Gladbeck. Die Gladbeckerin Ines Jerina berichtet von beruflichen Herausforderungen wegen des Coronavirus’. Sie ist Pflegerin im Johannes-van-Acken-Haus.
Es sind Szenen, die selbst weniger empfindlichen Gemütern an die Nieren gehen. Der Rentner, der seinen hochbetagten Vater spontan in die Arme schließen möchte – und das nicht darf. Es fließen Tränen. Die Enkelin, die ihre Oma schmerzlich vermisst und doch Abstand halten muss – zum Schutz der alten Frau. Oder die Seniorin, der nicht in den Kopf will, dass ihre Betreuerin sie nicht mehr herzt wie in Zeiten vor dem Coronavirus. Die Nöte der Menschen in der Ausnahmesituation lassen auch Profis wie Ines Jerina nicht kalt.
Gladbeck: Manche Bewohner des Johannes-van-Acken-Hauses suchen die körperliche Nähe zu den Pflegekräften
Doch die 30-Jährige, seit elf Jahren Pflegefachkraft im Johannes-van-Acken-Haus, sagt: „Ich mache meinen Job wie vor Corona, mit Leidenschaft und viel Herzblut.“ Soweit es all die Schutzmaßnahmen eben erlauben. Vieles hat die Schultendorferin schon miterlebt, aber all das war eben anders als jetzt. Da zerren Alltagsbeschränkungen an den Nerven der Bewohner.
Auch interessant
Jerina erzählt: „Eine Dame hat bitterlich geweint, weil sie beim Essen nicht neben ihrer Freundin sitzen durfte.“ Das Abstandsgebot verbietet eine enge Nähe.
Auch interessant
Ganz zu schweigen vom körperlichen Kontakt, den die Bewohner oftmals genauso brauchen wie die tägliche Wäsche und Medikamente. „So viele Menschen möchten einfach mal umarmt werden. Wenn man ,Gute Nacht’ sagt, wollen manche Bewohner ein Küsschen auf die Wange. Das sind schwierige Situationen“, sagt die 30-Jährige. Denn eigentlich „sind wir hier sehr familiär“.
Auch interessant
Die Vorschriften, um ein Einschleppen des gefährlichen Virus in das Johannes-van-Acken-Haus der Caritas zu vermeiden, bereiten vielen Bauchschmerzen, seien für die Bewohner oft unverständlich. Die Eingriffe in den vertrauten Alltag treffen nicht nur dementiell veränderte, desorientierte Menschen hart. Die Expertin hat erlebt, dass Bewohner unter dem Verzicht auf Gewohnheiten leiden: Wieso dürfen die Damen im Haus nicht mehr, wie früher, grüppchenweise einkaufen? Warum war wochenlang der Frisierbesuch gestrichen und ist jetzt nur unter Auflagen möglich? Das müsse das Team bisweilen immer wieder erklären oder in Erinnerung rufen, so Jerina.
Auch interessant
Die Pflegerin: „Die Leute haben nichts mehr. Sie können vielleicht mal in unseren Garten gehen.“ Veranstaltungen wie gemeinschaftliches Bingo fallen flach. Gottesdienste mit Pastor Ulrich Pfeiffer und Schlagermusik unter freiem Himmel, die Bewohner an den Fenstern, seien Lichtblicke, stellt der Helene-Fischer-Fan Ines fest.
Auch interessant
Gott sei Dank sind ja angemeldete Besuche wieder erlaubt. Doch wer ins Seniorenzentrum kommen will, muss zunächst ein Kontaktformular ausfüllen. Über getrennte Zugänge erreichen sich Bewohner und Gast – bis zu einer Plexiglasscheibe, die beide trennt. „Diese Regelung ermöglicht es, vom Mundschutz abzusehen“, erläutert Caritas-Sprecherin Antonia Gemein.
Auch interessant
Apropos Masken. Auch wenn den Beschäftigten diese Pflicht in Fleisch und Blut übergegangen ist: „Der Mundschutz schränkt einen bei der Arbeit total ein, und man atmet immer die eigene Luft ein.“
Johannes van Acken in Gladbeck
Der Caritasverband Gladbeck betreibt die Einrichtung an der Rentforter Straße. Das Haus ist benannt nach dem katholischen Geistlichen Rütger Johannes van Acken, der am Pfingstmontag, 17. Mai, des Jahres 1937 starb.
Van Acken galt in den 1920er und 1930er Jahren als eine der herausragenden Persönlichkeiten des Deutschen Caritasverbandes und Wegbereiter modernen Pfarrkirchenbaus. Der kunstsinnige, gebürtige Niederrheiner hat in Gladbeck seine Spuren hinterlassen. Zu sehen sind sie beispielsweise an Gebäuden wie der Heilig-Kreuz-Kirche. Außerdem gehörte Johannes van Acken, der für die Zentrumspartei in Gladbeck Stadtverordneter war, zu den Mitbegründern des Vereins für Orts-und Heimatkunde.
Im Seniorenzentrum in der Stadtmitte wohnen derzeit 80 Frauen und Männer im Alter zwischen Ende 40 bis 100 Jahren. Die Belegschaft setzt sich nach Angaben von Caritas-Sprecherin Antonia Gemein zusammen aus 22 Pflegefachkräften inklusive Führungsebene. Zudem sind acht Betreuungskräfte im Haus beschäftigt. Antonia Gemein: „Teilzeit gibt es hier verschiedenen Formen.“ Ines Jerina: „Ich habe eine Vollzeitstelle.“
Manche bewegende Augenblicke bleiben im Gedächtnis. Wie dieser, an den sich die speziell ausgebildete Palliativfachkraft erinnert: „Das war vor der Lockerung der Maßnahmen. Eine hochbetagte Dame lag im Sterben, und die Tochter kam hierher. Sie musste einen Ganzkörperanzug, Mundschutz und Handschuhe tragen.“ Ein befremdlicher Moment, doch: „Wir konnten den Wunsch der Sterbenden, die letzte Ölung zu erhalten, erfüllen“.
Auch interessant
Als Geistlicher steht Pater Gisbert von den Amigonianern auf Wunsch Jerina & Co. zur Seite. Denn aus den Kleidern schütteln lassen sich manche Erlebnisse eben nicht. Die 30-Jährige nimmt Ereignisse gedanklich mit nach Haus oder tauscht sich mit ihrer Kollegin Corinna Doninger aus. Wenn die Frauen zusammensitzen, den Hühnern der Familie beim Picken zuschauen, dann kommen sie zur Ruhe.
Gedanken um die eigene Person? Die hatte Jerina zu Beginn der Pandemie schon. Schließlich wolle man das Virus ja nicht in das Seniorenzentrum einschleppen, wie es im St.-Altfrid-Haus geschehen ist. Und auch eigene Angehörige gehören zur Risikogruppe.
Auch interessant
Doch die Pflegerin meint: „Ich versuche, mich mit der Lage zu arrangieren und das Beste daraus zu machen.“ Sie will die Bewohner versorgen, „als wenn es meine eigenen Angehörigen wären“.