Gladbeck. Eine fast 100-jährige Tradition geht zu Ende: Die RV Gladbeck, 1921 gegründet, löst sich auf. Die Züchter wechseln in die Nachbarstadt.
Deutschlands erste Demokratie, die „Weimarer Republik“, war gerade mal zwei Jahre alt, als Taubenliebhaber im Jahre 1921 in der ebenfalls noch jungen Stadt Gladbeck die Brieftauben-Reisevereinigung ins Leben riefen. In etwas mehr als einem Jahr steht der RV Gladbeck also eigentlich ihr 100. Geburtstag ins Haus, oder fällt das runde Jubiläum ins Wasser? „Wir sind beim Verband nicht mehr als selbstständige Reisevereinigung gemeldet“, so die klare Ansage von Manfred Berger, der seit gut einer Dekade „Chef“ der heimischen Züchter-Gilde ist.
Ein Blick zurück, ein Hauch von Nostalgie inbegriffen. Noch Mitte des vergangenen Jahrhunderts gab es kaum einen Garten in den fürs Ruhrrevier so typischen Zechensiedlungen, in dem nicht ein Gartenschlag -zig Tauben ein schönes Zuhause gewährte. Zudem viele Hausdächer, an denen die große Anzahl überdimensionierter Dachfenster mit einem Anflugbrett davor dem unbefangenen Beobachter signalisierte: Hier wartet Sonntag für Sonntag ein ungeduldiger Züchter auf die Rückkehr seiner gefiederten Lieblinge.
In ganz Gladbeck gibt es nur noch 20 Taubenschläge
„Als ich 1972 mit dem Taubensport begann“, erinnert sich Berger, „gab es in der RV Gladbeck noch 350 reisende Schläge und 500 Mitglieder. Zurzeit haben wir 20 Schläge, die Tauben schicken und 18 passive Mitglieder. Zum Vergleich: In Horst nehmen nur noch sieben Schläge an den Wettflügen teil.“
Allein diese Zahlen, so Berger weiter, machten deutlich, dass eine Neustrukturierung nötig sei. „Im Herbst 2018 haben wir zum ersten Mal eine Abstimmung durchgeführt, eine große Mehrheit stimmte dafür, sich der RV Bottrop anzuschließen.“ Diskutiert wurde noch eine Fusion von Horst, Buer und Gladbeck zu einer Reisevereinigung, aber: „Horst und Buer sind einander spinnefeind, die kamen nicht zu Potte.“ Buer schert aus der bisherigen Tauben-Transport-Gemeinschaft (TTG) aus, macht sein eigenes Ding, so Berger. Bei einer nochmaligen Abstimmung im Frühjahr votierte wieder die große Mehrheit dafür, sich unters Dach der Bottroper RV zu begeben, zwei Züchter enthielten sich der Stimme. Die RV Bottrop ist jetzt mit etwa 115 reisenden Schlägen die größte im Bundesgebiet.
Die drei verbliebenen Vereine gründen im Frühjahr einen neuen großen Verein
„Im Frühjahr wird ein neuer Vorstand gewählt, wir als Gladbecker stellen dann einen großen Verein dar mit drei ,Untergruppen’. Diese sind die bisherigen Vereine ,Siegespalme’, ,Heimkehr’ und ,Wiedersehen Altendorf-Ulfkotte’,“ erklärt Berger die neue Organisationsstruktur. Siegerehrungen gehen dann nur noch im Gladbecker Großverein über die Bühne, da sei auch noch ein gewisser Konkurrenzkampf gewährleistet.
Dass die Gladbecker den Bottropern und auch den Horstern, die auch unters gemeinsame Dach geschlüpft sind, zeigen wollen, wer die schnellsten Tauben auf dem Schlag hat, versteht sich von selbst. Die Gladbecker Reisevereinigung hat zwar ihren eigenständigen Status verloren, nicht aber ihren Ehrgeiz und auch nicht ihr Zusammengehörigkeitsgefühl. „Natürlich werden wir weiterhin unsere separate Siegerehrung durchführen,“ zeigt sich der langjährige RV-Chef kämpferisch. „Und 2021 werden wir in einem würdigen und angemessenen Rahmen unseren 100. Geburtstag feiern.“ Ganz so, wie es sich für selbstbewusste und stolze Brieftaubenzüchter gehört...