Gladbeck. Das Jugendamt legte der Politik einen Bericht zur Gewalt gegen Kinder vor. Die Anzahl der in Gladbeck gemeldeten Fälle ist drastisch gestiegen.

Die Corona-Pandemie mit ihren Einschränkungen und Lockdowns hat auch den Druck in belasteten Gladbecker Familien erhöht. Das Jugendamt legte jetzt dem Jugendhilfeausschuss einen Bericht vor, der dokumentiert, dass der Anstieg der Meldungen von Anzeichen von Kindeswohlgefährdungen im Vergleich zu 2019 „vor Corona“ exorbitant angestiegen ist. Dies sei ein Indikator für das Ausmaß der Pandemie, wobei erwartet werde, „dass sich dieser auch landesweite Trend in Gladbeck fortsetzen wird“.

Die auf Antrag der CDU vorgestellten Zahlen zeichnen ein drastisches Bild: 2019 sind 169 Gefährdungsmeldungen beim Amt für Jugend und Familien eingegangen, 2020 wurden 254 Gefährdungsmeldungen verzeichnet, und mit Stand Anfang August 2021 wurden schon 367 Gefährdungsmeldungen dokumentiert. Ein deutliches Plus von bereits 43 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Letztlich in 80 Fällen Kindeswohlgefährdung festgestellt

Es ist wichtig, dass mögliche Anzeichen von Gefährdungen dem Gladbecker Jugendamt gemeldet werden, um Kinder rechtzeitig zu schützen und Familien zu helfen (Symbolbild).
Es ist wichtig, dass mögliche Anzeichen von Gefährdungen dem Gladbecker Jugendamt gemeldet werden, um Kinder rechtzeitig zu schützen und Familien zu helfen (Symbolbild). © dpa | Nicolas Armer

Der Bericht der Fachbereichsleitung des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) schlüsselte weiter auf, dass von den 254 verzeichneten Meldungen aus 2020 „in 80 Fällen Kindeswohlgefährdungen festgestellt wurden“. Bei weiteren 45 Kindern wurde der Gefährdungsgrad im latenten Gefährdungsbereich eingeordnet, bei 129 Kindern konnte keine Gefährdung festgestellt werden, bei gut der Hälfte dieser Kinder (67) wohl aber Hilfe-und Unterstützungsbedarf.

Auch bei den 62 Kindern, bei denen keine Anhaltspunkte festgestellt werden konnten, sei eine krisenhafte Entwicklung nicht ausgeschlossen, so der Bericht weiter. Insofern könne nicht von „Falschmeldungen“ gesprochen werden. „Es ist wichtig, dass mögliche Anzeichen von Gefährdungen gemeldet werden, auch wenn sich mögliche Anzeichen schlussendlich nicht bestätigen oder als falsch herausstellen“, ermutigten die ASD-Verantwortlichen die Öffentlichkeit (z.B. Bekannte, Nachbarn, Lehrer, Kindergärtnerinnen) weiter sensibel zu sein und das Amt im Verdachtsfall zu kontaktieren.

Acht Kinder gegen den Willen der Eltern in Obhut genommen

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2020 wurden acht Kinder in Gladbeck gegen den erklärten Willen der Eltern in Obhut genommen. Vier Kinder waren im Alter zwischen einem Monat und drei Jahren, die weiteren vier Kinder waren dreizehn Jahre und älter. Im Ergebnis wurden im Jahr 2020 bei 58 Kindern Anhaltspunkte für Vernachlässigung festgestellt, bei 27 Kindern Anzeichen für körperliche Misshandlung, bei 58 Kindern Anzeichen für psychische Misshandlung und bei zehn Kindern wurden Anhaltspunkte für einen sexuellen Missbrauch erfasst. Anzeichen psychischer Misshandlung würden hier auch das Miterleben Häuslicher Gewalt mit einschließen.

Weitere ernüchternde Fakten, die der ASD benannte: Die Wissenschaft vermute im Bereich der tatsächlichen Kindeswohlgefährdungen in Folge von sexueller oder körperlicher Gewalt ein erhebliches Dunkelfeld. Die WHO gehe aktuell von ca. ein bis zwei von sexualisierter Gewalt betroffenen Kindern pro Schulklasse aus. Bei körperlicher Misshandlung würden sich die Schätzungen gemäß einer im November 2020 veröffentlichten Studie der Uniklinik Ulm auf etwa acht bis neun betroffene Kinder und Jugendliche pro Klasse belaufen.