Gladbeck. Die Gladbecker SPD hat die Botschaft der letzten Wahlergebnisse verstanden und nimmt das Wort von der Erneuerung ernst, so der Stadtparteichef.
19 Prozent? Oder doch nur wieder 18,5? Der Blick auf die Umfrageprognosen tut auch Gladbecker Genossen weh. Die desaströsen Wahlergebnisse der Partei in Land und Bund im vergangenen Jahr und erschreckend hohe Prozentzahlen in einigen Stadtteilen für die AfD haben die SPD vor Ort aufgeschreckt. Was ist zu tun, damit es wieder aufwärts geht? „Wir brauchen Erneuerung“, sagen sie in Düsseldorf und Berlin. Was sagt die Parteispitze in Gladbeck? Das haben wir Jens Bennarend, Vorsitzender des Gladbecker Stadtverbands, gefragt.
Stichwort Erneuerung: Was heißt das für Sie und die Gladbecker SPD?
Bennarend: Den Begriff haben viele vor Ort satt. Wir brauchen keine neue Partei, wir brauchen mehr Klarheit. Wir müssen unsere sozialdemokratischen Werte wieder mit Leben füllen und das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen. Vertrauen ist die einzige Währung in der Politik, die zählt.
Klingt gut, aber wie fangen Sie an, es zurückzugewinnen? Was muss getan werden?
Wir haben hier in Gladbeck schon früh nach den Wahlen angefangen, uns Gedanken zu machen, was anders werden muss. Auf mehr als einer Veranstaltung in den vergangenen Monaten haben wir Vorschläge erarbeitet und diskutiert unter dem Motto: Alles ist möglich.
Was ist denn möglich?
Eine Modernisierung der Strukturen beispielsweise. Wir müssen in den neuen Medien besser werden. Wir haben auch diskutiert, ob man Ortsvereine zusammenlegen sollte. Aber man darf nicht vergessen, Ortsvereine sind auch ein Stück Heimat, nicht nur im politischen Sinne, auch im menschlichen. Man sieht ja, was passiert, wenn Kirchengemeinden oder Sportvereine dicht machen, dann lassen sie die Menschen zurück, weil diese ihren gewohnten Platz verloren haben. Man könnte auch alles so lassen, und der Stadtverband übernimmt mehr Service. Das lassen wir gerade prüfen. Wir überlegen auch, statt eines Stadtparteitags mit Delegierten eine Mitgliederversammlung für alle einzuberufen. Diese Vorschläge werden jetzt in den Ortsvereinen diskutiert.
Das sind äußere Strukturen, was ist mit den inhaltlichen Themen?
Zur Person: Jens Bennarend
Jens Bennarend ist seit zehn Jahren Vorsitzender der Gladbecker SP D, seit sechs Jahren stellvertretender Vorsitzender der Kreis-SPD und seit 2010 Kreistagsabgeordneter. Er ist Kreistagsmitglied und dort Vorsitzender des Ausschusses für Bildung.
Im April nominierte ihn der SPD-Kreisverband mit großer Mehrheit zum Kandidaten für die Europawahl im Mai 2014. Der 46-jährige ist verheiratet und arbeitet als Lehrer für Deutsch, Französisch und Latein an der „Gesamtschule Gartenstadt“ in Dortmund.
Wir müssen aufhören, über Orchideen- und Randthemen zu reden. Arbeit und soziale Sicherheit sind die wichtigen Themen. Wir haben lange diskutiert über das bedingungslose Grundeinkommen und darüber, ob das nicht den Wert von Arbeit des Individuums in Frage stellt. Und es gibt die Notwendigkeit, Arbeitnehmer mit der digitalen Welt zu verbinden. Außerdem haben wir trotz guter Konjunktur und Beschäftigungssituation ein zu großes Prekariat – Menschen, die von ihrer Arbeit nicht leben können, Leute die sich von einem befristeten Vertrag in den anderen hoffen, Leiharbeiter, die nicht wissen, was das Morgen bringt. Aber auch viele mit sicheren Arbeitsplätzen haben ständig Angst vor dem Abstieg.
Genau das ist doch die Folge von Schröders Agenda 2010 und eins der Kernprobleme der SPD.
Ja, damit müssen wir umgehen und die Reformen der Agenda 2010 in vielen Punkten verändern. Der Vertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, nachdem auch Arbeitnehmer profitieren, wenn es der Wirtschaft gut geht, ist durch die Agenda 2010 ausgehöhlt worden. Auch wenn damals Deutschland das europäische Schlusslicht war, haben wir über zwei Regierungsperioden verpasst, das Steuer herumzureißen. Jetzt müssen wir den Menschen dringend Sicherheit und Perspektiven für die Zukunft geben. Positiv ist, dass der Soziale Arbeitsmarkt, den wir seit langem fordern, jetzt umgesetzt wird. Da werden wir genau drauf schauen, wie das gemacht ist.
Die AfD hat der SPD bei den Landtags- und Bundestagswahlen auch in Gladbecker Stadtteilen gehörig Stimmen weggenommen. Wie lassen sich diese Wähler zurückgewinnen?
Durch reden, reden, reden. Und kämpfen, kämpfen, kämpfen. Wir müssen Fragen stellen und die Leute mit ihren Befürchtungen ernst nehmen. Auch die eigenen. Es tut weh, wenn SPD-Wähler sich das Thema Integration von der AfD besetzen lassen, ohne deren Programm zu kennen. Man muss den Leuten ganz klar machen: Politik ist kein Kühlschrank, den man nach vier Jahren gegen einen anderen ersetzt, weil der irgendwie mehr verspricht. Politik und Demokratie bedeuten, jeden Tag mitzugestalten und sich selbst auch zu informieren.
Reden ist gut, aber wo treffen Sie die Leute?
Zum Teil in der eigenen Partei, aber wir müssen auch zu ihnen hingehen. Ich habe den Vorschlag gemacht, dass wir wieder vermehrt Hausbesuche machen. Früher hatten wir die Hauskassierer, die regelmäßig zu den Leuten gingen und erfahren haben, was ihnen auf den Nägeln brennt. Aber wir brauchen die Bürger, die uns sagen, wo es hakt. Nur wenn wir das wissen, können wir sehen, wie wir es umsetzen. Wir müssen handeln, nicht nur drüber reden.