Gladbeck. Ein Mädchen (7) ist 2019 mit einem Renncart schwer verunglückt. Nun stehen die Eltern vor Gericht. Warum sie das Kind ans Steuer gelassen haben.
Der Fall sorgte schon vor gut einem Jahr für Schlagzeilen: Ein siebenjähriges Mädchen rast am Pfingstmontag mit einem Renn-Gokart auf dem Parkplatz des Rewe-Marktes an der Hornstraße in einen Metallzaun. Das Kind, das keinen Helm trug, erlitt einen Leberanriss und eine tiefe Schnittwunde von der Stirn über ein Auge bis zur Wange und musste mit einem Rettungshubschrauber ins Uniklinikum Essen gebracht werden. Am Donnerstag mussten sich die Eltern vor dem Schöffengericht verantworten.
Die Eltern wirken sehr zerknirscht vor Gericht
Alexandra und Jürgen H. wirken zerknirscht. Zunächst mit fester Stimme, zwischendurch weinend, schildert die 49-jährige Mutter, was am Abend des 10. Juni 2019 geschah. Ihr Mann hatte sich das mit 28 PS motorisierte Rennkart eine Woche zuvor gekauft, wollte das Gefährt, das auf bis zu 100 km/h beschleunigen kann, erstmals ausprobieren. Zunächst drehte er allein ein paar Runden.
„Dann hat Angelina gebettelt und gequengelt. Sie wollte unbedingt auch fahren“, erzählt die Mutter. Ihr Mann habe das Kind schließlich auf seinem Schoß mitgenommen, „und weil sie nicht aufhörte zu betteln, haben wir leider nachgegeben und sie allein fahren lassen.“
Auch interessant
Eine echte Erklärung für dieses Verhalten blieb sie schuldig. Nur so viel: „Natürlich hätten wir nein sagen können oder sogar müssen. Jetzt sehe ich das auch so. Ich wünschte, man könnte die Zeit zurückdrehen.“
Dem Mädchen geht es zum Glück wieder gut
Zwölf Tage verbrachte sie nach dem Unfall mit ihrer Tochter im Krankenhaus. „Es geht ihr glücklicherweise wieder sehr gut.“ Die Narben im Gesicht sind kaum noch zu sehen, und die Narbe am Bauch wird sich verwachsen, sagen die Ärzte“, antwortete sie auf die Frage des Vorsitzenden Richters Bernd Wedig.
Jürgen H. (34) ist weder im Besitz einer Fahrerlaubnis noch hat er eine Lizenz, um ein Renn-Gokart zu fahren, das überdies auch nicht versichert war. „Ich habe den Gasanschlag gedrosselt, damit Angelina nicht Vollgas geben konnte und bin neben dem Kart hergelaufen, als sie fuhr“, schildert er mit leiser Stimme. Seine Tochter habe in der Nähe des Zaunes angehalten, wollte aussteigen. „Ich habe mich kurz umgedreht, da ist sie wieder losgefahren. Ich glaube, sie hat Bremse und Gaspedal verwechselt.“
Gutachter: Das Mädchen könnte beim Aussteigen an den Gaszug gekommen sein
Was genau zu dem Unfall führte, ließ sich vor Gericht nicht eindeutig klären. Auch der Gutachter, der das Gokart technisch untersucht und sich am Unfallort ein Bild gemacht hat, hat nur Vermutungen: Das Mädchen könnte beim Aussteigen versehentlich mit dem Bein an den Gaszug geraten sein. Den Fahrspuren nach zu urteilen, habe es zwar die Handbremse für die Vorderräder gezogen, das allein reiche aber nicht aus, um „eine solche Rennmaschine“ zu stoppen. Nach dem Schadensbild geht der Sachverständige davon aus, dass das Kind mit mindestens 30 km/h gegen den Zaun gerast ist – „eine vorsichtige Schätzung“.
Großer Medienandrang
Einen solchen Medienansturm wie bei diesem Verfahren hat man im Gladbecker Amtsgericht sicher noch nie erlebt: Reporter samt Kamerateams verschiedener Fernsehsender, Journalisten und Fotografen überörtlicher Zeitungen wollten die Verhandlung miterleben.
Sie fand vor dem Jugendschöffengericht statt, weil möglicherweise minderjährige Zeugen hätten gehört werden müssen. Weil die angeklagten Eltern geständig waren, verzichtete das Gericht allerdings darauf.
„Man kann das alles gar nicht glauben“, sagte Staatsanwalt Gerriet Ohls in seinem Plädoyer. „Wenn es schlimmer gekommen wäre, könnten Sie wegen fahrlässiger Tötung hier sitzen.“ Er beantragte für die Mutter eine Freiheitsstrafe von sechs, für den Vater von sieben Monaten, jeweils mit zweijähriger Bewährungszeit. Mit einer eher ungewöhnlichen Taktik plädierten die Verteidiger Bernhard Mues und Ludger Fleischer auf eine Geldstrafe: „Sie sind nicht die hellsten Kerzen auf dem Kuchen“, sagte Mues. Die Konsequenzen ihres Verhaltens hätten sie nicht absehen können. Er wolle ihnen das Stigma einer Freiheitsstrafe ersparen. Der Vorfall sei zwar nicht zu entschuldigen, ergänzte sein Kollege, „aber im unteren Niveau handeln Eltern häufig leichtfertig“.
Der Richter spricht von einem Familiendrama
„Wir haben es hier mit einem Familiendrama zu tun“, stellte Richter Bernd Wedig nach 45 Minuten Beratung mit seinen Schöffen fest. „Es ist ein großes Glück, dass nicht viel mehr passiert ist.“ Zu verstehen sei das Verhalten der Eltern nicht, zugute halten müsse man ihnen ihr Geständnis, die Reue und die Tatsache, dass sie nicht vorbestraft sind. Deshalb verurteilte das Gericht – dem geringen Einkommen entsprechend – Alexandra H. wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10 Euro, Jürgen H., der sich zudem des Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz schuldig gemacht hat, zu 70 Tagessätzen mit je 30 Euro.