Gladbeck. . Für vier Tage reisen Vier- bis Achtjährige samt Eltern aus Shanghai an, um an der Voßstraße in Gladbeck bei Ines Tobies Unterricht zu bekommen.
Ob sie denn Chinesisch – genauer gesagt: Mandarin – spricht? Immerhin hat Ines Tobies vor fünf Jahren für zwei Wochen Kinder in Shanghai unterrichtet. Die 31-Jährige muss bei dieser Frage lachen: Für ein „Guten Tag“ würden ihre Kenntnisse vielleicht noch reichen. Sei’s drum. Die Gladbeckerin beherrscht statt dessen eine Sprache, die wohl alle Menschen auf dem Erdball verstehen: die Sprache der Musik.
Weiter Weg für vier Tage
Das hat seinerzeit in Shanghai funktioniert, das wird – so hofft Ines Tobies – auch diesmal funktionieren, wenn elf chinesische Mädchen und Jungen vom 23. bis 27. Juli in der Musikschule „Pianissimo“ Elementar-Musikunterricht bekommen. Nein, die Zeitangabe ist kein Tippfehler: Die Eltern der Vier- bis Achtjährigen nehmen tatsächlich den weiten Weg aus dem Reich der Mitte auf sich, um ihren Kindern diesen Unterricht über die paar Tage zu ermöglichen. Ines Tobies, mit ihrem Mann Mario Pianissimo-Inhaberin, sagt: „Soweit ich weiß, zahlen die Eltern diese Reise aus eigener Tasche.“ Die Musikpädagogin erzählt: „Viele machen vorher individuell eine Besichtigungstour in ganz Europa.“ So ein Aufwand, so hohe Kosten, das sei den Besuchern hoch anzurechnen.
Aus allen Ecken unseres Kontinents kommen sie schließlich an der Voßstraße zusammen. Hier erst lernen sie sich untereinander und ihre deutsche Lehrerin kennen. Und umgekehrt. Denn die 31-Jährige hat keine Ahnung, auf welchem musikalischen Niveau ihre chinesischen Schüler stehen. „Ich weiß nur, dass zwei oder drei der Kinder seit einem Jahr Klavierunterricht bekommen“, sagt sie. Sie findet es interessant, zu vergleichen: Was können deutsche Steppkes mit dem Orff-Instrumentarium – Klangstäbe, Schellenkranz, Xylophon und Co. – anfangen, was kleine Chinesen? Da müsse sie als Lehrerin eben flexibel sein und sich dem Kenntnisstand ihrer Schützlinge anpassen.
Wichtige Rolle: Improvisation
Was ein Unterschied in der Methodik beider Länder sein mag: Die Eltern will Tobies in den Unterricht einbinden. Auch wenn die 31-Jährige nicht davon ausgeht, „dass sie bei Null anfangen“ muss, dürfte eines gewiss sein: Die Inhalte ihres Unterrichts sind für die elf kleinen Chinesen Neuland. Sergei Prokofievs „Peter und der Wolf“ – ein Klassiker zur Einführung in die Instrumentenkunde – hat die Spezialistin für musikalische Früherziehung umarrangiert. Und bei der Vertonung des typisch deutschen Märchens „Die Bremer Stadtmusikanten“ soll jedem Charakter ein bestimmtes Instrument zugeordnet werden. Improvisation spiele eine wichtige Rolle im Unterricht, den sie mit einer Ausnahme komplett übernimmt: Werner Rizzi, Professor für Elementare Musikpädagogik an der Folkwang Universität Essen, wird an einem Nachmittag den Ton angeben.
Vorgeschichte
Ines Tobies, die an der Folkwang Universität Essen studiert hat, gab bei ihrem ersten – „und leider bisher einzigem China-Aufenthalt“ – musikalischen Elementar-Unterricht für Zwei- bis Siebenjährige.
Der Kontakt war über eine chinesische Kommilitonin zustande gekommen. Die 31-jährige Pädagogin: „Das Projekt in Shanghai wurde damals vom Goethe-Institut finanziert.“
Den Stundenplan habe sie mit ihrer chinesischen Kollegin abgestimmt. Diese Lehrerin ist Verona Zhao von der Britannica British School of Shanghai. „Das ist eine internationale, englischsprachige Schule“, so Tobies. Der Kontakt nach China sei seit ihrem Besuch im Jahre 2013 über in Deutschland lebende Landleute – wie Ran Xu, die an der Folkwang Universität studiert – nie abgebrochen, plaudert die Gladbeckerin. Ursprünglich sei sie gefragt worden, ob sie nicht noch einmal nach Shanghai kommen wolle. Aber wegen ihres zweijährigen Sohnes habe sie abgesagt. Nun also reisen Chinesen zum Unterricht bei Ines Tobies nach Gladbeck – für ihre Kinder und deren Musik ist ihnen offenbar kein Weg zu weit.