Gladbeck. 1425 Menschen im Vest sind an oder mit Corona gestorben, das entspricht 2,32 Promille der Bevölkerung. Nirgendwo in NRW sind es mehr. Warum?

Im Kreis Recklinghausen sind seit Beginn der Pandemie 1425 Menschen im Zusammenhang mit dem Coronavirus gestorben; auf die Einwohnerzahl des Kreises bezogen sind das 2,32 Promille. Eine Quote, die in Nordrhein-Westfalen (1,47 Promille), aber auch im Vergleich mit Großstädten wie Dortmund und Düsseldorf und ländlichen Kreisen wie Coesfeld und Borken unerreicht ist. Und Gladbeck steht innerhalb des Kreises an zweiter Stelle.

199 Menschen sind hier seit Beginn der Pandemie an oder mit dem Virus gestorben – nur in der deutlich größeren Stadt Recklinghausen gab es mehr Todesfälle (317). Warum sterben im Vest deutlich mehr Menschen mit Corona als in anderen Regionen? Aus der Kreisverwaltung Recklinghausen kommt auf diese Frage der Hinweis auf die demografische Situation. Die meisten Todesfälle sind in der Altersgruppe der über 80-Jährigen zu beklagen (siehe Grafik). Der Anteil dieser hochbetagten Menschen an der Gesamtbevölkerung liegt im Kreis Recklinghausen mit 7,4 Prozent über dem Landesdurchschnitt (7,0 Prozent), so die Angaben des statistischen Landesamtes IT.NRW. Auch die Altersgruppe 60 plus ist im Kreis Recklinghausen mit 30,7 Prozent überrepräsentiert (NRW: 28 Prozent).

Kreis Recklinghausen möchte sich nicht an Spekulationen beteiligen

Doch reicht das als Erklärung für die großen Differenzen bei den Todesraten? Die Kreisverwaltung wolle sich nicht an Spekulationen beteiligen, betont Kreis-Sprecherin Svenja Küchmeister auf Anfrage. Welche Faktoren könnten sonst noch ausschlaggebend sein? Dass die Kliniken im Kreis Recklinghausen mit ihrer Intensivmedizin schlechter aufgestellt sind als in anderen Städten und Kreisen Nordrhein-Westfalens, sollte man ausschließen können. Häufig wird im Zusammenhang mit Corona-Erkrankungen auch die Sozialstruktur angeführt. Bildung und Gesundheit werden dabei in einen Zusammenhang gestellt. Tatsache ist, dass die sozialen Indikatoren wie Hartz IV- und Arbeitslosenquoten, Ausländeranteil oder die Höhe des verfügbaren Einkommens im Kreis Recklinghausen schlechter ausfallen als zum Beispiel in den Nachbarkreisen Borken und Coesfeld.

In Gladbeck gab es den ersten Todesfall am 4. April 2020

Den ersten Corona-Todesfall in Gladbeck gab es am 4. April 2020. Damals war eine 79-jährige Frau im St. Barbara-Hospital gestorben. Die ersten beiden Infektionen mit dem Virus wurden am 10. März 2020 gemeldet. Gladbeck entwickelte sich, aus nie richtig geklärten Umständen, im ersten Pandemie-Jahr zum Corona-Hotspot im Kreis und weit drüber hinaus.

In Gladbecks Nachbarstädten Bottrop und Gelsenkirchen gibt es (Stand 4. August) 189 bzw. 593 Todesfälle seit Beginn der Pandemie.

Auf die Zahl der Corona-Infektionen hat das aber offensichtlich keine Auswirkungen. Im Gegenteil: Die Inzidenzwerte im Münsterland liegen seit Monaten deutlich über denen des nördlichen Ruhrgebietes, die Kreise Coesfeld und Borken führten sogar lange Zeit die Negativ-Tabelle in NRW an. Trotz der hohen Infektionszahlen ist die Todesrate im Verhältnis zur Bevölkerung in beiden Kreisen jedoch gering. In Coesfeld beträgt sie nur 0,66 Promille, in Borken 1,26 Promille (Kreis RE: 2,32 Promille).

Ist die Impfbereitschaft ein möglicher Grund für die vielen Todesfälle?

Auch eine mangelnde Impfbereitschaft der Bewohner im Vest drängt sich nicht als Erklärung für die zahlreichen Todesfälle auf. Der Kreis Recklinghausen veröffentlicht zwar keine kreisweiten Impfzahlen mehr, sondern verweist in seinem Dashboard auf die Impfquoten des Landes. Dr. Richard Schröder, zuständiger Fachbereichsleiter der Kreisverwaltung, geht jedoch davon aus, dass die Impfbereitschaft der Menschen im Kreis sich nicht von der der NRW-Bevölkerung insgesamt unterscheidet. In Nordrhein-Westfalen gelten 79,3 der Einwohner als vollständig geimpft. Die Impfquote stagniert seit vielen Wochen.

Das erste Todesopfer im Zusammenhang mit dem Coronavirus wurde im Kreis Recklinghausen am 29. März 2020 gemeldet. Ein Jahr später war die Zahl der Verstorbenen bereits auf über 700 angestiegen, ein weiteres Jahr später (März 2022) auf rund 1200. Mittlerweile (Stand 2. August) haben 1425 Menschen ihr Leben verloren; 896 von ihnen (63,9 Prozent) waren mindestens 80 Jahre alt. Die Todesfall-Entwicklung hat sich im Vest damit zumindest verlangsamt, was vor allem mit der weniger gefährlichen Omikron-Variante und der hohen Impfquote bei den Senioren zu tun haben dürfte. Die Gründe, warum der Kreis Recklinghausen mit seiner Zahl der Corona-Toten so hervorsticht, sind sicherlich einer tieferen Erforschung wert.

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