Gladbeck. Jahrelang verdiente ein Gladbecker „gutes Geld“, dennoch verlor er erst seine Arbeit und dann seine Wohnung. Wie es dazu kommen konnte.
Mit leicht hochgezogenen Schultern und angespanntem Gesicht sitzt Michael (Name von der Redaktion geändert) bei der Wohnungslosenhilfe der Caritas in Gladbeck, er schüttelt den Kopf und verkriecht sich in seinem großen, schwarzen Pulli. „Ich bin lieb, zuverlässig und habe eine vernünftige Lehre abgeschlossen – und trotzdem bin ich hier gelandet. Dabei wünsche ich mir einfach nur ein normales, geregeltes Leben“, sagt der 40-Jährige mit ungläubigem Blick. Vor einem Monat verlor er seine Wohnung in Brauck und musste kurzfristig in einer Obdachlosenunterkunft unterkommen. Im Gespräch erzählt er, wie es dazu gekommen ist.
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Bei einem Blick auf Michaels Lebenslauf hätte vor wenigen Jahren wohl kaum jemand vermutet, dass der Gladbecker langzeitarbeitslos wird und auf der Straße landet – auch Michael selbst hätte niemals damit gerechnet. Er schloss in jungen Jahren eine Lehre zum Werkmechaniker ab, später schulte er zum Mechatroniker um. Jahrelang arbeitete er in einer Firma und verdiente „gutes Geld“. Doch dann ging seine Firma insolvent, plötzlich war Michael arbeitslos.
Gladbecker schämt sich aufgrund einer Krankheit, in der Öffentlichkeit unterwegs zu sein
Was den Gladbecker zusätzlich in eine Abwärtsspirale stürzte, war der Tod seines Vaters vor sieben Jahren, mit dem er bis heute zu kämpfen hat. „Mein Vater war mein bester Freund, ihm konnte ich alles anvertrauen. Ihn leiden und schließlich sterben zu sehen, hat mich innerlich zerbrochen“, erzählt Michael. Kurz nach dem Tod des Vaters brach an seinem ganzen Körper die Schuppenflechte aus, eine Hauterkrankung mit brennenden und juckenden, rote Stellen auf der Haut. Bis heute hat der Gladbecker damit zu kämpfen, bei Stress „explodiere“ die Krankheit.
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„Es ist mir sehr peinlich geworden, nach draußen zu gehen. Selbst wenn ich nur kurz in den Supermarkt muss, werde ich angeschaut, weil meine Hände schlimm aussehen“, so der 40-Jährige. Dies führe dazu, dass er sich immer weiter abschotte – besonders in der Sommerzeit, wenn alle Menschen in kurzen Klamotten unterwegs sind. Um die Krankheit in den Griff zu bekommen, muss er sich starke Medikamente spritzen. „Da war der liebe Gott wohl ein bisschen böse auf mich“, meint Michael nachdenklich.
Arbeitsloser Gladbecker bemüht sich seit Jahren um neuen Job
Trotz seiner Krankheit bemüht sich der Gladbecker seit Jahren um einen neuen Job, seine bisher über 60 Bewerbungen für unterschiedliche Jobangebote blieben meist unbeantwortet. „Ich würde gerne im handwerklichen Bereich bleiben, dafür habe ich mir sehr gute Voraussetzungen erarbeitet. Aber es gibt einfach keine guten Jobangebote“, erzählt der 40-Jährige. Deshalb ist er auf Bürgergeld angewiesen, zusätzlich bezahlte das Jobcenter seine alte Wohnung in Brauck.
Viele Jahre lang lebte er dort und war zufrieden, bis es vor einigen Wochen Probleme mit den Abrechnungen des Vermieters gab. „Die Abrechnungen wurden wohl nicht richtig erstellt, weshalb das Jobcenter die Miete nicht mehr zahlen wollte. Von meinem Bürgergeld konnte ich die Miete nicht bezahlen, sodass ich plötzlich ohne Wohnung dastand“, berichtet Michael. Zuerst habe er überhaupt nicht gewusst wohin, wollte nicht wahrhaben, auf Hilfe angewiesen zu sein. Die Caritas habe ihn jedoch freundlich behandelt und sofort unterstützt.
So zog er Ende Mai in ein Zweibettzimmer in einer Gladbecker Obdachlosenunterkunft. Zuerst hatte er große Bedenken wegen der neuen Wohnsituation: „Ich komme ja gar nicht aus dem Umfeld von Obdachlosen und wusste nicht, was mich erwartet. Aber ich wurde sehr nett empfangen und war froh, dort unterkommen zu können.“ Das Zimmer sei zwar dreckig gewesen, aber er habe alles geputzt und es sich so gemütlich gemacht, wie es eben gehe.
Seit Juli wohnt Gladbecker mit seiner Katze in eigener Wohnung
Schon nach kurzer Zeit vermittelte die Caritas ihm eine kleine Wohnung, die er Anfang Juli beziehen konnte – eine große Erleichterung für den Gladbecker. Hier kann Michael auch seine 21-jährige Katze endlich wieder bei sich haben: „Während ich in der Obdachlosenunterkunft gewohnt habe, ist sie bei meiner Mutter und meiner Exfreundin untergekommen, aber ich bin sehr glücklich, meine Katze jetzt wieder an meiner Seite zu haben. Sie hat wirklich alles miterlebt und gibt mir unglaublich viel Kraft.“
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504 Euro bekommt Michael im Monat vom Jobcenter überwiesen – davon zahlt er neben Strom und Internet seine Lebensmittel, Klamotten, Katzenfutter und Pflegeprodukte. Jeden Tag holt er sich bei der Wohnungslosenhilfe eine warme Mahlzeit ab, die übrigen Mahlzeiten sehen immer sehr ähnlich aus: „Ich kaufe immer die gleichen Produkte im Supermarkt: Brötchen, billige Wurst und Tiefkühlpizza. Ich ernähre mich leider sehr ungesund und habe auch schon zugenommen, seit ich so wenig Geld zur Verfügung habe. Aber drei Pizzen für drei Euro sind eben einfach günstiger als teures Obst oder Gemüse.“
Nur wenige Menschen aus Michaels Umfeld wissen von seiner Situation, zu sehr schäme er sich dafür. Früher, als er noch ein gutes Einkommen verdiente, habe er sich selbst oft gedacht, dass es doch kein Problem sei, einen Job zu finden. „Aber dann geht es plötzlich ganz schnell.“ Von seinen Mitmenschen wünsche er sich weniger Vorverurteilung, vielmehr sollten die Menschen erstmal hinterfragen, wieso eine Person arbeitslos oder obdachlos ist. „Man muss selbst in der Situation sein, um zu verstehen, wie sich das anfühlt. Wenn man einmal reinrutscht, ist es sehr schwer, wieder rauszukommen.“