrum Butendorf praktiziert, ergänzt die genannten Klientelen um diejenigen, die ihre „alten Eltern pflegen“. Der Grippe-Impfstoff wird Jahr für Jahr an die aktuellen Viren angepasst. Laut Nagel wird das Thema Mitte September akut, dann erst werde der Wirkstoff geliefert. „Auf der Südhalbkugel fängt die Grippe jetzt schon“, so der Sprecher des Ärztenetzes Gladbeck.
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Antibiotika, Schmerz- und Fiebermittel nicht lieferbar: Kinderärzte ringen um Lösungen
Heil erläutert: „Die WHO guckt ein Jahr vorher, welche Varianten weltweit im Umlauf sind.“ Der Mediziner sagt über seine Praxis: „Wir sind so organisiert, dass wir im Frühjahr den Impfstoff bestellen und im Herbst mit den Grippe-Impfungen loslegen können.“ Hoch-Zeit: Ende November/Anfang Dezember. Mit Lieferengpässen rechnet Heil nicht.
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Neue Impfstoffe sollen kommen
Die Corona-Impfstoffe, die an die neuen Varianten angepasst sind, könnten demnächst, schon im September, ausgeliefert werden, heißt es in einem Bericht der „Ärzte-Zeitung“. Voraussetzung ist die behördliche Zustimmung. Das Mainzer Unternehmen Biontech und der US-Hersteller Moderna haben entsprechende Vakzine entwickelt.
Dr. Gregor Nagel geht nicht von Lieferengpässen aus. Der Gladbecker Hausarzt sagt mit aller Vorsicht: „Der Hauptlieferant Biontech hat wohl Vorsorge getroffen.“ Das deutsche Biotechnologieunternehmen hat seinen Wirkstoff an die Variante XXB.1.5 angepasst. Von XXB stammt auch EG.5 (Eris) ab, das sich hierzulande schnell verbreitet.
Anders sieht’s hingegen bei gängigen Medikamenten aus. Über Lieferschwierigkeiten klagen vor allem Kinderärzte. Carsten Rothert macht keinen Hehl ‘draus: „Wir erwarten einen schwierigen Winter.“ Knappheit bei Basics wie Fieber- und Hustensäften – noch vor einigen Monaten ein Riesenproblem – erwartet er nicht, „nachdem die Bundesregierung die strenge Preisbegrenzung aufgehoben hat“. Aber: „Bei anderen Medikamenten müssen wir uns nach der Decke strecken.“ Davon betroffen seien „leider auch onkologische“ Mittel, immer wieder Antibiotika sowie Fieber- und Schmerzmittel. „Paracetamol und Ibuprofen können knapp werden“, meint Rothert. Die Lösung: In Absprache mit den Apotheken auf zweite, dritte Wahl und Generika ausweichen.
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Rotherts Tipp: „Chronisch kranke Patienten sollten möglichst vorausschauend Sorge dafür tragen, dass sie ihre Medikamente zur Hand haben, nicht erst mit dem letzten Blister an ihr Schilddrüsenpräparat oder was auch immer denken.“ Außerdem ermuntert er Eltern, auch einmal Hausmittel einzusetzen, wenn die Kinder sich ansonsten wohl fühlen – „gerne Waden- oder Brustwickel oder dreimal täglich einem Löffel Honig“.
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Das Dilemma mit Arzneien kennt auch Kusserow aus leidiger Erfahrung. Antibiotika, die er wie Rothert sehr dosiert verschreibt, spezielle Augentropfen, Fiebermittel – schwierig. Es sei sogar vorgekommen, dass Eltern bis in die Niederlande gefahren seien, um Medikamente zu ergattern. „Im vergangenen Winter war es ganz schlimm. Nach Corona kamen andere Viren mit Aggressivität zurück“, so Kusserow. Also mussten alternative Produkte her. Statt Kombimittel, die nicht greifbar waren, verschrieb der Kinderarzt mehrere Medikamente. Er ist aber „guten Mutes, dass wir diesmal besser durch die nächsten Monate kommen“.