Gladbeck . Bei der Verordnung des pflanzlichen Schmerzmittels beklagen Gladbecker Mediziner bürokratische Hürden – gleichzeitig fehlen aber Langzeitstudien.
Seit einem Jahr können Ärzte cannabishaltige Arzneimittel verschreiben, an Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Krebs. Doch die Möglichkeit, Cannabis als Medikament einzusetzen, nutzen in Gladbeck kaum Ärzte.
Laut Dr. Rainer Wendland, Chefarzt der Anästhesie in den Katholischen Kliniken Emscher-Lippe (KKEL) liegt das aber vor allem an den Hürden, die von Seiten der Krankenkassen geschaffen werden: „In der Praxis werden zirka 60 bis 70 Prozent der Anträge abgelehnt. Dennoch sind Hürden sinnvoll, denn die Gefahr von Missbrauch besteht.“ Gleichzeitig gäbe es keine wissenschaftlichen Langzeitstudien, so der Mediziner.
Vortrag im St. Barbara Hospital
Dies sei der Grund, warum Wendland die Änderung des Betäubungsmittelgesetzes rückblickend als „politischen Verzweiflungsakt“ bezeichnet: „Die Zulassung in Deutschland wurde mit der heißen Nadel gestrickt, denn die Standards der Europäischen Arzneimittelagentur wurden nicht berücksichtigt.“
In einem Vortrag am kommenden Mittwoch (siehe Infobox) möchte der Mediziner über die therapeutische Verwendung von Cannabis informieren. Angesprochen werden sollen vor allem Menschen mit chronischen Schmerzen: „Patienten, bei denen andere Behandlungsmaßnahmen wirkungslos blieben.“
Vortrag über Cannabis in der Medizin
Der Vortrag findet am Mittwoch, 21. März, um 16 Uhr im Konferenzraum (EG) des St. Barbara Hospitals, Mittelstraße 37 statt. Die Veranstaltung ist kostenlos.
Der Vortrag beleuchtet u. a. die Vorgeschichte zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes sowie die am Markt verfügbaren Wirkstoffe mit Wirkungen und Nebenwirkungen.
Es gebe noch viele Baustellen
Es lägen bisher nur unzureichende wissenschaftliche Erkenntnisse über den medizinischen Einsatz von Cannabis vor. Deshalb müssen Cannabis-Patienten einer Begleiterhebung zustimmen. „Im Grunde erfolgt mit diesen Patienten eine anonyme Beobachtungs- und Verlaufsstudie“, sagt Dr. Wendland.
Ein weiteres Problem sei die Dosierung: Schon vor der Gesetzesänderung seien cannabishaltige Arzneimittel verschrieben worden, so der Arzt. Dabei habe es sich jedoch um eine standardisierte Verabreichung, etwa per Spray, gehandelt.
Nachfrage nach cannabishaltigen Arzneimitteln steigt
Bei der aktuell häufig praktizierten Vergabe von Cannabisblüten ist laut Meinung des Experten die Dosierung schwieriger und das Missbrauchspotenzial größer – denn Cannabis ist in Deutschland die am häufigsten illegal konsumierte Rauschdroge. Bei Cannabisblüten wird der Wirkstoff von den Patienten inhaliert. „Für die Inhalation gibt es Verdampfer, die die Blüten unter definierten Bedingungen auf 180 Grad erhitzen“, informiert Tobias Petri, Inhaber der Glückauf Apotheke und ergänzt: „Wir wiegen vor und portionieren das Cannabis in kleine Päckchen.“ Aktuell habe seine Apotheke nur einen Cannabis-Patienten. „Die Nachfragen von Ärzten und Kunden mehren sich aber“, sagt Petri.
Da Cannabis ein vielfältiges therapeutisches Spektrum hat, sei es wichtig, dass in Deutschland die Entwicklung für die Medizin vorangetrieben werde, so Wendland: „Gerade in der Schmerz- und Palliativmedizin hat es als Therapeutikum seine Berechtigung.“
Der Chefarzt der Anästhesie warnt aber auch vor den Nebenwirkungen
Der Arzt appelliert deshalb an Gladbecker Kollegen: „Bei Palliativpatienten sollte man definitiv an diese Behandlungsoption denken.“ Denn Cannabis habe weniger Nebenwirkungen als Opiate wie etwa Morphium. Dennoch stellt der Chefarzt klar: „Im Prinzip ist Cannabis eine Droge – mit Wirkung und Nebenwirkung.“ Zu den möglichen Nebenwirkungen zählen u. a. psychische Veränderungen ähnlich einer Depression. „Aufgrund der fehlenden Langzeitstudien fehlen uns in dieser Hinsicht aber Erkenntnisse.“