Gladbeck . Seit 13 Jahren ist Kaplan Harald Hotop Notfallseelsorger. Er begleitet Menschen in ihren schwersten Momenten – dem Tod eines Angehörigen.

Harald Hotop ist seit zwei Jahren der katholische Beauftragte für die Notfallseelsorge in Gladbeck. Der Kaplan der katholischen Großpfarrei St. Lamberti erzählte im WAZ-Interview über seine Arbeit als Notfallseelsorger: „Wenn wir zum Unfallort gerufen werden, ist ein geliebter Mensch tot.“

Wie läuft der Einsatz eines Notfallseelsorgers ab?

Bei einem schweren Unfall wird die sogenannte „Rettungskette“ in Gang gesetzt: die Polizei sichert den Unfallort, Sanitäter und Rettungskräfte bergen die Verletzten. Wir Notfallseelsorger werden dann von den Rettungskräften hinzugerufen, damit wir den gesamten Prozess begleiten können. Unsere Notfallseelsorge richtet sich dann an Angehörige, Unfallbeteiligte und Zeugen. Für viele stellt so ein Unfall eine akute Krisensituation dar.

Wie helfen Sie in solch einer Situation konkret?

Notfallseelsorger versuchen, durch Nähe Trost zu spenden. Bei traumatischen Ereignissen erleben Angehörige manchmal Momente der Schockstarre. In Extremsituationen können Menschen nicht nur ihre Fassung verlieren, manchmal zerspringen sie wie Glas. Dann kann die Gegenwart eines anderen helfen, der Fragen und Leid aushält und bei einem ist.

Häufig spielen auch Schuldgefühle eine große Rolle, und unzählige Fragen setzen ein: Wie konnte es passieren? Hätte man es verhindern können? Es geht gar nicht darum, die Fragen zu beantworten, sondern darum, bei dem Menschen zu sein und zu schweigen, zuzuhören, zugewandt zu sein. Generell gibt es bei der Notfallseelsorge aber keine Patentlösung. Aber ich hoffe, ein Gefühl dafür zu haben, was und wie man in einer solchen Situation helfen kann.

Notfallseelsorge in Gladbeck

Zusammen mit Pfarrer Achim Solty, dem evangelischen Beauftragten für die Notfallseelsorge in Bottrop, leitet Harald Hotop den Seelsorgebezirk Bottrop-Dorsten-Gladbeck.

Aktuell gibt es neben den zwei hauptamtlichen noch 18 ehrenamtliche Seelsorger im Kirchenkreis. In speziellen Schulungen werden die Ehrenamtlichen auf die Arbeit als Notfallseelsorger vorbereitet. Interessierte erhalten weitere Informationen, u. a. zu den Kurs-Terminen, unter E-Mail hharaldhotop@aol.com

Am Einsatzort sind die Mitglieder der Notfallseelsorge an ihren lilafarbenen Kennzeichnungswesten erkennbar.

Wann gilt ihr Seelsorge-Einsatz als beendet?

Der Notfallseelsorger bleibt, solange der Angehörige das wünscht: normalerweise bis Verwandte oder Freunde da sind. Es ist für die meisten Menschen nicht gut, in solchen Momenten allein zu sein. Wer das will, kann jederzeit die Notfallseelsorge ablehnen. Der Notfallseelsorger geht dann. Alles, was am Einsatzort passiert, unterliegt der Schweigepflicht. Bei der Übermittlung einer Todesnachricht werden wir von der Polizei hinzugerufen. Den Betroffenen steht auch in solchen Situationen frei, mit uns zu sprechen.

Wie reagieren Sie als Notfallseelsorger professionell auf Trauer?

Menschen durchleben häufig unterschiedliche Phasen der Trauerverarbeitung. Viele beginnen mit einem Moment des Leugnens. Man möchte das Ereignis nicht wahrhaben. Anschließend folgen häufig Wut und Ärger. Eine hoffnungslose innere Leere und ein Sinnlosigkeitsgefühl können die Wut dann ablösen. Am Ende steht die Annahme der Situation, die leider die harte Realität darstellt. Aufgabe ist es, entsprechend der Phasen zu handeln. Sind Menschen von Wut geleitet, ist es manchmal wichtig, jemand zu sein, der sich den Zorn anhört.

Was ist das wirksamste Mittel eines Seelsorgers?

Schweigen. Ein zugewandtes Schweigen. Theoretisch ist es möglich, einen Einsatz zu haben, bei dem man ausschließlich schweigt. Man nimmt sich selbst zurück und gibt den Angehörigen erstmal Raum.

Schweigen hat zwar die stärkste Wirkung, kostet aber auch am meisten Kraft, weil es immer die Versuchung gibt, Lösungen zu nennen. In erster Linie leisten wir als Seelsorger aber Beistand. Man muss sich immer klar machen, es ist nicht meine eigene Situation. Aber: Lasse ich Gefühle wie Trauer und Wut nicht an mich ran, dann habe ich wenig positiven Einfluss in der Situation. Lässt man aber alles ungesteuert an sich ran – geht man kaputt.

Gibt es einen Seelsorger für einen Seelsorger?

Ja, Notfallseelsorger haben auch selber Seelsorger: Für die vielen ehrenamtlichen Notfallseelsorger sind die gemeinsam verbindlichen Treffen mit den anonymen Fallbesprechungen da. Hauptamtlichen Seelsorgern werden Supervision und geistliche Begleitung angeboten, diese gehören immer zum Leben eines Geistlichen.

Hat Sie Ihre Arbeit als Seelsorger verändert?

Ich habe gelernt zu schweigen. Die Einsätze prüfen immer wieder die eigene Persönlichkeit. Als Geistlicher braucht man den Willen, nach außen zu treten. Man muss eine gewisse Kommunikationsstärke mitbringen. Die Einsätze als Notfallseelsorger sind ein gutes Übungsfeld, das Schweigen zu lernen.