Gladbeck. Mehr als 20 Jahre konnte ein abgelehnter Asylbewerber untertauchen. Wie kann das passieren und was heißt das für den Menschen?
Die Nachricht aus Gladbeck schlug hohe Wellen, Medien in ganz Deutschland griffen die Meldung des Hauptzollamtes Dortmund auf und berichteten. Die Zollfahnder hatten Ende Juni in einer Gladbecker Pizzeria einen Mann aufgegriffen, der sich illegal in Deutschland aufhielt. Alltag so weit für die Fahnder, die Überraschung erfolgte dann später. Mehr als 20 Jahre hatte sich der Inder verborgen, war nicht aufgegriffen worden. Das sorgte auch überregional für Beachtung. Am Ende stellt sich auch die Frage, wie ein Mensch so lange untertauchen kann und wie so jemand lebt.
Zuletzt gemeldet war der Mann in Chemnitz, der Verdacht liegt nahe, dass er irgendwann die Aufforderung erhalten hat, Deutschland zu verlassen und dem dann nicht nachgekommen, sondern stattdessen untergetaucht ist. Wie er nach Gladbeck gekommen ist, wie lang er hier war? Das vermag niemand zu sagen.
Wer ausreisepflichtig ist, wird zunächst aufgefordert, Deutschland freiwillig zu verlassen
Doris Foerster, Leiterin des Amtes für Migration und Zusammenleben in Gladbeck erklärt, wie ein solcher Prozess etwa für abgelehnte Asylbewerber in der Regel aussieht. Die erhielten in der Regel vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Hinweis, dass ihr Asylantrag abgelehnt worden sei und sie zur Ausreise verpflichtet seien.
„Daran schließt sich ein Beratungsgespräch bei uns vor Ort an. Wir informieren über die Ausreisepflicht, den Zeitraum und erklären auch, dass die Internationale Organisation für Migration (IOM) da auch finanzielle Unterstützung gewährt.“ Heißt aber auch: Wer ausreisepflichtig ist, wird zunächst aufgefordert, das Land freiwillig zu verlassen. Kommt derjenige dieser Aufforderung nicht nach, werde die Vorbereitung zur Abschiebung getroffen. „Dann muss die Identität geklärt werden, gegebenenfalls müssen noch Papiere aus dem Herkunftsland organisiert werden und es muss ein Flug gebucht werden“, erläutert Doris Foerster das Vorgehen. Während dieser Zeit wird der Aufenthalt in Deutschland geduldet. Und theoretisch ist das auch eine Phase, in der ein Mensch abtauchen könnte.
Ausländerbehörde Gladbeck hat rund 30 Fahndungen offen
Es komme immer wieder vor, dass Menschen zur Abschiebung nicht angetroffen werden, berichtet Doris Foerster. Manche haben dann einen Weg gefunden, das Land zu verlassen, sind doch freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt. „Das merken wir etwa, wenn dann die Person aus dem Heimatland auf anderem Wege versucht, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten.“ Es habe aber auch schon Fälle gegeben, da seien Asylbewerber, die in Gladbeck ausreisepflichtig waren, dann in den Niederlanden oder Frankreich aufgegriffen worden.
Grundsätzlich, so Doris Foerster, werde jeder, der sich der Ausreisepflicht und der Abschiebung entzieht, zur Fahndung ausgeschrieben. Zurzeit seien von Gladbeck aus rund 30 Fahndungen offen, darunter auch Fälle nach dem Dublin-Verfahren. Das bedeutet, dass der Gesuchte in ein anderes EU-Land ausreisen muss, wo er zuvor schon einen Asylantrag gestellt hat.
Wer untertaucht, läuft Gefahr, sich Willkür auszusetzen
Generell sei das Untertauchen nicht so einfach, wie sich das manch einer womöglich vorstellt. „Ohne Helfer ist das eigentlich gar nicht möglich“, sagt Doris Foerster, vor allem mit Blick auf den Fall des Inders. Denn ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung gibt es keinen legalen Weg, eine Wohnung anzumieten, Arbeit aufzunehmen oder Unterstützung wie Bürgergeld oder Sozialhilfe zu beantragen. Ja nicht einmal ein Konto kann derjenige dann eröffnen.
Bedeutet also, man muss Vermieter finden, die es nicht so genau nehmen und Arbeitgeber, die bereit sind, jemanden illegal zu beschäftigen. Damit läuft man selbstverständlich auch Gefahr, sich der Willkür anderer Menschen auszuliefern. Beispiel: Wie will ich als illegal Beschäftigter meinen Anspruch auf Mindestlohn durchsetzen. Im Gegenteil gerate ich an besonders skrupellose Menschen, ist vielleicht sogar vorstellbar, dass ich am Ende gar kein Geld erhalte.
Keine Möglichkeit mehr, einen legalen Aufenthaltstitel zu erlangen
Eine Krankenversicherung gibt es dann auch nicht. „Das spricht dafür, dass es Helfer geben muss, es ist ja fast nicht denkbar, dass man in mehr als 20 Jahren nicht einmal zum Arzt muss“, nimmt Doris Foerster wieder Bezug auf den Fall des Inders. Dazu komme eben die ganze Zeit über die Angst, entdeckt zu werden. „In meinen Augen muss man schon sehr verzweifelt sein, wenn man das auf sich nimmt“, urteilt die Amtsleiterin.
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Wer untertaucht, der beraubt sich selbst auch einiger Chancen, sagt Doris Foerster. Inzwischen gibt es einige Wege, legal eine Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen, etwa durch das „Chancenaufenthaltsrecht“, wenn man gut integriert ist und arbeitet. „Doch das Untertauchen ist ein Ausschlusskriterium.“ Wer dann aufgegriffen wird, der wird abgeschoben und es wird auch geprüft, inwieweit Abschiebehaft verhängt wird. Dafür aber müsse die Abschiebung innerhalb von sechs Monaten gelingen – inklusive aller potenziellen Hürden. Verantwortlich dafür ist die Stadt, in der der Betroffene zuletzt gemeldet war – im Falle des Inders also Chemnitz.