Halina Monika Sega kam über Umwege von Oberschlesien ins Ruhrgebiet. Für die 56-Jährige ist Heimat dort, wo sie geliebte Menschen um sich hat.
Es war ein langer Weg in die neue Heimat. Doch nach etlichen Hindernissen und Stationen ist Halina Monika Sega angekommen – in Gladbeck. Dabei stand ihre Wiege rund 1000 Kilometer entfernt vom Ruhrgebiet, in Polen. Genauer gesagt: im oberschlesischen Zabrze, das zwischenzeitlich Hindenburg hieß. Und der deutsche Name der Stadt weist schon auf die Problematik hin, mit der die kleine Halina und ihre Familie leben mussten: „Eltern, Großeltern, wir alle sind deutsch. Als das Gebiet an Polen gefallen ist, waren wir Fremde.“
Eltern wollten weg aus Polen
Sie hätten nicht in ihrer Muttersprache reden dürfen, erinnert sich die heute 56-Jährige. Selbst ihren deutschen Namen „Helene“ habe sie nicht tragen dürfen – „Halina“ wurde sie genannt, die polnische Übersetzung. Die Familie lebte in Zabrze, „aber meine Eltern hatten immer schon im Kopf: Wir wollen hier weg“. Deswegen habe sie auch keine Geschwister. „Mit einem Kind kommt man immer irgendwo unter“, hieß es.
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Sega erzählt: „Bis 1965 haben wir in Polen gelebt, dann sind wir ausgewandert nach Laubusch bei Hoyerswerda.“ Die Gladbeckerin, denn als solche fühlt sich die frühere Postbeamtin, sagt: „Ich sehe heute noch die geflochtenen Matten im Kindergarten vor mir.“ Aber auch dort schlug die Familie keine Wurzeln. Weiter ging’s über das damalige Jugoslawien nach West-Deutschland. Unvergessen für Halina Monika Sega: „Keiner hat mir gesagt, dass wir flüchten wollen – aus Angst, dass ich mich verplappere.“ Eine Schlüsselszene hat sie vor ihrem geistigen Auge, wenn sie an ihre DDR-Zeit denkt: „Mein Vater hat aus einem Schulbuch eine Seite über den Politiker Ulbricht gerissen.“ So angewidert sei er gewesen. Einige gute Erinnerungen an den Osten sind ihr unvergessen, so mag sie das „Sandmännchen“ auch heute noch.
Der Vater machte sich mit Frau und Kind bald wieder auf – gen Westen. Stationen auf ihrem Weg waren Österreich und das Auffanglager Unna-Massen. Dann schließlich Duisburg. Dort lebten die Großeltern mütterlicherseits. Zu Oma Agnes und Opa Leo, mit denen sich die kleine Halina „sehr, sehr eng verbunden fühlte – wieder ein Stückchen näher an Gladbeck, wo Geschwister von Vater Gerhard bereits lebten. Dort kamen sie im Jahre 1969 an. Es war ein steiniger Weg in die Stadtgesellschaft: das Leben in der Fremde, statt einer eigenen Wohnung das Dach einer Notunterkunft über sich, Sprachprobleme.
Deutsch war verboten
Sega erinnert sich: „Deutsch zu sprechen, war in der Schule und in der Öffentlichkeit in Polen verboten. In der Schule wurde meine Patentante, die 1931 geboren wurde, geschlagen, weil sie Deutsche war.“ Ihre Mutter Helga habe sich das Lesen später hierzulande selbst beigebracht: „Ich bewundere sie. Sie ist eine sehr starke, herzensgute Frau, die mich immer unterstützt hat.“ Und Rückendeckung brauchte die Tochter tatsächlich, beispielsweise wenn andere Kinder sie als „Polackin“ beschimpften. Mutter und Vater arbeiteten bei Siemens. Die Tochter besuchte in Gladbeck die Schule, ging ihren Weg, machte später ihre „Zweitsprache“ zum Beruf: Sie ist tätig als Autorin.
Angekommen nach einer langen Reise
Manchmal mischt sich noch ein bisschen „Gestern“ in Segas Alltag: „Ich benutze bisweilen schlesische Vokabeln, zum Beispiel Platzki für Reibekuchen.“ Aber die Erinnerungen an Polen und Duisburg verblassen. „In erster Linie sind es für mich die Menschen, die Heimat ausmachen“, betont die Mutter von zwei Söhnen. Ihre Familie lebt hier, zu Freunden aus Duisburg habe sie immer noch Kontakt. Halina Monika Sega sagt mit Nachdruck: „Ich bin froh, hier zu sein, in Gladbeck.“ Hier fühlt sie sich nach einer langen Reise angekommen.