Gladbeck. Mit gezerrtem Fuß vorbei an Schlangen quer durch die Sahara: Wie ein Gladbecker den „Marathon des Sables“ meisterte – als bester Deutscher.

Ein aufgeblasener weiß-roter Torbogen mitten in der Westsahara ist Isa Karabas’ Erlösung. Seine Knie haben den Gladbecker in den vergangenen sechs Tagen 234 Kilometer durch die marokkanische Wüste getragen. Und sie tragen ihn mit letzter Kraft über die rote, von feinem Sand bedeckte Ziellinie. Dahinter warten Wasser, ein schattiges Plätzchen im Zelt und die Gewissheit: Karabas hat einen der härtesten Marathons der Welt als bester Deutscher bewältigt.

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Kurz nach der fünften Etappe – der letzten, die in die Wertung einfließt – steht der 48-Jährige hinter dem Zielbogen. Er trägt einen schwarzen Rucksack, eine weiße Kappe und ein gelbes Laufshirt mit seiner Startnummer auf dem Bauch: 559. Mit seinen Händen spannt Karabas eine türkische und deutsche Flagge, die er zusammengenäht hat, und er lächelt in die Kamera des Veranstalters. Auf der Medaille, die er um den Hals trägt, ist sein Triumph verewigt: „The legendary Marathon des Sables“.

Gladbecker belegt 71. Platz beim „Marathon des Sables“

Viele Läufer scheitern beim „Marathon des Sables“ an der Hitze, an mangelnder Verpflegung oder schier an der extremen Distanz: Insgesamt 243 Kilometer mussten die Teilnehmer dieses Jahr durch die Wüste laufen, verteilt auf sechs Etappen an sieben Tagen. Von 1085 Startern schafften es 765 über die Ziellinie. Isa Karabas aus Gladbeck-Butendorf ist einer von ihnen. Sein Resultat: Platz eins unter den deutschen Teilnehmern, Platz 22 in seiner Altersklasse, Platz 71 insgesamt.

9Karabas läuft, seitdem er 15 ist, nimmt schon seit mehr als 30 Jahren an Marathons teil und hat rund 200 Lauf-Wettkämpfe in den Knochen. Trotzdem war der Sahara-Marathon in Marokko für ihn ein einmaliges Erlebnis. Der 48-Jährige hat viele Fotos aus Marokko mitgebracht und vom Lauf, der schon drei Wochen zurückliegt, erzählt er noch heute lebhaft – so auch im Gespräch mit der WAZ.

Trotz Verletzung kann Isa Karabas starten

Dabei musste er bis zum letzten Moment um die Teilnahme am Extremlauf bangen. „Ich bin am ersten Tag im Hotel im Bad ausgerutscht“, berichtet Karabas. Sein linker Fuß schwoll an und färbte sich blau. „Es war so schlimm, dass ich dachte, ich könnte nicht laufen.“

Nach drei Tagen Ruhepause suchte er einen Arzt auf. Das Ergebnis der Untersuchung: kein Bruch, aber eine heftige Zerrung. Kein Grund zur Aufgabe für den Gladbecker: „Wir haben den Fuß mit Tape eingewickelt. Ich wollte unbedingt laufen, wenigstens die erste Etappe.“ Er sollte mehr als nur eine Etappe schaffen, auch, weil er sich zu helfen wusste: „Ich bin wegen der Steine dauernd umgeknickt. Deswegen habe ich versucht, nur noch den rechten Fuß zu belasten.“

Isa Karabas hat sich mit einer Zerrung im Fuß durch die Sahara gequält. Nachts hat er in einem Zelt des Veranstalters geschlafen.
Isa Karabas hat sich mit einer Zerrung im Fuß durch die Sahara gequält. Nachts hat er in einem Zelt des Veranstalters geschlafen. © Birgit Hermann

Der Veranstalter stellt ein offenes Zelt für die Nacht bereit und versorgt die Läufer etwa alle zwölf Kilometer mit Wasser an Checkpoints. Essen, ein Notfallset und weitere maximal drei Liter Wasser pro Etappe müssen die Läufer selber tragen – in einem Rucksack, der zwischen 6,5 und 15 Kilogramm wiegen muss.

Mit Schlangenbiss-Set und Tütennahrung durch die Sahara

Karabas’ Rucksack wog 8,375 Kilogramm vor dem Start, also ohne zusätzliches Wasser. 14.500 Kilokalorien aus Tütennahrung und Powerriegeln trug er auf dem Rücken, gut 2000 Kalorien pro Tag. „Das reicht zum Überleben, aber mehr durften es ja nicht sein, sonst wäre der Rucksack zu schwer gewesen“, erklärt er. Außerdem im Gepäck: Kompass, Messer, Stirnlampe, Batterien, Schlafsack und ein Schlangenbiss-Set. Letzteres hätte der 48-Jährige fast gebraucht: „Ich bin nur ganz knapp an zwei Schlangen und Skorpionen vorbeigelaufen.“

In diesem Rucksack hat Isa Karabas seine Utensilien und Verpflegung für sieben Tage Marathon mitgenommen.
In diesem Rucksack hat Isa Karabas seine Utensilien und Verpflegung für sieben Tage Marathon mitgenommen. © Nick Kaspers

Nach der ersten Etappe, als das Thermometer 52 Grad in der Mittagssonne angezeigt habe, merkt der Gladbecker: „Die Hitze hat mir wenig ausgemacht.“ Gegessen habe er immer direkt nach dem Lauf und kurz vor dem Schlafengehen. Mit den drei Litern Wasser sei er während des Laufs gut ausgekommen. Kein Wunder, denn Extremsituationen sind für den 48-Jährigen nicht neu.

1990 sei er zum ersten Mal bei einem Marathon mitgelaufen, damals noch mit Straßenschuhen. Darauf folgten immer mehr Läufe in immer mehr Städten. „Irgendwann wurde ich nicht mehr besser, deswegen musste ich extremer werden.“ Zuerst ein Skate-Marathon, dann der erste Ironman, dann der erste Doppelmarathon. Aus dem Läufer Karabas wurde ein Ultraläufer mit einem Traum: einmal beim „Marathon des Sables“ in Marokko mitlaufen.

48-Jähriger nutzt reguläre Marathons als Training

Seit Anfang 2022 habe der 48-Jährige für den Wüstenlauf trainiert: „Ich laufe unter der Woche jeden Tag zwölf Kilometer nach der Arbeit, am Samstag und Sonntag dann jeweils mindestens 30 Kilometer.“ Auch reguläre Marathons wie in Duisburg oder Köln nutzte Karabas als Training. Er habe versucht, während der 42 Kilometer mit nur drei Bechern Wasser auszukommen. „Damit wusste ich, dass ich auch die Etappen in der Wüste mit wenig Wasser schaffen werde.“

Bei der vierten und längsten Etappe konnte Karabas dann doch sämtliches Training vergessen. 90 Kilometer Sandmeer lagen vor seinen Füßen. Im Wellenrhythmus folgte eine Düne nach der nächsten, so erzählt er es heute. Als es Nacht wurde, habe er sich mit der Stirnlampe den Weg erleuchtet. „Irgendwann wurde das Wasser knapp.“ Fortan habe er nur noch daran gedacht, wie weit es noch bis zum nächsten Checkpoint ist. Nach 15 Stunden Dauerlauf kam das rettende Ufer.

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Schon einen Tag später, nach weiteren 42 Kilometern durch die Sahara, hatte es Isa Karabas geschafft. Danach kam nur noch die neun Kilometer lange Charity-Etappe, die aber nicht mehr zur Wertung zählt. „Im Zelt hinter der Ziellinie der fünften Etappe haben mich die anderen Läufer und Einheimischen mit Tee begrüßt“, erinnert er sich. Dort traf er auch auf einen alten Bekannten: Auf den Arzt, der Karabas vor dem Start den Fuß bandagiert hatte. „Wir haben uns sofort umarmt, dann kamen mir die Tränen.“

Extremsportler will nicht aufhören und hat weitere Ziele

Zwei Tage nach dem Ende des Laufs, am 1. Mai, ließ sich der 48-Jährige in die Sitze des Flugzeugs fallen, das ihn nach Hause brachte. Gegen 23 Uhr sei er in Gladbeck angekommen. Sechs Stunden später klingelte der Wecker: „Ich wollte unbedingt zur Arbeit, um alles zu erzählen.“ Und nach der Arbeit, klar: „Da habe ich wieder meine Zwölf-Kilometer-Runde gedreht.“ Schließlich will er dieses Jahr noch Marathons laufen, aber nicht in der Wüste, sondern in Duisburg, Köln und Essen.

Mit dem Sahara-Marathon hat Isa Karabas das wohl größte Ziel seiner Laufkarriere erreicht. Damit soll aber noch nicht Schluss sein. Er will unbedingt noch beim New-York-City-Marathon und Ironman Hawaii teilnehmen. „Härter als in der Wüste werden die beiden natürlich nicht. Die will ich vor allem für die Atmosphäre machen“, sagt er.

In wenigen Tagen wird der Gladbecker 49 Jahre alt. Eine Altersgrenze setzt er sich nur für den Extremsport: „Den mache ich maximal, bis ich 60 bin.“ Seine Laufschuhe im Schrank verbannen will er dann aber noch nicht: „Solange ich keine Schmerzen habe, werde ich mit dem Sport nie aufhören.“

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