Gladbeck. Erstmals wurden Gladbecker Bürger zum Dialog zur künftigen Stadtentwicklung auf dem A 52-Tunneldeckel eingeladen. Es gab auch kritische Fragen.
Der A 52-Ausbau mit Tunnellösung in Gladbeck ist ohne Frage eine Jahrhundertchance für die Stadtplanung, da über Jahrzehnte durch die B 224 zertrennte Stadtteile zusammenwachsen und neue große Flächenpotenziale innenstadtnah entstehen. Am Mittwochabend durften zu dem anstehenden Großprojekt jetzt zum ersten Mal die Bürger mitreden, was sie sich wünschen, was sie kritisieren, befürchten oder erhoffen. Die Stadt hatte zur Infoveranstaltung „37° Nordost“ in die Stadthalle eingeladen. Neben Vortrag- und Fragerunde waren Themeninseln aufgebaut, um mit Fachleuten zu sprechen. Besonders spannend: Vertreter des Tunnel-Bauherren, der Autobahn GmbH des Bundes, waren vor Ort, um etwa auch Antworten zu geben, wann die Tunnelbaustelle starten soll.
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Genau das wollte auch Dieter Briese wissen, ehemaliger Leiter der Abteilung Umwelt der Stadt, der jetzt „als Bürger“ vorbeischaute, um Antwort zu erhalten. Antwort der Autobahnbauer: Angepeilt sei, dass es zunächst 2023 mit dem südlichen A 52-Ausbau zwischen dem Kreuz Essen-Nord und der heutigen Anschlussstelle Essen/Gladbeck losgehe. Der nördliche Abschnitt mit dem Gladbecker A 52-Tunnel könnte dann 2027 in Bau gehen.
„Wir wollen wissen, welche Auswirkungen die Großbaustelle hat“
Die Bauphase selbst interessierte Markus und Ute Epping, die in Stadtmitte wohnen. „Wir wollen wissen, welche Auswirkungen die Großbaustelle auf innerstädtische Bereiche und die Verkehrsanbindung von Anwohnerstraßen hat.“ Antwort dazu: Auch während der Ausbauphase sollen Baustraßen eingerichtet werden, um den Verkehrsanschluss sicherzustellen. Eine weitere Frage des Ehepaares betraf das Naherholungsgebiet Wittringen und künftige Lärmbelästigung. Das ja im südlichen Bereich unmittelbar an das Autobahnkreuz Essen/Gladbeck mit neu geplantem hohen Überflieger angrenze. Antwort: Ein neun Meter hoher Lärmschutzwall solle im Bereich vor den Brillenteichen entstehen.
Gerhard Blase aus Zweckel findet es prima, „dass die Bürger über diese Info-Veranstaltung eingebunden werden“. Und er sei gespannt, „wie die neu zur Verfügung stehenden Flächen entwickelt werden könnten, die ja einiges Potenzial auch für Gewerbeansiedlung oder Wohnungsbau bieten“. Letzteres fand auch Aron Weronetzki spannend. Der 13-Jährige war mit weiteren Vertretern des Jugendrates in die Stadthalle gekommen. Der aufgeweckte Braucker plädierte dafür, „auch die Ansiedlung eines Hochschulstandortes oder Hochschulinstitutes“ anzustreben. Denn ein Wissenschaftsstandort würde Gladbeck „überregional bekannter machen“, den Zuzug auch junger Menschen begünstigen“.
Impulsvortrag des Stadtbaurats mit anschließender Fragerunde
Welches Zukunftspotenzial der Tunneldeckel und die Flächen links und rechts davon bieten, hatten zuvor Bürgermeisterin Bettina Weist und Stadtbaurat Volker Kreuzer deutlich gemacht. „Wir reden von einer Fläche, gelegen zwischen Butendorf und der Stadtmitte, zwischen Wittringer Wald und dem Gewerbegebiet Brauck, die so groß ist wie die komplette Gladbecker Innenstadt“, erklärte Weist. Nach dem großen Stadtausbau unter Bürgermeister Michael Jovy in den goldenen 1920er Jahren, biete sich Gladbeck „jetzt zum zweiten Mal eine Jahrhundertchance - ergreifen wir sie“, so die Bürgermeisterin.
Projektbeirat soll Planung begleiten
Der Leiter des Amtes für Stadtplanung/ Bauaufsicht, Karsten Fuchte, kündigte an, dass sich Anfang 2022 ein Projektbeirat konstituieren soll, um die Planungen zur Stadtentwicklung im Bereich der Potenzialflächen zu begleiten. Diesem sollen auch als Stimme der Bürger Vertreter der Lokalpolitik angehören.
Das Stadtentwicklungsprojekt trägt den Titel „37° Nordost“. Hintergrund: Verbindet man den südlichen Tunneleingang an der Kreuzung Bohmertstraße mit dem nördlichen an der Brücke Grabenstraße durch eine gedachte Linie, so verläuft diese genau in einem Winkel von 37 Grad in Richtung Nordost.
Die Bürger konnten auch an den Dialog-Stationen Fragen stellen, die Teils ins Plenum getragen wurden. Etwa, wer für Schäden an bestehenden Gebäude aufgrund der Tunnel-Bautätigkeit hafte. Antwort: Regress sei möglich, ein Gutachter wird vor der Bautätigkeit den Ist-Zustand der Umgebungsbebauung erfassen.
Stadtbaurat Kreuzer nahm ebenfalls den 1,5 Kilometer langen Tunnel zwischen Bohmert- und Goethestraße in den Blick. Wodurch etwa 22 Hektar Fläche, ehemalige unattraktive Randbereiche entlang der B224, „eine neue Lagequalität bekommen“. Er zeigte als Beispiel das vergleichbare Projekt „Groene Loper“ in Maastricht (Niederlande) auf. Dort sei die Autobahn auch im Tunnel verschwunden, so dass neue Lebensqualität überirdisch entstehen konnte. Kreuzer präsentierte dazu Vorher-Nachher-Bilder, die statt Verkehrsinfarkt eine Wohnstraße mit großem, baumbewachsenen grünen Mittelband, breiten Fuß- und Radwegen zeigen.
Auch neue Wohnkonzepte könnten in dem Plangebiet entstehen
In dem Gladbecker Plangebiet könnten neue Wohnkonzepte wie Mehrgenerationen-WGs entstehen, auch sozialgeförderte Wohnungen in zentraler Lage, so Kreuzer. Oder ebenso attraktive, wohnortnahe zukunftsfähige Arbeitsplätze, klimagerechte Begrünung sei möglich und eine Vielfalt der Mobilität. Nur zwei Bürger der gut 150 im Plenum nutzten die Möglichkeit zur direkten Nachfrage. Darunter Franz Kruse, Vorsitzender des A52-kritischen Bürgerforums Gladbeck. Er äußerte die Besorgnis, dass durch den Autobahnausbau und die verbleibenden oberirdischen Anschlüsse eine hohe Verkehrsbelastung auf der Tunneldeckelstraße verbleibe: „Gibt es dafür eine Verkehrsprognose?“
Die zuständige Projektleiterin und Verkehrsplanerin der Stadt, Paula Stegert, hatte dazu Zahlen parat. Laut Gutachten seien nach Fertigstellung auf der Tunneldeckelstraße mit 8000 bis 10.000 durchfahrenden Fahrzeugen pro Tag zu rechnen. Dies seien weniger als auf wichtigen Verkehrshauptachsen wie Horster oder Schützenstraße, „die derzeit bis zu 15.000 Fahrzeuge befahren“. Zum Vergleich: Über die B 224 und künftige A 52 brausen derzeit täglich rund 40.000 Kraftfahrzeuge.