Gladbeck. . Mit einem bunten Programm feierten Schüler, Kollegium und viele Gäste den Abschied. Redner sprachen viel Lob und Anerkennung aus.
„Und wie lange müssen Sie noch?“ Zigmal hat Gerd Weggel (65) die Frage gehört, jetzt kann er diese Antwort geben: „Gar nicht mehr.“ Nach mehr als 40 Jahren im Schuldienst und 29 Jahren als Leiter der Braucker Realschule geht er in Pension. Und natürlich ließen ihn Schüler, Lehrerkollegium, Weggefährten, Vertreter der Stadt und Bezirksregierung sowie ehemalige Schüler nicht ohne eine Verabschiedungsfeier mit allem, was dazu gehört, von dannen ziehen.
Gesungen, getanzt, musiziert, gewitzelt, geredet, gelobt, wehmütig erinnert und viel applaudiert wurde an diesem Vormittag im Pädagogischen Zentrum der Schule. Es waren die Schüler, die Regie führten, gestalteten und den Ablauf gekonnt moderierten (Marc und Leila aus der 9c), und das sagt schon vieles über diese Gladbecker Schule.
Herzliche Dankesworte zum Abschluss
Vielleicht haben die Herzlichkeit, die ehrlichen Dankesworte oder auch das fröhliche Loblied des Chors der 5b – „seine Schule ist einfach gut, sie macht vielen Mut und sie macht schlau“ – dem leidenschaftlichen Pädagogen, der „nicht belehrt, sondern von dem man viel lernen kann“, so Schuldezernent Rainer Weichelt, den Abschied etwas versüßt. Denn drauf gefreut habe er sich nicht, gibt Weggel ehrlich zu, der bei seiner Feier als letzter Redner auf der Bühne stand. Dieser Schultag ist ihm nicht leicht gefallen.
Wie sollte es auch. Ist doch die Erich-Kästner-Realschule in den vielen Jahren zu seiner Schule geworden. Dabei war das „Weggelsche Obwohlprinzip“, wie es Regierungsschuldirektor Guido Fleige als unschlagbare, typische Argumentation von Weggel kennt, wohl ausschlaggebend. Obwohl heißt: Die Ausgangslage war desaströs, als der damals junge Lehrer für Kunst und Deutsch als Leiter an die Schule kam. Sie hatte 1989 nicht einmal einen eigenen Namen, kämpfte mit desaströs geringen Schülerzahlen, lag in einem damals noch sozial schwierigen Stadtteil und war dazu Ganztagsschule! Was bei Lehrern nicht gerade beliebt war.
Als er 1989 anfing, lagen Versetzungsanträge von acht Lehrern auf dem Tisch
Weggel hatte gleich zu Beginn seiner Tätigkeit acht Versetzungsanträge aus dem Kollegium auf dem Tisch, alle wollten nach Münster. Und der neue Chef am Kortenkamp ließ sie alle ziehen. „Die Richtigen sind gegangen, die Richtigen gekommen“, sagt er. Mit dem neuen Kollegium baute er die Schule um und auf – ganz im Sinne Erich Kästners, dem Namensgeber, der mal schrieb, dass man aus Steinen, die in den Weg gelegt werden, etwas bauen kann.
Weggel nahm das wörtlich, förderte kreative Ideen und mutige Projekte. Schon Anfang der 90er machte die Braucker Realschule bundesweit Schlagzeilen, weil dort erstmals das Schulfach Ökologie angeboten wurde. Heute ist die EKR eine Realschule, die sich mit zig Preisen und Auszeichnungen schmücken kann; war zweimal, 2010 und 2015, nominiert für den Deutschen Schulpreis und schrammte nur haarscharf am Sieg vorbei. Wurde immer wieder vielfach von Experten gelobt, von der ehemaligen NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft als „herausragendste Schule in NRW“ bezeichnet. Empfängt am Kortenkamp häufig Besucher, die gucken wollen, wie die Braucker das schaffen: Dass 75 Prozent der Schüler die Schule mit der Qualifikation für die Oberstufe verlassen, kein Kind sitzen bleiben muss, die Anmeldezahlen durch die Decke schießen – 224 waren es fürs neue Schuljahr – und die Stimmung so gut ist. „Die erste Adresse unter den 500 Realschulen im Land“ lobte Bürgermeister Roland, der per Videobotschaft aus dem Urlaub Glückwünsche überbrachte.
Nachfolger Ulrich Elsen war bisher der Stellvertreter
Es sind viele Spuren, die Weggel hinterlässt, und große Fußstapfen, in die sein Nachfolger Ulrich Elsen treten wird. Er war bisher Stellvertreter und versichert seinem Vorgänger: „Wir werden alles tun, um dein Werk fortzuführen.“
Für Gerd Weggel gilt nun, was einst der Trainer der Frankfurter Eintracht, Dragoslav Stepanovic, sagte: „Lebbe geht weider“, zitierte er zum Abschluss.
Weiterhin Ausstellungen in der Neuen Galerie
In Gladbeck wird Gerd Weggel übrigens präsent bleiben. Denn seine andere Leidenschaft, die Kunst, hält ihn weiter in der Stadt. Seit Jahren stellt er bemerkenswerte Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst für die Neue Galerie zusammen. Das bleibt auch so.
Der Schulleiter im Interview: „Das Wichtigste ist Freundlichkeit“
Wenn es das Etikett „Gute Schule“ noch nicht gäbe, müsste man es für die EKR erfinden. Wie gelingt eine „gute Schule“?
Das Wichtigste ist Freundlichkeit. Dafür gibt es keinen Erlass und keine Verordnung, aber ich habe das immer gepredigt. Gemeint sind damit Respekt, Anstand, Empathie und Interesse den Kindern gegenüber. Die haben ein Gespür dafür, und dann kriegt man viel von ihnen zurück. Es sind kleine Gesten der Freundlichkeit, wie beispielsweise als Lehrer einem Schüler die Tür aufzuhalten, oder zu fragen, ob man helfen kann. Kinder genießen das Interesse. Es gibt hier viele dieser kleinen Gesten.
Allgemein werden Verwerfungen in der Gesellschaft beklagt, die sich auch in der Schule spiegeln. Lehrer klagen, dass Eltern ihnen die Erziehungsarbeit überlassen.
Ja, die Verwerfungen gibt es und die kennen wir auch. Die Einzelfallproblematiken sind härter, auch bei uns gibt zwei bis drei Totalverweigerer. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass die Situation uns entgleitet. Es gibt Regeln und Vereinbarungen, wichtig sind aber auch Verständnis und Toleranz. Es gilt auch: Wir müssen das gute Beispiel selbst vorleben.
An Ihrer Schule gibt es so gut wie keine „Abschulung“ und keine Sitzenbleiber. Wie geht das?
Das Wesentliche ist, sich um die Kinder zu kümmern. Wir halten alle und ziehen auch mal jemanden mit durch, der zwei Fünfen hat. Mit dem Programm „Komm mit“, das wir entwickelt haben, ist unser Ansatz: fördern statt sitzenbleiben. Man muss immer sehen: Nicht die Fächer sind entscheidend, es sind die Menschen. Unsere Zeugniskonferenzen dauern deshalb Stunden, weil nicht die Noten die Hauptsache sind, sondern das Kind im Ganzen im Blick ist.
Würden Sie noch einmal Lehrer werden?
Auf jeden Fall. Ich habe meine Berufsentscheidung nicht eine Sekunde bereut.