Gladbeck. . Davidstern und Familiennamen erinnern an das schreckliche Schicksal der Juden in der Zeit des Holocausts. Gut 150 Gladbecker kamen zur Gedenkfeier.
Am Freitagnachmittag erklang am Haus Horster Straße 54 zum ersten Mal wieder das jüdische Kaddisch-Gebet für die Toten, das hier durch den Terror der Nationalsozialisten in Gladbeck vor 80 Jahren verstummte. Am einstigen Wohn- und Geschäftshaus der Familie Kaufmann, das in der reichsweiten Pogromnacht am 9. November 1938 von Nazi-Horden gestürmt und mitsamt des hier eingerichteten Betsaals der jüdischen Gemeinde verwüstet wurde.
Eine Gedenktafel an der Seitenwand des Gebäudes
Das diesjährige öffentliche Gedenken der Stadt an das Novemberpogrom war so in mehrfacher Hinsicht ein ganz besonderes. Denn nicht nur eine Gedenktafel an einer Seitenwand des Gebäudes, sondern auch ein Davidstern und der große Schriftzug auf der Frontseite „Ida und Max Kaufmann-Haus“ – ebenso in hebräischen Schriftzeichen – zum Gedenken und zur Würdigung der Familie erinnern sichtbar an das Schicksal aller Gladbecker Juden.
Ganz persönlich greifbar wurden diese Schicksale für die rund 150 Besucher der Gedenkveranstaltung am Haus, in dem die Arbeiterwohlfahrt heute psychisch kranke Menschen betreut, durch die Anwesenheit von Chaja Kaufmann und ihrer Cousine Batja. Chaja Kaufmann ist die Enkelin von Jette (Ida) und Meschulim (Max) Kaufmann, die hier mit ihren acht Kindern ab 1938 den offenen Nazi-Terror durchlitten. Chaja Kaufmann lebt heute in Amsterdam. Sie erzählte vom „Trauma zu diesem Haus“, das in ihr fortlebe. Und sie gab dem Leid, das damals über die jüdischen Familien gebracht wurde, so eine anrührende Stimme.
Aus Galizien nach Gladbeck geflohen
„Für mich ist es wichtig, meiner Familienmitglieder zu gedenken und ihre Namen zu nennen“, so der Ehrengast. 1911 seien die Großeltern „mit Onkeln, Tanten und Geschwistern“ in der Gladbecker Umgebung angekommen, nachdem sie aus Galizien (heute Ukraine) geflohen waren. Hier bekamen sie acht Kinder: „Menne, Sara, Leo – mein Vater – , die Zwillinge Peril und Miriam, Esther, Charlotte und Selma“.
Die Kaufmanns brachten es mit ihrem Kurzwarenhandel zu einigem Wohlstand, kauften 1924 das Haus an der heutigen Horster Straße und hofften auf eine glückliche Zukunft. Pläne, die durch den Holocaust zerstört wurden: Nur der Vater und Tante Selma überlebten die Zeit des Nazi-Terrors, ebenso die Cousine Batja, die im Familiendomizil an der heutigen Horster Straße geboren wurde. „Ich hoffe, dass dieses Haus mit den Namen meiner Großeltern ein Symbol wird für Werte wie Reflexion, Respekt und Hoffnung“, wünschte sich Chaja Kaufmann. „Es geht im Leben darum, miteinander zu sprechen, einander zu verstehen und zusammen Lösungen zu suchen.“
Auch im Jetzt allen antisemitischen und rassistischen Strömungen entgegentreten
Mahnende Worte der Redner
Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, Judith Neuwald-Tasbach, merkte in ihrer Rede an, „dass die Sprache gegenüber Minderheiten in Deutschland wieder rauer werde“.
Prof. Dr. Frank Bajohr insistierte beim Vortrag, dass die Erfahrungen aus der Vergangenheit das Einzige seien, „aus dem die Menschen heute lernen können“.
Ihr Appell fand Widerklang in den weiteren Gedenkreden, darunter die des Bürgermeisters. Man dürfe die Opfer nicht dem Vergessen überlassen, müsse aber auch im Jetzt „allen antisemitischen und rassistischen Strömungen entgegentreten, um Frieden zu wahren“, forderte Ulrich Roland. Denn wieder würden Grenzen durch Antidemokraten überschritten, tauchten auch in Gladbeck „immer öfter Hakenkreuze und andere Schmierereien auf“.
Das gesungene Kaddisch mahnte im Gedenken an die Toten auch die Anwesenden – und rührte nicht nur Chaja Kaufmann zu Tränen. Für die Familiengeschichte ist sie selbst ein Symbol, da die Eltern ihren Vornamen sicher nicht von ungefähr wählten: Chaja bedeutet soviel wie „Leben“ oder „die Lebendige“.