Gladbeck. Die Pflegeheimbetreiber können die Preisexplosion bei Strom und Gas nicht abfedern. In Gladbeck steigen die Kosten pro Heimplatz deutlich.

Die drastisch gestiegenen Energiekosten belasten in besonderer Weise auch die Pflegeheime für Senioren. Betreiber in Gladbeck schlagen Alarm, dass die exorbitant gestiegenen Preise für Strom und Gas dazu führen, dass die alten veranschlagten Pflegesätze nicht mehr zu halten sind. Die Belastungen müssten weitergegeben werden, um nicht in finanzielle Schieflage zu geraten. Unterm Strich bedeutet dies, dass die monatlichen Kosten pro Heimplatz deutlich steigen.

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„Selbstverständlich bemühen wir uns in den Einrichtungen jetzt besonders, möglichst wenig Energie zu verbrauchen“, sagt Mechtild Eckholt, Leiterin des Eduard-Michelis-Hauses mit 120 Bewohnerinnen und Bewohnern und elf Kurzzeitpflegeplätzen. Nun, wo es kälter werde, solle etwa darauf geachtet werden, „die Fenster nicht längerfristig auf Kipp stehen zu lassen“. Und Gruppenräume wie private Wohnräume sollten „drei Mal am Tag gezielt stoßgelüftet werden, wenn die Bewohner sich je anderweitig aufhalten“. Wie in Büroräumen die Temperatur der Heizung drastisch auf 19 Grad zum Energiesparen herunter zu drehen, „das ist in Seniorenheimen nicht möglich“, so Eckholt.

Betagte Menschen haben ein ganz anderes Wärmebedürfnis

Betagte und immobile Bewohner in einem Pflegeheim haben ein anderes Wärmebedürfnis als noch aktive Menschen (Symbolbild).
Betagte und immobile Bewohner in einem Pflegeheim haben ein anderes Wärmebedürfnis als noch aktive Menschen (Symbolbild). © epd | Juergen Blume

Denn betagte Menschen, die sich nur noch wenig bewegten, hätten ein ganz anderes Wärmebedürfnis als aktive Menschen. „Bei einem Maximum von 24 Grad sollte eine Temperatur von 22 Grad nicht unterschritten werden“, sagt Mechtild Eckholt. Die Kosten für die Heizung sind für Martin Runde, Geschäftsführer der Eduard Michelis gGmbH, aber noch nicht das drängendste Problem. „Wir sind in der glücklichen Lage, dass der Vertrag mit unserem Gasversorger noch bis Ende 2023 läuft.“ Anders sehe es indes beim Stromtarif aus, der zum Jahresende auslaufe. Und eine große Einrichtung wie das Michelis-Haus verbrauche rund 600.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr. „Mit bisherigen Kosten von 12.000 Euro pro Monat und somit gut 140.000 Euro im Jahr“, rechnet Runde vor. Mit der beabsichtigten Reaktivierung von Atomkraftwerken hoffe man auf fallende Strompreise, müsse derzeit aber davon ausgehen, „dass sich die Stromkosten für das Haus in Gladbeck wohl verfünffachen werden, auf eine Jahresbetrag von dann 700.000 Euro“.

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Dies bedeute im Weiteren, dass die bisherigen Pauschalen der auf die Bewohner umgelegten Energiekosten nicht mehr zu halten seien. Diese liegen im Pflegesatz derzeit bei etwa 60 Euro pro Monat, was bei einer Verfünffachung eine Erhöhung auf 300 Euro bedeuten würde. Die Kostenlawine sei auch vergangenen Freitag Thema bei der Gesellschafterversammlung der Ruhrgebietskonferenz Pflege gewesen, einer verbands- und trägerübergreifenden, unabhängigen Arbeitgeberinitiative mit rund 40 öffentlichen und privaten Pflegeunternehmen aus dem gesamten Ruhrgebiet. Hier hätten die Mitglieder steigende Energie-Monatspauschalen von 200 bis 500 Euro genannt, je nachdem, wie ihre Einrichtungen bei Gas- und Stromverträgen derzeit aufgestellt seien.

„Sorgenvoll betrachten wir die Gefahr eines erhöhten Eigenanteils für unsere Bewohner“

Rainer Knubben, Vorstand des Caritasverbandes Gladbeck, fordert, dass die Pflegesätze an die Kostensteigerungen angepasst werden.
Rainer Knubben, Vorstand des Caritasverbandes Gladbeck, fordert, dass die Pflegesätze an die Kostensteigerungen angepasst werden. © FUNKE Foto Services | Thomas Schmidtke

„Unsere Energiekosten im Marthaheim und Vinzenzheim in Gladbeck sind im Jahr 2022 erheblich gestiegen. Wir erwarten eine weitere Steigerung für das Jahr 2023“, berichtet auch Sebastian Schwager, kaufmännischer Geschäftsführer des Diakonischen Werkes Gladbeck-Bottrop-Dorsten. „Sorgenvoll betrachten wir die Gefahr eines daraus bedingten erhöhten Eigenanteils für unsere Bewohnerinnen und Bewohner und hoffen auf eine politische Lösung“, so Schwager. Man werde noch dieses Jahr in neue Pflegesatzverhandlungen treten. Martin Runde erklärt, dass Pflegeheime bei ihren ein Jahr im Voraus gegenüber den Pflegekassen zu veranschlagenden Kostenberechnungen keinen Risikoaufschlag wie Privatunternehmer einplanen dürften. So bestehe auch kein Puffer, um unerwartete Preisanstiege abzufangen „Wir müssen unsere Kosten weitergeben, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Denn wenn diese nicht gegenfinanziert werden, kann es für eine Pflegeeinrichtung ganz schnell existenzbedrohend werden“, unterstreicht der Geschäftsführer.

Auch Lebensmittelkosten gestiegen

Caritasdirektor Rainer Knubben sagt, dass durch die Energiekrise auch die Lebensmittelkosten für die Pflegeheime in Gladbeck enorm gestiegen seien. „Unser Küchenchef hat die Rechnungen ausgewertet und eine Steigerung von 35 bis 40 Prozent ermittelt.“ Er fragt, wie er bei den alten, mit einem Jahr Vorlauf angesetzten Pauschalen für die Pflegekosten, auch eine solche Preisexplosion im Budget hätte vorausahnen sollen?

Auch Martin Runde vom Michelis-Haus spricht von gestiegenen Lebensmittelkosten. „Wir bemühen uns diese möglichst moderat zu halten, indem kostenintensive Produkte wie Fleisch weniger verwendet werden.“ Außerdem versuche man den allgemeinen ausgewogenen Essenstandard zu halten, „indem wir dann eben nicht mehr beim Landwirt vor Ort ordern, sondern beim kostengünstigeren Großhändler einkaufen“.

Die Pflegekassen müssten aufgrund der nicht vorhersehbaren hohen Kostensteigerung bereit sein, ihre Pflegesätze an die neue Situation anzupassen und anzuheben. Das verlangt auch Rainer Knubben, Vorstand des Caritasverbandes Gladbeck, „da massiv höhere Kosten für die betriebenen Pflegeheime auf uns zukommen, da unser Gasversorger den bisherigen Vertrag zum 1. Oktober gekündigt hat“. Die ein Jahr im Voraus mit den Pflegekassen verhandelten Pflegesätze würden für das St.-Altfrid-Haus noch bis Ende Februar, für das Van-Acken-Haus sogar bis Ende Juli gelten, hier müssten Nachverhandlungen aufgrund der besonderen Situation möglich werden. „Jetzt das komplette Risiko auf die Pflegeheimbetreiber abzuwälzen, so kann es nicht gehen“, kritisiert Knubben. „Keiner will doch ernsthaft, dass eine Pflegeeinrichtung schließen muss.“ Man versuche als Wohlfahrtsverband auf allen politischen Ebenen Einfluss zu nehmen, um eine Lösung zu finden, etwa in Form eines Rettungsschirmes von Land und Bund.

Ein „Sondervermögen für die Pflege“, um die Kostenlawine zu bremsen

Die Ruhrgebietskonferenz Pflege hat ein „Sondervermögen für die Pflege“ vorgeschlagen, um die Kostenlawine für die Pflegeunternehmen und ihre Kunden zu bremsen. Knubben wie Runde sagen, dass es sich auch um eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung handele. Denn in einer Kommune wie Gladbeck würde die öffentliche Hand durch die höheren Pflegekosten belastet, da deutlich mehr als ein Drittel der Seniorenheimbewohner Sozialhilfe beziehen würden. Kosten, die zunehmen, warnt auch die Ruhrgebietskonferenz Pflege. Denn viele noch selbstzahlende Altenheimbewohner könnten die Preisexplosion mit ihren knappen Einkommen nicht mehr stemmen, müssten Hilfe zur Pflege in Anspruch nehmen. Und dies werde die Kommunen, wenn nicht gegengesteuert werde, in einem noch nie dagewesenen Maße belasten.