Gladbeck. Um Attacken von hinten zu verhindern, will die Vestische in allen Bussen Seitenscheiben installieren. Zahl der Angriffe ist gestiegen.

Die Nase tut Martin Kuhlmann noch weh. „Aber immerhin sehe ich schon wieder ganz annehmbar aus“, sagt der Busfahrer der Vestischen. Der 54-Jährige kann auch schon wieder lächeln. Was erstaunt. Denn es ist erst anderthalb Wochen her, dass er in einer riesigen Blutlache kniete – zusammengeschlagen von einem Fahrgast (29).

Einen Nasenbeinbruch, Prellungen am Schädel und Unterarm sowie Schürfwunden trug der Recklinghäuser davon. Den Glauben an die Menschheit hat er trotzdem nicht verloren. Denn: „Vier, fünf Fahrgäste haben einen zweiten Angriff verhindert. Das sind meine Helden.“

Zahlen tätlicher Übergriffe sind deutlich gestiegen

Lange Zeit gab es jährlich immer eine Handvoll tätliche Übergriffe auf Busfahrer der Vestischen. 2017 ist diese Zahl dann sprunghaft gestiegen – von vier auf 15. „Das waren alles Übergriffe, die zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt haben. In zwölf Fällen dauerte sie länger als drei Tage, da war es also richtig zur Sache gegangen“, sagt Norbert Konegen, Sprecher der Vestischen. Und er hält fest: „Das Klima in den Bussen ist rauer geworden.“

Das Nahverkehrsunternehmen reagiert auf diese Entwicklung – und nimmt nun einen ersten Bus mit einer Seitenscheibe am Fahrersitz in Betrieb. Damit sollen vor allem Angriffe von hinten verhindert werden. „Wir haben entschieden, dass alle neuen Busse damit ausgestattet werden“, so Konegen. Durchschnittlich schafft die Vestische zehn bis 15 neue Fahrzeuge pro Jahr an, aktuell umfasst die Flotte 220 Busse.

Fahrgast schlug brutal auf den Fahrer ein

Kuhlmann war erst skeptisch. Er dachte, dass die 900 Euro teure Halb-Scheibe eher eine Alibifunktion habe. „Aber ich bin überrascht, wie wirksam die ist. Auch durch den höheren Sitz und die Möglichkeit, sich zurückzulehnen, erhält der Fahrer wirklich einen richtigen Schutzbereich.“ Aber es handele sich nicht um eine geschlossene Fahrerkabine, betont Konegen, der Kontakt mit den Kunden sei also weiterhin gewährleistet. Jedenfalls, denkt Kuhlmann, wäre der Tag vor anderthalb Wochen mit der Scheibe wohl anders verlaufen.

Erweitertes Sicherheitskonzept

Mit den Seitenscheiben am Fahrerplatz weitet die Vestische ihr Sicherheitskonzept aus. Es beinhaltet außerdem den kontrollierten Einstieg, Videokameras, Deeskalationstrainings und den „stillen Alarm“.

Auch die Polizei Gelsenkirchen, auf deren Gebiet sich der Vorfall ereignete, lobt das Verhalten der Fahrgäste, die sich in den Gang gestellt haben. Mit Verhaltenstipps tut sie sich aber schwer: „Zivilcourage ist wichtig, aber man darf sich auf keinen Fall selbst gefährden.“ Das A und O sei es, zuerst die Polizei zu rufen.

Er steuert an diesem Tag einen Bus der Linie 222 von Marl-Polsum nach Gelsenkirchen-Buer. Ein Mann steigt zu, Kuhlmann setzt den Bus wieder in Bewegung – in dem Moment, in dem der Gast sich gerade setzen will. „Du Sau, fahr‘ vernünftig“, ruft der Mann. Kuhlmann bittet ihn nach seiner eigenen Schilderung, einen anderen Ton zu wählen. Daraufhin bedroht ihn der 29-Jährige – noch während der Fahrt. Deshalb stoppt Kuhlmann den Bus , wodurch der Angreifer das Gleichgewicht verliert – und bekommt kurz darauf die ersten Schläge..

Vater von fünf Kindern will bald wieder hinter dem Steuer sitzen

„Der kannte keine Grenzen mit seiner Brutalität“, erinnert sich Kuhlmann. „Der hat mir auch noch auf den Schädel geschlagen, als ich schon am Boden war.“ Schließlich lässt der Täter ab, will durch die mittlere der drei Türen aussteigen. Als er das nicht schafft, macht er sich auf den Weg zurück zum Fahrer. Doch mittlerweile haben sich vier, fünf Fahrgäste in den Gang gestellt und versperren so – ohne sonst groß einzugreifen – den Weg. Als der 29-Jährige schließlich fliehen kann, ruft eine Frau Polizei und Rettungswagen, macht detaillierte Angaben – so dass der Schläger schnell gefasst werden kann. „Die vier, fünf Leute und die Zeugin haben Zivilcourage bewiesen. Das war super“, lobt Kuhlmann.

Der Vater von fünf Kindern will bald wieder hinters Steuer zurückkehren. Aber jetzt hat er sich erst mal in psychologische Behandlung begeben. Damit der Vorfall nicht zu viele Spuren hinterlässt.