Gladbeck. Experten machen Glücksspielsucht am Berufskolleg Gladbeck zum Thema. Hilfreiche Tipps für Lehrer und Schüler.

Glücksspielsucht geht so gut wie jeden an, und die vielen neuen Online-Angebote erleichtern Minderjährigen leider den Zugang via Smartphone und Computer. Das wurde jetzt bei einer Infoveranstaltung zum Thema am Berufskolleg Gladbeck deutlich. „Die Mehrheit aller jungen Leute, 70 bis 80 Prozent, hat mindestens schon einmal um Geld gezockt“, weiß Tobias Hayer aus Forschungsergebnissen.

Forscher Tobias Hayer informierte Schüler und Leher beim Vortrag im Foyer des Berufskollegs Gladbeck zum Thema Glücksspielsucht.
Forscher Tobias Hayer informierte Schüler und Leher beim Vortrag im Foyer des Berufskollegs Gladbeck zum Thema Glücksspielsucht. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Der an der Uni Bremen lehrende Wissenschaftler gilt bundesweit als einer der Experten auf dem Gebiet. Initiiert von der Schulsozialarbeit, war der Psychologe für Mittwoch zum Vortrag vor Schülern und Lehrern ans Berufskolleg eingeladen worden. Nicht von ungefähr, denn sie wisse, „dass gerade experimentierfreudige Jugendliche, wie unsere Schüler, auch anfällig dafür sind, das Glücksspiel auszuprobieren“, so Diplom Sozialpädagogin Elke Götze. Die Erfahrungen der Berufskolleg-Pädagogen werden sich so auch an allen anderen weiterführenden Schulen in Gladbeck wiederfinden.

Die 20-Minuten-Pause wird zum Glücksspiel am Automaten genutzt

Man bekomme mit, dass einige der Kollegschüler bei Sportwetten aktiv sind, „oder die 20 Minuten Pause zum Glücksspiel am Automaten genutzt wird“, berichtet die Sozialpädagogin weiter. Denn leider befinde sich eine Spielothek in der Nähe der Schule. Man könne so quasi „auf dem Weg zum Bäcker auch zocken gehen“. Beim Großteil bleibt es beim eher einmaligen Erlebnis, aber Jugendliche stellen eine höhere Risikogruppe als Erwachsene dar, so dass immerhin 40 Prozent aller jungen Leute innerhalb von 12 Monaten mindestens einmal aktiv zockten, so die Forschung. „Und bis zu drei Prozent zeigen glückspielbezogene Probleme“, so Tobias Hayer. Sie haben die Sucht nicht mehr im Griff, erhoffen sich bei jedem Spiel den Kick des großen Gewinns, verzocken so alles Geld, das sie haben, bestehlen Familienmitglieder oder begehen sogar Straftaten wie Überfälle, um an Bares zu gelangen.

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Das bestätigen Schüler im Gespräch mit der WAZ. Fast jeder Schüler habe doch schon mal bei Sportwetten, meist auf Fußballergebnisse, mitgemacht. Gefährlich sei, „wenn ein Gewinn da ist, dass dann die Gier kommt“, sagt Marc (20). Wohl wie bei einem Kumpel von Luca, der das Glücksspiel nicht mehr im Griff hatte, „seine Eltern und auch seine Freunde beklaut hat“, so der 18-Jährige. Die Kumpels hätten dann mitgeholfen, „ihn wieder auf den richtigen Weg zu bringen“ und ihn dazu bewegt, „eine Therapie zu machen - mit Erfolg“.

Bei Online-Glücksspielen wird nicht ausreichend die Volljährigkeit der Spieler kontrolliert

Meist gleite man langsam in die Sucht, sagt Wissenschaftler Hayer, wobei schon Zwölfjährige ihr Taschengeld verzockten, weil der niederschwellige und anonyme Zugang zu Online-Glücksspielen nicht ausreichend auf Volljährigkeit kontrolliert werde und mit Prepaid-Karten der Geldeinsatz möglich sei. Das Verlieren sei so einfach, einen Gewinn zurück zu bekommen aber schwer, „weil dann ein Konto mit Altersnachweis angelegt werden muss“. Perfide seien auch Onlinespiele, die ein schnelleres Vorankommen durch die Spielebenen ermöglichen, indem man sich bessere Ausrüstung, Waffen oder nützliche Eigenschaften dazu kaufen kann. Dass sei ihr als Zwölfjährige passiert, berichtet Schülerin Emily (17). Sie habe bei ihrem Vater regelmäßig gebettelt, das Taschengeld für diesen oder jenen Zusatz ausgeben zu dürfen. „In zwei Jahren sind das bestimmt 500 Euro gewesen. Geld, um das es mir jetzt leid tut.“

Ausgelegtes Informationsmaterial zum Thema Glücksspiel und Glücksspielsucht konnte mitgenommen werden.
Ausgelegtes Informationsmaterial zum Thema Glücksspiel und Glücksspielsucht konnte mitgenommen werden. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Sich kurzfristige Glücksgefühle durch Erfolg beim Zocken oder beim Computerspiel zu verschaffen, könne tiefergehende Hintergründe haben. Weil es mit der Schule oder anderswo im Leben nicht klappt, und die Flucht in die Zockerwelt „mich von den dunklen Gedanken ablenkt“, so Eva Liesche von der Fachstelle für Suchtvorbeugung des Diakonischen Werks. Mit ihrer Kollegin Janina Kollmeier hatte sie dem Lehrerkollegium pädagogisch erprobte Methoden und Materialien mitgebracht, um das Thema im Unterricht aufzugreifen.

Kostenlose und anonyme Telefonberatung auch in türkischer Sprache

Zudem lagen nach dem Vortrag von Hayer auf einem Tisch jede Menge Infobroschüren und Kontakte zu Hilfsangeboten bei (Glücks)Spielsucht aus. Zum Beispiel zur kostenlosen und anonymen Telefonberatung der Landeskoordinierung Glücksspielsucht NRW (gluecksspielsucht-nrw.de) in deutscher (0800-0776611) und in türkischer (0800-3264762) Sprache.

Tipps der Expertin für Eltern, um das Thema behutsam anzusprechen

Wenn man von Spielsucht spricht, sei es oft so, „dass das Problem dem Umfeld des Betroffenen früher auffällt“, als dem Zockenden selbst, sagt Eva Liesche von der Fachstelle für Suchtvorbeugung. Sie hat einige Tipps parat, wie man das Problem anpacken sollte.

In Beratungszentren können sich Betroffene professionelle Hilfe holen.
In Beratungszentren können sich Betroffene professionelle Hilfe holen. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Angehörige seien mitbetroffen und würden unter den Folgen der Spielsucht des Kindes oder Enkels oft mitleiden (Isolation, Diebstahl). Wer den Betroffenen aber offensiv auf offensichtliches Suchtverhalten anspreche, erlebe erheblichen Widerstand. Statt vorwurfsvoller Du-Botschaften („Du bist spielsüchtig, du hast dein Leben nicht mehr im Griff“) sei es erfolgversprechender „mit Ich-Botschaften zu arbeiten, und eigene Beweggründe zu nennen“ („Ich mache mir Sorgen, denn ich beobachte dieses oder jenes“).

Sich mit einer gemeinschaftlichen Vorteil-Nachteil-Analyse dem Thema annähern

Man könne zunächst offen mit einer gemeinschaftlichen Vorteil-/Nachteil-Analyse an das Thema herangehen. Mit Antworten zu den Fragen: Was sind die Vorteile vom Zocken, was hast du davon? Und dann zu fragen: Siehst du auch Nachteile? Und um weiter nachzufassen: Wo ist für dich die Grenze, wo würdest du dir selbst Sorgen machen? Damit hätte man eine Grundlage, um sich professionelle Hilfe zu holen.

Bei Gespräch sollte man sich bewusst machen, dass die Sucht keine negative Persönlichkeitseigenschaft ist, sondern oft andere Gründe hat, die es herauszufinden und zu klären gelte. Generell helfe es, dem Betroffenen bewusst machen, dass man zu ihm hält: „Du bist mein Kind. Ich habe dich lieb und will, dass es dir gut geht, daher muss ich fragen.“