Gladbeck. Engagierte Gladbecker organisieren in einem leerstehenden Ladenlokal ehrenamtliche Hilfe. Ukraine-Flüchtlinge erhalten Sach- und Nahrungsspenden.

Wenige Männer, dafür umso mehr Frauen jeden Alters, teils mit Kindern, stehen in einer kleinen Menschentraube geduldig vor dem ehemaligen Gemüse- und Obstgeschäft an der Hochstraße 50. Rund 120 Familien werden es an diesem Tag sein, die das gleiche Schicksal teilen. Woher sie stammen zeigen auch die bunten Kinderzeichnungen mit vielen blau-gelben Flaggen und Infozettel mit kyrillischen Buchstaben, die im Schaufenster hängen. Sie alle sind Flüchtlinge aus der Ukraine, die regelmäßig zum Ladenlokal an der Fußgängerzone in Gladbeck kommen. Denn hier erwartet sie eine kostenlose Lebensmittel- und Spendenausgabe, rein ehrenamtlich auf die Beine gestellt durch engagierte Gladbecker Bürger.

Motor des Ganzen ist Sina Mind, die auch in der Fluthilfe Gladbeck aktiv war. Die Gladbeckerin hatte zunächst vor, in dem Ladenlokal ein ehrenamtlich geführtes Café für Kinder anzubieten. Um dabei zu unterstützen, Coronalücken von Schulkindern auszugleichen. Dann kam der Überfall auf und die Fluchtbewegung aus der Ukraine, so dass die geplante Anlaufstelle „Lichter-Kinder“ für die Unterstützung von Neuankömmlingen aus der Ukraine umfunktioniert wurde. Der Kurzname für die ursprünglich angedachte Nutzung hat sich irgendwie gehalten, so das alle Begünstigten davon sprechen, dass sie heute wieder zum „LiKi“ gehen. Mittlerweile sind es 164 ukrainische Familien, rund 600 Menschen.

Möbel- und Kleiderspenden werden gesammelt

Sina Mind (rotgefärbte Haare, Blümchenkleid) inmitten des Teams ukrainischer Helferinnen und Helfer die die Anlaufstelle tzatkräftig unterstützen.
Sina Mind (rotgefärbte Haare, Blümchenkleid) inmitten des Teams ukrainischer Helferinnen und Helfer die die Anlaufstelle tzatkräftig unterstützen. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Angefangen habe alles „mit Ruslan, seiner Frau Olga, ihren drei Kindern und Müttern, die im März nach Gladbeck kamen“, erzählt Sina Mind. „Sie hatten nur Weniges mitnehmen können, brauchten eine Wohnung und Einrichtung.“ Die Gladbeckerin aktivierte ihre Kontakte, ihr Bekannter Lars Wilke stellte eine Wohnung zur Verfügung, das DRK Gladbeck kostenlos zehn Feldbetten (die bis heute im Einsatz sind). Über Spendenaufrufe wurden und werden Möbel und Kleidung gesammelt und bei Bedarf ausgegeben. Durch das Netzwerk der geflüchteten Ukrainer war schnell klar, dass weitere ihrer Landsleute nach Gladbeck kommen und weitere Spenden gute Hilfe leisten könnten. Markus Kaiser, Inhaber der Immobilie Hochstraße 50, stellte das Ladenlokal kostenlos als Depot und Ausgabestelle zur Verfügung. Die Foodsaver um Jaqueline Hell aus Gladbeck versorgen das „LiKi“ regelmäßig mit Lebensmittelspenden, so dass sich eine geregelte Nahrungsmittel-Ausgabe etabliert hat, nicht nur für Geflüchtete aus der Ukraine.

Geduldig und ruhig warten die begünstigten Ukraine-Flüchtlinge, bis sie an der Reihe sind. Sie werden nach und nach parweise eingelassen und können sich über einen an sie ausgegeben Ausweis als spendenberechtigt legitimieren.
Geduldig und ruhig warten die begünstigten Ukraine-Flüchtlinge, bis sie an der Reihe sind. Sie werden nach und nach parweise eingelassen und können sich über einen an sie ausgegeben Ausweis als spendenberechtigt legitimieren. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

„Wir haben Dienstag und Donnerstag jeweils um 13 Uhr Lebensmittel-Ausgabe für Menschen aus der Ukraine, an den anderen Tagen versorgen wir Gladbecker Bürgerinnen und Bürger im Alter von mehr als 60 Jahren mit den Foodsharing-Spenden.“ Ein Ersatz für das noch nicht wieder angelaufene Tafelangebot könne aber nicht geleistet werden, „das schaffen wir räumlich und personell nicht“, so Sina Mind. Aus dem Projekt ist auch so etwas wie Selbsthilfe geworden, denn ein Stamm von etwa 30 Ukrainerinnen und Ukrainern engagiert sich regelmäßig bei Essensausgabe und bei Abholfahrten von Möbel-Spenden. Dafür stellt der Gladbecker Malermeister Peter Münch regelmäßig nach Geschäftsschluss seinen Transporter zur Verfügung.

Die Flucht aus der Ukraine erfolgt auch aus wirtschaftlicher Not

In der Schlange warten auch Alina (33 aus Kiew) und Vera (57 aus Charkow) geduldig auf die Lebensmittelausgabe. Sie sind „sehr dankbar für die freundliche Aufnahme und Hilfe“.
In der Schlange warten auch Alina (33 aus Kiew) und Vera (57 aus Charkow) geduldig auf die Lebensmittelausgabe. Sie sind „sehr dankbar für die freundliche Aufnahme und Hilfe“. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Mit dabei ist auch Roman, der Ende Juli mit seiner Frau und den drei Kindern aus Kiew nach Gladbeck flüchtete. Obgleich die Familie auch Raketen habe fliegen sehen, sei es letztlich vor allem der wirtschaftliche Druck gewesen, und die Not, die Familie nicht mehr ernähren zu können, die zum Verlassen der Heimat bewogen haben, erzählt der 41-Jährige, der mit seinem sehr guten Deutsch auch beim Pressetermin als Übersetzer fungiert. Das Sprachtalent berichtet, dass er hauptsächlich als Übersetzer gearbeitet habe, für Betriebsanleitungen von aus Russland importierten bzw. aus der Ukraine exportierten Produkten. Mit dem Krieg sei der nachbarschaftliche Handel abrupt abgebrochen, so dass er keine Arbeit und kein Einkommen mehr gehabt habe. Die Ersparnisse waren schnell aufgebraucht. Ihm sei im „LiKi“ wunderbar geholfen worden.

+++ Folgen Sie der WAZ Gladbeck auch auf Facebook+++

„Sehr dankbar für die freundliche Aufnahme und Hilfe“ sind auch Alina (33 aus Kiew) und Vera (57 aus Charkow), die geduldig in der Schlange warten. Alina ist mit ihrem Sohn gerade aus der Notunterkunft in eine Wohnung umgezogen. In der fehle alles, „alles leer, keinerlei Möbel und noch nicht einmal Lampen in den Fassungen an der Decke“, berichtet die junge Frau. Bis es Hilfe vom Amt gebe, das könne dauern, weiß Sina Mind. Im „Liki“ wird hingegen sofort geholfen, vorhandenes Spenden-Mobiliar wird auch noch am Einzugstag gebracht. Apropos: Benötigt werden weitere Kühlschränke, Küchenmobiliar und Betten, die neuen Lattenroste und Matratzen spendet das Fachgeschäft Traumwerkstatt Terhardt. Das Kleiderkammer-Team freut sich über Sommerkleidung für Damen in den Größen M und L, zudem für Mädchen in Größe 116 bis 164 (Kontakt für Spender 0177 32 80 735).

Ein gemeinnütziger Verein steht vor der Gründung

Bunte Zeichnungen von geflüchteten Kindern hängen im Schaufenster. Sie haben auch ihre Wünsche aufgeschrieben: Frieden und schnell wieder nach Hause zurückkehren zu können.
Bunte Zeichnungen von geflüchteten Kindern hängen im Schaufenster. Sie haben auch ihre Wünsche aufgeschrieben: Frieden und schnell wieder nach Hause zurückkehren zu können. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Für kleinere Geldspenden steht eine Sammelbüchse im „Home Store Heib“ an der Hochstraße 47. „Um Spendenquittungen für größere Geldzuwendungen ausgeben zu können, planen wir gerade einen gemeinnützigen Hilfsverein zu gründen, der „Lichtblick Gladbeck“ heißen soll“, informiert Sina Mind. Die bekannte Anlaufstelle an der Hochstraße soll bleiben, dann aber statt des Provisoriums „LiKi“ einen richtigen eigenen Namen erhalten. „Wir haben uns da schon etwas überlegt“, sagt Roman. „Wir schlagen den ukrainischen Namen Obijmi vor, weil der auch das Gefühl ausdrückt, das wir durch die Spenden und Hilfe empfinden.“ Ein schöner Vorschlag: „Obijmi“ heißt auf Deutsch übersetzt „Umarmung“.