Gladbeck. Ein Gutachter untersuchte die Effektivität der Bearbeitung von Patientenanfragen in Gladbecker Praxen. Auftraggeber war das Gladbecker Ärztenetz.
Die niedergelassenen Ärzte und ihre Teams in Gladbeck müssen sich durch die Digitalisierung im Medizinwesen, höhere Patientenzahlen und eine gestiegene Erwartungshaltung einer zunehmenden Arbeitsverdichtung stellen. Das Gladbecker Ärztenetz (Glanet) hat sich mit dem Thema beschäftigt. Ein beauftragter Gutachter nahm exemplarisch Praxen in Gladbeck und ihre Arbeitsabläufe unter die Lupe. Mit dem Ziel, auch Positivbeispiele zu finden, die die Abläufe für Patienten und Praxen verbessern können.
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„Um ein möglichst aussagekräftiges Bild für eine Ist-Analyse zu erhalten, haben wir acht Praxen herausgesucht, die in etwa den Querschnitt unserer rund 60 Mitglieder abbilden“, berichtet Allgemeinmediziner Gregor Nagel, Sprecher des Ärztenetzes. Der von Glanet beauftragte Consulter suchte Einzel- und Gemeinschaftspraxen von Allgemeinmedizinern und Spezialisten auf, um festzustellen, wie und mit welcher Effektivität Patientenanfragen bearbeitet werden.
Das Ergebnis wurde den Ärzten bei der Mitgliederversammlung präsentiert
Dabei sei es etwa um die Erreichbarkeit über verschiedene Kanäle wie Telefon, Fax, E-Mail oder WhatsApp gegangen. Das Ergebnis wurde vom Gutachter jetzt bei der Glanet-Mitgliederversammlung präsentiert. Was beruhigen konnte: Beim Qualitätsmanagement fiel quasi keiner der besuchten Kandidaten durch, „alle Praxen wurden aufgrund langjähriger Übung als insgesamt gut aufgestellt bewertet“, so Nagel. Gleichwohl seien einerseits aber auch diese oder jene Optimierungsmöglichkeiten aufgefallen und andererseits vorbildliche Abläufe (Best Practice) festgestellt worden, die als Beispiele benannt wurden.
Für die meisten Patienten sei die Erreichbarkeit der Praxen ganz wichtig und unbefriedigend, wenn es beim Anruf dauere, „bis eine medizinische Fachangestellte in der Leitung ist“, erzählt Nagel. Um hier die Anrufströme besser kanalisieren zu können, sei es sinnvoll, automatische Abfragen vorzuschalten oder ein reines Rezepttelefon (Best Practice) einzurichten. Denn es mache einen Unterschied, „ob der chronisch erkrankte Patient nur ein neues Rezept benötigt oder ob aufgrund akuter Erkrankung ein schneller Termin nötig ist – und für diese wichtigen Mitteilungen dann eine Telefonleitung frei zu halten ist“.
Viele Patienten erwarteten auch mehr digitalen Service
Viele Praxen seien auch Internet-Portalen wie Doctolib angeschlossen, über die online Termine reserviert werden könnten. Dieser Service habe aber seine Grenzen, da eine allgemeine Konsultation gebucht werden könne, „aber kein Direkttermin für eine ambulante Ultraschalluntersuchung“. Viele Patienten erwarteten auch mehr digitalen Service, etwa über die seit Jahren propagierte elektronische Versichertenkarte. Hier hinke die Realität in Deutschland aber leider den Ansprüchen hinterher. Die Kartenlesegeräte und die Karten selbst seien schon drei Mal ausgetauscht worden. „Und das Erstellen einer elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung funktioniert z. B. immer noch nur teilweise“, so Nagel, der Aufwand sei höher als beim simplen bisherigen Ausdruck (der zudem meist weiter erfolgen müsse). Das E-Rezept funktioniere gar nicht, sei ausgesetzt aufgrund von Sicherheitsbedenken des Datenschutzbeauftragten.
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Auch das E-Mail-Verfahren über den Dienst Kommunikation im Medizinwesen (KIM) für den abgesicherten Austausch von sensiblen Informationen wie Befunden, Bescheiden, Abrechnungen und Röntgenbildern zwischen verschiedenen Ärzten bzw. medizinischen Einrichtungen benötige wegen umständlicher Datenschutz- und Sicherheitsvorgaben (z. B. individuelle Pin-Identifikationscodes) viel Zeit. Nagel zeigt mit Blick in die Niederlande, wie es besser gehen könnte. Ein Patient habe für eine Auslandsreise einen Impfschutz benötigt. Bei dem Mann aus Holland sei es eine Sekundenangelegenheit gewesen, „zu ermitteln, wogegen noch Immunität besteht“. Über sein Handy habe er ruckzuck abrufen und auflisten können, „welche Impfungen seit seiner Geburt wann und wogegen erfolgt sind“.
In allen begutachteten Praxen sind die medizinischen Fachangestellten hoch belastet
Nagel bittet auch um eine realistische Erwartungshaltung bei den Patienten, die trotz fortschreitender Digitalisierung nicht meinen könnten, „dass die Arztpraxen an 24 Stunden und sieben Tagen in der Woche für alle Wünsche zur Verfügung stehen“. Und wer via Mail ein Rezept beantragt, könne nicht nach zehn Minuten in der Praxis stehen und sich wundern, „dass seine Anfrage noch nicht bearbeitet ist“. Der Gutachter habe festgestellt, „dass in allen besuchten Praxen die medizinischen Fachangestellten hoch belastet sind“. Dafür nennt Gregor Nagel Gründe.
„Die Aufgaben für die Arztpraxen werden immer vielfältiger“, da etwa für definierte chronische Krankheitsbilder Chronikerprogramme mit Behandlungsvorgaben aufgelegt worden seien – „und auch Vorsorgeuntersuchungen immer umfangreicher werden“. Ein weiterer Fakt sei, dass die Gesellschaft immer älter werde und somit die Anzahl der altersbedingten Erkrankungen und deren Behandlungen zunehme. Für weitere Belastung sorge das Entlassmanagement in Krankenhäusern mit reduzierten Liegezeiten, so dass der Patient dann zu Hause vom Haus- oder Facharzt weiterbehandelt werde. Man bemühe sich in den Arztpraxen, die Verfahrensabläufe zu optimieren und zu standardisieren, so Nagel abschließend. „Am Ende hat man aber keinen Computer, sondern einen Menschen am Telefon oder im Behandlungszimmer, der auch mal mehr Zeit und Zuwendung benötigt.“