Bis Ostern läuft die Fastenzeit. Doch dabei geht es keineswegs nur um Verzicht und Selbstgeißelung, sondern eher um eine bewusste Lebensführung.
Im traditionellen, christlichen Sinne ist der Brauch des Fastens der Verzicht auf Speisen und Getränke während eines Zeitraums von 40 Tagen und dient als Vorbereitung auf das Osterfest. Es soll den Körper und die Seele reinigen und dabei helfen, die Willenskraft zu stärken, um Herausforderungen gewachsen zu sein. Der Brauch selbst ist ein alter: Bereits die Ägypter verzichteten auf Fisch und auch der Philosoph Hippokrates riet drei Jahrhunderte vor Christus, ein „kleines Weh nicht durch Arznei, sondern fasten“ zu lindern.
Doch wer seit Aschermittwoch die Nahrungsaufnahme reduziert, sollte das auch mit seinem Hausarzt abklären. Das rät Dr. Gregor Nagel vom Hausarztzentrum Butendorf. „Vor allem Diabetiker und Menschen mit anderen Vorerkrankungen müssen damit aufpassen“, so der Arzt. Doch auch für gesunde Menschen habe das diätische Fasten seine Tücken. „Jede Diät hat ja immer einen Anfang und ein Ende. Viele Menschen tendieren dazu, vor Beginn des Fastens noch einmal richtig zuzuschlagen.“
Muskuläre Schwächen und Nierenprobleme
Doch das verringere den gewünschten Effekt. Zwar verliere man in den Fastentagen einige Kilos, doch das sei hauptsächlich der geringen Flüssigkeitsaufnahme geschuldet. „Hinterher sieht man sich dann mit dem Jojo-Effekt konfrontiert und die Kilos kommen wieder – und manchmal sogar noch ein paar mehr“, sagt Nagel.
Darüber hinaus kann die geringe Nahrungsaufnahme noch andere körperliche Folgen haben: „Wenn man nicht genug trinkt und isst, wird der Körper schlapper, es kommt zu Kreislaufproblemen und muskulärer Schwäche. Außerdem kann sich der Salzhaushalt im Körper verschieben oder zu Nierenproblemen führen.“
Viel Obst und Gemüse
Wer nachhaltigen Erfolg möchte, sollte lieber im gesamten Jahr auf seine Ernährung achten und vermehrt Sport treiben, um den Stoffwechsel anzuregen. Gregor Nagel: „Da spricht man von der mediterranen Mischkost. Die Ernährung sollte möglichst zuckerarm und nicht zu fettig sein.“ Viel Gemüse und Obst gehören dann auf den Teller und weniger Fleisch. „Wenn es doch mal Fleisch sein soll, dann am besten das, was schwimmt und fliegt, und nicht das, was läuft.“
Der Hausarzt selbst nimmt die Fastenzeit als Anlass, generell etwas kürzer zu treten. „Das versuche ich eigentlich im ganzen Jahr, aber in dieser Zeit sehr bewusst.“
Überall vernetzt
Doch in der modernen Gesellschaft gibt es wesentlich mehr Möglichkeiten, die Fastenzeit zu verbringen. „Gerade bei Jugendlichen ist das Medienfasten ein Thema“, erklärt Propst André Müller. „Was früher das Fernsehfasten war, ist heute der Verzicht auf Smartphone oder das Internet.“ Das sei vor allem in Bezug auf Fragestellungen wie „Wie weit sind wir noch selbstbestimmt?“ oder „Wie abhängig sind wir von unseren Handys?“ interessant. Müller: „Ein schöner Satz zu diesem Thema ist: ‘Wir sind heute überall vernetzt, aber kaum noch verwurzelt.’ Da ist einiges dran.“
Damit sei vor allem gemeint, dass es zwischen den Menschen nur noch wenige gemeinsame Nenner gebe. Es werde viel zu wenig miteinander geredet. Das digitale Fasten sei eine gute Gelegenheit, daran etwas zu ändern. Und wie hält es der Propst persönlich mit der Fastenzeit? „Für mich ist das kein Verzichts- oder Diätprogramm. Ich versuche, mich der Frage zu stellen, ob ich in Gott verwurzelt bin.“
Fastenzeit ist kommerzialisiert
Als „nichts mehr als einen frommen Wunsch“ empfindet der Trendforscher Peter Wippermann das digitale Fasten. „Das hat sich nie wirklich durchgesetzt und ist eher ein mediales Ereignis, als ein reales.“ 47 Prozent der deutschen Jugendlichen unter 20 Jahren träfen sich online und nicht in der echten Welt. In manchen Nachbarländern, wie Großbritannien, seien es sogar mehr als 50 Prozent.
Auch das diätische Fasten sieht Wippermann eher kritisch. „Das ist ja weggerückt von einem festen Platz im Kalender zu einem ganzjährigen Ereignis. Die Vorschläge der Diät-Industrie haben das Fasten kommerzialisiert.“ Dabei werde alles in Kauf genommen, um einem gewissen Ideal zu entsprechen, das aber keineswegs realistisch sei, so der Trendforscher.
„Beim kirchlichen Fasten geht es nicht um Selbstgeißelung“, findet Klaus-Peter Unterberg, Seelsorger am St. Barbara-Hospital. „Es gewinnt nicht, wer kurz vor dem Kreislaufkollaps steht, weil er zu wenig gegessen oder getrunken hat.“ Das habe nichts mit dem Sinn der Fastenzeit zu tun. Vielmehr gehe es darum, sich bewusst zu werden, in welchen Zwängen wir uns befinden und Wege zu finden, „das Leben bewusster zu genießen“, so Unterberg. „Frei von allem, was uns einengt.“