Gladbeck. Die Bürger waren nach vier Kriegsjahren demotiviert und ausgelaugt. Ein Soldatenrat übernahm am 9. November die Macht in der Stadt. Keine Unruhen

Als vor 100 Jahren der Erste Weltkrieg zu Ende ging, litt Gladbeck große Not: Anfang November 1918 war die Versorgungslage katastrophal, die Arbeitsbedingungen waren schwierig. Das Stadtbild prägten verkrüppelte Männer, die aus dem Feld zurückgekehrt waren, unterernährte Frauen und Kinder. „Die Stadtbevölkerung war durch die Kriegsereignisse schwer getroffen“, heißt es in einer Bilanz.

Schon lange waren die Gladbecker ernüchtert, was den Krieg und die Durchhalteparolen anbelangte. „Die Menschen waren demotiviert und empfanden die Lage als aussichtslos“, so Stadthistorikerin Ka­trin Bürgel. Lebensmittel waren rationiert – wenn, dann bekam man sie auf Marken. In der Gladbecker Zeitung wurden regelmäßig die geänderten Mengen-Zuteilungen pro Person bekannt gemacht. Höchstpreise waren festgesetzt und wurden kontrolliert. Die Geschäfte waren verpflichtet, Preistafeln aufzuhängen. In amtlichen Bekanntmachungen wurden Landwirte aufgefordert, die „vorgeschriebenen Pflichtmengen“ an Kartoffeln oder Getreide „zur Volksernährung“ abzuliefern. Groß inseriert wurde die Ankunft eines ganzen Waggons „prima gelber Speisemöhren“ – für 11 Mark den Zentner.

Am 3. November 1918 gab es eine Kundgebung gegen den Krieg

Täglich vermeldeten in den letzten Kriegstagen Angehörige den „Heldentod“ des Sohnes oder Mannes, der an der Front sein Leben für „Kaiser und Vaterland“ verloren hatte. Nicht selten starben zurückgekehrte Soldaten an Kriegsverletzungen. Darüber hinaus plagte die Bevölkerung eine erste Wintergrippe, die gefährliche Ruhr breitete sich aus. Vor allem Frauen und Mädchen starben daran. In Anzeigen wurde für die 9. Kriegsanleihe geworben – und gemahnt: „Wer Banknoten hamstert, handelt töricht!“

Zur Ablenkung vom Kriegsalltag luden die Lichtspielhäuser ein: Im Apollotheater, Hochstraße, lief die „Königin der Nacht“, im Industrie-Lichtspiel am Markt „Das Abenteuer des Kapitäns Hansen“. Die depressive Stimmung der Bevölkerung entlud sich am 3. November im renommierten Kaisersaal an der Kirchstraße bei einer Kundgebung, zu der unter dem Titel „Schicksalsstunden des deutschen Volkes“ Parteien, Vereine und Verbände einluden. „Wir wünschen nichts sehnlicher als einen baldigen und gerechten Frieden“, hieß es. Und: „Dem entsetzlichen und jetzt auch sinnlos gewordenen Blutvergießen muss ein unverzügliches Ende gemacht werden.“

Arbeiter- und Soldatenrat übernimmt Macht in der Stadt

Dann überschlugen sich ab dem 9. November mit der Abdankung des Kaisers und der Ausrufung der Republik in Berlin die politischen Ereignisse. Allerdings lief die Revolution in Gladbeck geordnet ohne Krawalle oder gar Blutvergießen ab. Am Abend bildete sich im Beisein von Amtmann Dr. Michael Jovy, der erst seit Januar im Amt war, ein Arbeiter- und Soldatenrat, der die „Macht“ in der Stadt übernahm.

Er erließ „zur Aufrechterhaltung der Ordnung“ Verfügungen, u.a. ein Ausgangsverbot ab 20 Uhr, eine Schließungsverfügung für Gaststätten, Theater und Vergnügungslokale ab 19.30 Uhr und die Androhung, dass Einbrüche und Räubereien streng geahndet würden – mit standrechtlichen Aburteilungen und „in schweren Fällen mit dem Verhängen der Todesstrafe“. 60 Hilfspolizisten halfen bei der Sicherstellung von Ruhe und Ordnung. Der Arbeiter- und Soldatenrat arbeitete eng mit Polizei und Amtsverwaltung zusammen.

Tausende Menschen strömten auf den Rathausplatz

10.000 Gladbecker kämpften im Ersten Weltkrieg

Aus Gladbeck, das damals etwa 53.000 Einwohner zählte, nahmen rund 10.000 Männer am Ersten Weltkriegs teil. Es gab 1713 Gefallene. Die beiden jüngsten waren 16, der älteste 47.

Der verlustreichste Monat für Gladbecker Soldaten war der November 1914 mit 110 Toten. Der Verlustreichste Tag war der 10. November 1914 mit 39 Toten bei der Schlacht bei Poelkappelle.

Am Sonntag, 10. November, berichtete die Gladbecker Zeitung mit Sitz gegenüber dem Amt­haus im Sonderdruck über die Ereignisse. Tausende Menschen strömten auf den Rathausplatz und auf die Hochstraße, um Neues zu erfahren. Es blieb aber ruhig. Am Abend hissten auswärtige Soldaten eine rote Fahne auf dem Rathaus.

Tags drauf, am 11. November, erreichte die Gladbecker die Nachricht vom Kriegsende. Sie wurde „mit erleichterndem Aufatmen lebhaft begrüßt“. Amtmann Dr. Michael Jovy, der mit der „neuen Bewegung“ zusammenarbeitete, versuchte, die schwierigen Verhältnisse in der Stadt in den Griff zu bekommen. Er erwies sich als tatkräftig und zupackend, wie es hieß, und zeigte dem kriegsgeschundenen Gladbeck den Weg in die Zukunft.