Gladbeck/ Bottrop. SPD-Bundestagsabgeordneter Michael Gerdes will auf den Sinkflug seiner Partei reagieren. Ein Gespräch über Herausforderungen und die AfD.
Nicht erst seit den schlechten Ergebnissen bei der Europawahl ist klar: In der SPD kriselt es. Mit SPD-Bundestagsabgeordneten Michael Gerdes sprach die WAZ über seine eigene Partei, Bedrohungen, die AfD und die drängendsten Fragen in seinem Wahlkreis.
Herr Gerdes, die SPD hat bei der Europawahl herbe Verluste einfahren müssen. Wie erklären Sie sich das, und wie blicken Sie vor diesem Hintergrund auf die im kommenden Jahr anstehende Kommunalwahl und die Bundestagswahl 2021?
Die Europawahl lässt sich nicht mit der Kommunalwahl vergleichen. Tatsache aber ist, dass wir unsere klassische Wählerschaft verlieren. Viele unserer Stammwähler sehen ihre politische Heimat nicht mehr bei der SPD. Man muss aber auch sehen, dass viele, die die AfD wählen, nicht gleich rechts sind. Die AfD kommt mit einfachen Themen, die Lösungen zu den Problemen sind dabei egal. Auch, ob die Grünen ihre politischen Ziele umsetzen können, wird nicht hinterfragt. Die SPD aber ist in der Regierungsverantwortung und da werden von uns Ergebnisse erwartet. Bei einer erfolglosen Fußball-Mannschaft schaltet auch niemand den Fernseher ein. Es ist schwierig rüberzubringen, dass wir auch erfolgreich sind. Ständig wird zudem darauf spekuliert, dass die Große Koalition zerbricht. Wir machen unseren Job und den sollen uns die Menschen auch machen lassen. Ich halte die GroKo für ein vernünftiges Modell. Der Wähler wird bei der nächsten Bundestagswahl 2021 entscheiden müssen, ob er das wieder möchte.
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Werden Sie denn noch einmal bei der nächsten Bundestagswahl antreten?
Wenn es nach mir geht, kann ich mir vorstellen, noch einmal eine Runde zu drehen. Ich mache Politik so lange es mir Spaß macht und ich gesundheitlich fit bin. Mit 75 muss ich allerdings nicht mehr im Parlament sitzen.
Macht Ihnen die Politik denn noch Spaß?
Ja. Dispute auf sachlicher Ebene machen mir Spaß. Allerdings stelle ich eine zunehmende Verrohung fest. Und wenn man selbst und die eigene Familie bedroht wird, macht es auch keinen Spaß mehr. Denn das gehört tatsächlich inzwischen zum Tagesgeschäft. Sei es über soziale Medien oder per Briefe, die zu Hause in meinem Postkasten landen.
Wie gehen Sie damit um?
Indem ich keine Angst zeige und auch keine Angst habe. Denn mit der Bedrohung von Politikern hat es auch im Dritten Reich angefangen. Dem will ich mich nicht beugen. Auch bei einigen Vertretern der AfD fühle ich mich durch deren Rhetorik in andere Zeiten versetzt. Im Parlament lasse ich bei meinen Reden grundsätzlich keine Zwischenfragen der AfD zu. Die sind im Bundestag nämlich mit einem Fernseh-Team unterwegs und schneiden ihre Beiträge dann so, dass es für sie passt. Auch das erinnert mich ans Dritte Reich. Geschichte wiederholt sich.
Der Schnupftabak ist „eine doofe Angewohnheit“
Michael Gerdes sitzt seit 2009 im Bundestag. Zuvor war er Elektriker auf Prosper Haniel und später Betriebsratsmitglied. Der Bergmann aber, der steckt noch heute in dem 59-Jährigen. Während des WAZ-Gespräches streut Gerdes immer wieder Schnupftabak auf seine Hand, inhaliert ihn. „Das ist eine doofe Angelegenheit“, sagt er. Tatsächlich schnupfe er heute viel mehr als früher, als er noch unter Tage arbeitete. „Da hatte ich weniger Zeit und habe viel mehr mit den Händen gearbeitet.“
Michael Gerdes ist verheiratet, hat drei erwachsene Töchter und sieben Enkelkinder.
Welche Konzepte haben Sie, um auf lokaler Ebene dem Sinkflug Ihrer Partei entgegen zu wirken?
Ich will wieder öfter mit den Menschen reden. Nehmen wir das Beispiel Fridays for future. Wir haben uns immer beschwert, dass junge Leute nicht politisch sind. Jetzt müssen wir auch mal hingehen und mit ihnen reden. Wir können nicht von den Schülern erwarten, dass sie fertige Konzepte haben. Da habe ich übrigens das Engagement der Jusos vermisst. Ich habe vermisst, dass sie sich einmischen und auf die jungen Menschen zugehen.
Ich besuche Kinderfeste, Seniorenheime und mache Hausbesuche. Die Bürgernähe ist bei vielen abhanden gekommen. Ein anderes Konzept, als verstärkt auf die Menschen zuzugehen, habe ich jedoch nicht. Wenn ich wüsste, was ich besser machen könnte, würde ich es tun. Die Menschen interessieren sich zwar noch für Politik, sind aber nicht mehr so an eine Partei gebunden.
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Wie sehen Sie die Zukunft der SPD? Wird es sie in ein paar Jahren noch geben?
Die SPD wird weiter eine Rolle in der Gesellschaft spielen. Ich befürchte aber auch, dass auch die AfD weiter eine Rolle spielen wird. Zudem wird sich das Parteiensystem verändern. In einigen Jahren wird es noch ein paar mehr Parteien geben.
Was sind derzeit aus Ihrer Sicht die drängendsten Themen in Ihrem Wahlkreis?
Durch das Bergbau-Aus sind viele Arbeits- und Ausbildungsplätze weggefallen. Aber auch aus der Kohleverstromung werden wir aussteigen. Adäquate Ersatzarbeitsplätze sind daher eine große Herausforderung. Es haben sich schon einige kleine Betriebe angesiedelt. In Gladbeck einige Kreative etwa am Wiesenbusch. Da sind wir auf einem guten Weg.
Aber auch im Bereich Pflege gibt es noch viel zu tun. Dort brauchen wir viel mehr Personal. Das Problem ist, dass die Ausbildung in Pflegeheimen nicht vergütet wird. Wir haben noch viele Baustellen.
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Wie wollen Sie die Herausforderungen angehen?
Ich habe mir vorgenommen, die Region zu stärken und will versuchen, Geld reinzuholen. Gleichwertige Lebensverhältnisse heißt nämlich, auch im Ruhrgebiet etwas zu tun. Ich sehe auch in Gladbeck und Bottrop viele Ecken, die erneuerungswürdig sind. Dennoch tut sich auch einiges, wenn ich an den Abriss von Möbel Tacke oder die Schwechater Straße denke. Auch mit Hoch10 ist ein Pflock gesetzt. Dabei wird es jetzt darauf ankommen, dass das City Center nicht leer zieht. Grundsätzlich sehe ich eine positive Entwicklung. Da muss man am Ball bleiben.
Wie stehen Sie dazu, dass jetzt einige Städte, darunter auch Gladbeck und Bottrop, den Klimanotstand ausgerufen haben?
Das ist für mich Symbolpolitik. Wichtiger sind die Dinge, die wir vorher mit Innovation City auf den Weg gebracht haben. Bottrop war schließlich Modellstadt. Keine Frage aber ist, dass wir das Bewusstsein bei den Menschen schärfen müssen, etwa das Auto mal stehen zu lassen.