Gladbeck. Schülerinnen und Schüler der Anne-Frank-Realschule lernen in einem Kurs das soziale Miteinander. Was sie erfahren –warum ein Kurs heute nötig ist.

Florian und Julian sitzen im Auto. Florian fährt, nur im Moment nicht. Die Ampel ist rot. Dann springt sie auf Grün, Julian grummelt vom Beifahrersitz: „Is’ Grün“. Florian blafft zurück: „Ich seh’ doch, dass die grün ist“. Szenen einer Ehe. So, wie sie sich täglich tausendfach in deutschen Autos abspielen.

Zugegeben, vielleicht nicht ganz so wie bei Florian und Julian. Die beiden Neuntklässler sitzen im Klassenraum der Anne-Frank-Realschule und nicht im Auto. Verheiratet sind sie auch nicht. Aber wenn sie dann mal „in echt“ neben der Liebsten hocken und die Ampel auf Grün springt, sollen sie vorbereitet sein. Dafür übernehmen die Trainerinnen von „Dein perfekter Auftritt“, ein Benimmkurs der Malteser – am Dienstag auch in Gladbeck.

Gladbecker Schüler lernen die Bedeutung ihrer Worte kennen

Gabriele vom Brauck seziert das Rollenspiel mit Florians und Julians Mitschülerinnen und Mitschülern. „Auf welcher Ebene hat Julian am Anfang gesprochen“, will sie wissen. Auf der Sachebene, antworten die Schüler, vor ihnen liegt Schulz von Thuns berühmtes Sender-Empfänger-Modell. Die vier Seiten einer Nachricht. Ein Blick darauf zeigt: Was Julian auf der Sachebene ganz hilfsbereit gesendet hat, hat Florian auf der Appell- und Beziehungsseite empfangen, also ungefähr: „Du fährst nicht schnell genug an und kannst sowieso nicht Auto fahren.“

Kickstart in die Ehekrise: Julian (l.) und Florian übernehmen beim Rollenspiel des Benimmtrainings in der Gladbecker Anne-Frank-Realschule den Part eines Ehepaares im Auto. Die Lehre daraus: Was der eine sagt, muss nicht zwangsläufig das sein, was der andere versteht.
Kickstart in die Ehekrise: Julian (l.) und Florian übernehmen beim Rollenspiel des Benimmtrainings in der Gladbecker Anne-Frank-Realschule den Part eines Ehepaares im Auto. Die Lehre daraus: Was der eine sagt, muss nicht zwangsläufig das sein, was der andere versteht. © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

Mit Schulz von Thun gerüstet lernen die Jugendlichen, besser zu kommunizieren. Genau so aber auch, besser zu hören. Zum Beispiel, indem sie mal die Gegenseite erleben. Mariella wirft einen Satz in den Raum. Die ewige Geißel ungezählter Elterngenerationen: „Mach’ ich gleich“. Im Rollenspiel kriegt Lenny als Vater diesen Satz gleich mehrfach von seinem Schauspielsohn Florian zu hören. Bis ihm nur noch einfällt, mit Sanktionen zu drohen. Erhellte Mienen. Ach, so fühlt sich das also an.

Knigge in Gladbeck: Wie macht man richtig Smalltalk?

Im Raum nebenan, im Kurs von Trainerin Dorothee Jacobi, geht es weniger akademisch zu. Die Gruppe feilt an ihren sozialen Künsten. Szenario: Kevin hat seine Oma davon überzeugt, seinen Freund Dennis zu ihrem Geburtstag einzuladen. Dennis klingelt, Oma öffnet: „HalloichbinDennisvielenDankfürdieEinladung.“ Ein Satz wie ein D-Zug. Tipps gibts von Dorothee Jacobi und Dennis’ Mitschülern: langsamer und deutlicher reden. Als Bonus, auch für ältere Semester, noch ein kleiner Knigge-Kniff: Blumensträuße niemals verpackt abgeben, das ist unhöflich.

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Nun ist die Begrüßung also überstanden, aus Omas Geburtstagsfete wird die Weihnachtsfeier des Ausbildungsbetriebs. Schon bald Lebensrealität für die Neuntklässler. Souverän auftreten können sie schon, jetzt geht es ans Salz in der gesellschaftlichen Suppe: Smalltalk. Erstmal Themen sammeln. Wetter? Na klar, wissen auch die Schüler. Sport? Auch gut. Das Erdbeben in der Türkei? Schwierig. „Das Thema bewegt natürlich die Menschen. Aber es ist sehr tragisch, kein gutes Smalltalk-Thema“, sagt Jacobi. Und politische Themen? Auf keinen Fall. Smalltalk-Gift. Emily nimmt sich das im Rollenspiel mit der Trainerin zu Herzen. Und das funktioniert „hervorragend“, lobt Dorothee Jacobi. Weil Emily ein anderes, universelles Smalltalk-Thema bedient, den Urlaub. Friseure deutschlandweit nicken anerkennend.

Spaghetti L’Invisibile: Beim imaginären Mittagessen des Benimmkurses an der Anne-Frank-Realschule in Gladbeck gibt’s Pasta und Kommunikationsmodelle.
Spaghetti L’Invisibile: Beim imaginären Mittagessen des Benimmkurses an der Anne-Frank-Realschule in Gladbeck gibt’s Pasta und Kommunikationsmodelle. © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

Manieren-Training in Gladbeck: Jugendliche lernen sie zu Hause nicht mehr

Aber wieso überhaupt der ganze Zauber? „Es ist eine schleichende Entwicklung. Kinder und Jugendliche lernen bestimmte grundlegende Dingezu Hause nicht mehr“, sagt Petra Schwarz. Sie ist Hospitantin, will also selbst Trainerin werden. „Die Kinder begehen diese Fehltritte nicht böswillig. Das ist reines Nichtwissen.“ Und als Belohnung gibt es zum Schluss ja auch ein gemeinsames Abendessen.

In vier Modulen lernen die Schüler dann also, was sie zu Hause eher nicht mehr lernen. Den Umgang miteinander. Wie man richtig telefoniert. Oder sich bewirbt. Aber auch, wie man ein guter Gastgeber ist, einen Tisch deckt oder sich an einer gedeckten Tafel nicht blamiert. Mimik, Körpersprache, alles dabei. Und eben, wie man auf eine grüne Ampel hinweist. Mit Liebe nämlich.

>> SO KÖNNEN SIE BENIMMTRAINER WERDEN

  • Die Malteser suchen, gemeinsam mit der Aktion Mensch, ehrenamtliche Benimmtrainer in Gladbeck.
  • Die neuen Kurse werden sich an Vorschulkinder richten, um dem Nachwuchs noch früher Manieren beizubringen.
  • Mehr Informationen gibt es bei Projektleiterin Marion Wiemann unter 0201/82 0 47 26 oder im Internet unter dein-perfekter-auftritt.de.