Gladbeck. Eine interne Richtlinie auf Kreisebene zur Umsetzung des Starke-Familien-Gesetzes erschwert die Lernförderung für Kinder aus armen Familien.

Es klingt paradox. Wie der Name schon sagt, soll das im Juli in Kraft getretene „Starke-Familien-Gesetz“ sozialschwache Familien stärken und ihnen leichteren Zugang zu Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) ermöglichen. In Gladbeck wird die Chancengleichheit für arme Schulkinder aber ausgebremst. Das wurde jetzt im Sozialausschuss deutlich. Verantwortlich dafür ist eine Richtlinie zur Gesetzesumsetzung, die auf Kreisebene mit Zustimmung der Kommunen erlassen wurde. Sie erschwert die Lernförderung. Entsprechend weniger Anträge wurden gestellt. Die zuvor stetig angestiegenen Kosten sind so drastisch gesunken. Nicht unabsichtlich, wie im Ausschuss vermutet wurde.

Das steht im deutlichen Gegensatz zu der eigentlichen Gesetzesabsicht, den Rechtsanspruch niederschwellig zu ermöglichen, indem die Antragspflicht für damit oft überforderte bedürftige Familien abgeschafft wurde. Rund 5000 berechtigte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die in Gladbeck Sozialleistungen beziehen, erhalten so jetzt automatisch Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket. Das sind Kostenübernahmen oder finanzielle Zuschüsse, deren Pauschalen zudem teils noch erhöht wurden.

Eigenanteile fallen weg und Pauschalen wurden erhöht

Konkret muss ein Eigenanteil für das Mittagessen (zuvor ein Euro pro Mahlzeit) in Kita oder Schule jetzt nicht mehr bezahlt werden und wird komplett durch das BuT übernommen.

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Bedürftige Familien erhalten zudem ohne Antrag eine Monatspauschale von 15 Euro zur Teilhabe an kulturellen Angeboten, Mitgliedschaft in einem Sportverein oder einen Kurs der Musikschule. Lediglich ein Nachweis über die Vereinsmitgliedschaft etc. muss vorgelegt werden. Auch die Kosten für Schüler-Bustickets sowie ein oder mehrtägige Ausflüge (Klassenfahrten) werden ohne Antragswust übernommen. Außerdem wurde die Pauschale für persönlichen Schulbedarf (z.B. Schulranzen, Schreibmaterial) von 100 auf 150 Euro erhöht.

Die gewährte Unterstützungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket ist von bedürftigen Familien in den vergangenen Jahren zunehmend in Anspruch genommen wurden. So stieg die Ausgabenentwicklung in Gladbeck von 2014 bis 2017 von rund 859.000 Euro auf 1,15 Million Euro. Im Vorjahr ist dann die Zahl erstmalig wieder gesunken, auf 960.000 Euro. Starken Anteil habe daran der drastische Rückgang an Anträgen zur Lernförderung, informierte die zuständige Sachgebietsleiterin Stefanie Rade den Sozialausschuss am Dienstagnachmittag. Die Leistungen seien hier regelrecht eingebrochen und hätten sich fast halbiert (- 48 Prozent). Der nahezu gleiche Trend sei kreisweit festzustellen.

„Die Hürden wurden erhöht, um eine Kostenexplosion zu verhindern“

Die Gründe seien in den neuen kreisweiten Richtlinien zur Lernförderung ab September 2017 zu sehen. Man habe offensichtlich „die Hürden erhöht, um eine Kostenexplosion zu verhindern“, kritisierte Stefanie Rade.

Die Leistungen sind nicht gedeckelt

Insbesondere Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die Arbeitslosengeld II, Sozialgeld oder Sozialhilfe erhalten oder deren Eltern den Kinderzuschlag oder Wohngeld beziehen, haben grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf Bildungs- und Teilhabeleistungen.

Auch wer Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhält, kann einen Anspruch auf das Bildungspaket haben. Diese Leistungen sind grundsätzlich nicht gedeckelt und werden aus Bundesmitteln refinanziert.

Um den vollen Stundensatz (20 Euro) abrufen zu können, müsse der Nachhilfelehrer jetzt auch über eine Qualifikation (Fakulta) für das Nachhilfefach verfügen. Die maximale Gruppengröße sei auf drei Nachhilfeschüler beschränkt worden. Einige Anbieter hätten so die Zusammenarbeit beendet, da die Lernförderung so weniger lukrativ geworden sei. Zudem müsse für die Lernförderung weiterhin ein Antrag gestellt werden. Voraussetzung dafür ist, dass nur dadurch das wesentliche Lernziel (z.B. Versetzung) erreicht werden kann, was auch die Schule bestätigen und begründen müsse.

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Diese Erschwernis des Zugangs zur Lernförderung wurde von den Mitgliedern des Sozialausschusses unisono kritisiert, da es ja erklärtes Ziel der Bildungspolitik sei, lernschwache Kinder zu fördern. Sozialdezernent Rainer Weichelt regte an, das Thema mit in den Schulausschuss zu nehmen und auch auf Kreisebene anzusprechen: „Gegebenenfalls muss da nachgesteuert werden, es darf nicht sein, dass etwas Richtiges und Wichtiges abgewürgt wird.“