GLADBECK. . Wo seit jüngstem der Jockenhöfer-Neubau in der Gladbecker Innenstadt steht, befand sich einst das Geschäft der jüdischen Familie Daniel.

Eng und persönlich waren die Beziehungen von Sally Daniel und seiner Familie zu ihren Mitbürgern in der Stadt. Der Inhaber des renommierten Kaufhauses Gebrüder Daniel war allgemein angesehen, gehörte zu den Mitbegründern der Vereinigten Kaufmannschaft Gladbeck, engagierte sich in der jüdischen Gemeinde. Heutzutage würde man sagen: Die Daniels waren in die Gesellschaft integriert. Und doch schützte sie das nicht vor Repressionen und Schikanen in der Zeit des Nationalsozialismus’. Eine Hinweistafel am Standort des einstigen Kaufhauses Gebrüder Daniel erinnert ab sofort an das Schicksal dieser Familie.

Terror aus der Mitte der Bevölkerung

Keine Spur zeugt mehr von diesem Geschäft, dessen Adresse einst Kaiserstraße hieß. Mittlerweile steht dort, an der heutigen Horster Straße mit Blick auf den Marktplatz im Herzen Gladbecks, ein Bau der Firma Jockenhöfer & Babiel. An der Hauswand prangt jetzt eine Tafel, die dem Leser das Leid dieser Gladbecker Juden vor Augen führt. Kalt ist’s, es regnet immer heftiger; die Menschen in dem Grüppchen vor dem Schild zücken Schirme: Vertreter aus Verwaltung, Parteien und Vereinen.

Eiseskälte schlug einst den zuvor so akzeptierten Daniels – Vater Sally, Mutter Klara und den vier Töchtern – entgegen, als Hitler die Macht übernahm. Bürgermeister Ulrich Roland betont: „Der Terror kam aus der Mitte der Bevölkerung. Menschen aus Fleisch und Blut waren es, die systematisch gegen ihre jüdischen Mitbürger vorgingen.“

Sally Daniel, der im Jahre 1879 in Rheinland-Pfalz das Licht der Welt erblickte und in Gladbeck ein Kaufhaus für Textilwaren, Betten, Teppiche und Gardinen eröffnete, sah sich Anfang 1936 gezwungen, das Geschäft aufzugeben. Nach und nach musste er unter Wert seinen Besitz verkaufen. Die Familie zog nach Köln, über England gelang ihr die Flucht nach Israel. „Sie verloren ihr Hab und Gut, ihre Heimat, aber nicht ihr Leben“, sagt Bürgermeister Roland.

Wechselvolle Geschichte des Hauses

Als für die Familie Daniel ihr Leben in Gladbeck beendet ist, beginnt die wechselvolle Geschichte des Kaufhauses. Daniel verkaufte sein Geschäft an die Krefelder Firma Strack, die Damenbekleidung anbot. Alex Schönhoff übernahm den Laden im Jahre 1952. Er führte das Haus bis 1977. Da seine Kinder es nicht übernehmen wollten, ging es an die Kette P&C. Das Bekleidungsgeschäft schloss seine Türen endgültig Ende 2007. Damit endete nach 101 Jahren die Nutzung der Immobilie als Kaufhaus, stand seitdem meistens leer – bis die Bottroper Firma Jockenhöfer & Babiel den Komplex erwarb und neu bebaute.

Lehren aus der Geschichte ziehen

Roland betrachtet die Informationstafeln, ein Teil der Gladbecker Erinnerungskultur, als einen Weg, „sich der Vergangenheit zu stellen und Verantwortung zu übernehmen“. Er dankt Heinrich Jockenhöfer, dass er das Schild an seinem Neubau duldet. Mehr noch: Der Investor regte dieses Mahnmal sogar an. Er sagt: „Dabei haben mich die Wohnungsbesitzer unterstützt.“

HINTERGRUND

Die Erinnerungstafel „Kaufhaus Gebrüder Daniel“ ist die jüngste in einer Reihe von Informationsschildern zu historischen Orten in Gladbeck.

Am Alten Rathaus, am Günter-Waleczek-Haus (Musikschule), am Ehrenmal Wittringen und am Gräberfeld für gestorbene Zwangsarbeiter auf dem Friedhof in Brauck sind ebenso geschichtliche Hinweise zu finden.

Infotafeln wurden bislang auch an folgenden „Historischen Orten“ installiert: Moltkesiedlung, Schultendorf (Schulten-/Woorthstraße), Zeche Graf Moltke II/IV (Helmutstraße), Zeche Mathias Stinnes III/IV (Roßheidestraße) und Wetterschacht (Maria-Theresien-Straße).

In den Rathaus-Arkaden erinnert ein Kunstwerk an Euthanasie-Opfer während der Zeit des Nationalsozialismus’; hinter dem Ehrenmal in Wittringen ist eine Tafel angebracht, um die öffentliche Bücherverbrennung im Jahre 1933 nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Judith Tasbach-Neuwald, die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, kann an diesem verregneten Tag zur Einweihung der Tafel nicht dabei sein, da sie erkrankt ist. Stadtarchivarin Katrin Bürgel überbringt in ihrem Namen Grußworte. In den Augen von Judith Tasbach-Neuwald sind Erinnerungsorte mehr als Stätten des Gedenkens – „sie sind auch eine Aufforderung, sich dafür einzusetzen, dass so etwas (wie während des Nationalsozialismus’, Anm. der Redaktion) nie wieder geschieht. Dafür setzen sich auch die Mitglieder des Gladbecker Bündnisses für Courage ein, die bei der Einweihung der neuen Erinnerungstafel dabei sind.