gladbeck. . Sie gehören zu den letzten ihrer Zunft. Sänger des MGV Gladbeck Scholven halten die Tradition hoch. Der Altersdurchschnitt liegt bei 72 Jahren.

„Da ist’s, wo meine Wiege stand, o grüß dich Gott, Westfalenland!“ Die 34 Sänger des „Männergesangsvereins Gladbeck-Scholven 1913“ singen sich warm mit dieser Heimat-Hymne. Sonorer Klang erfüllt den kleinen Saal im Probenlokal, dem Vereinsheim in der Kleingartenanlage „Offermannshof“. Unterstützt wird der Gesang vom Klavierspiel des Chorleiters Gerd Kerkemeier. Gemeinsam halten sie die Tradition hoch. Wohl wissend, dass sie zu den letzten ihrer Zunft gehören.

„In vielen anderen Städten lösen sich die Männergesangsvereine auf“, weiß Bernd Weber, der 1. Vorsitzende. „Als ich vor 30 Jahren dazu kam, waren wir noch 48 aktive Sänger. Es ist bedrohlich, dass keine jungen Leute mehr dazustoßen.“ Wobei jung hier relativ ist. „Wir wären froh über einen 50-Jährigen.“ Der Altersdurchschnitt liegt aktuell bei 72 Jahren. Trotzdem, von einem Altherrenverein ist man weit entfernt. Die Stimmung bei der Probe ist locker. Wenn die Männer ihre Stimmen erheben, beeindruckt der volle, harmonische Klang.

Doch die Fülle ist nichts gegen die der Anfangsjahre. Im Juni 1913 gründeten Bergleute den Gesangsverein „Sangeslust Scholven-Zweckel“. Oft war die Mitgliedschaft im Chor über Generationen Tradition. Zur Gemeinschaft stieß man schon in jungen Jahren. Meist, wenn man gerade angefangen hatte, auf dem Pütt seine Brötchen zu verdienen.

Auf der Jahreshauptversammlung ehrte der MGV Gladbeck Scholven verdiente Mitglieder.
Auf der Jahreshauptversammlung ehrte der MGV Gladbeck Scholven verdiente Mitglieder. © MGV

Heinz Garding stieß 1957 dazu. „Da war der Chor wesentlich stärker. Wer auf der Zeche gearbeitet hat, kam fast zwangsläufig zum Singen“, erinnert er sich, dass der Chor Kumpels von „Scholven/Zweckel“ und Arbeitern der Kokerei ein wertvolles Hobby war. „Zeitweilig bestand der Chor aus 120 Sängern“, erzählt Garding. Bereits zu dieser Zeit hatte der Chor hohe qualitative Ansprüche, sang keineswegs nur Heimatlieder, sondern viel leichte Klassik in einer Zeit, in der die Operette noch hohen Beliebtheitsgrad hatte. „Bei unseren Konzerten hatten wir auch bekannte Gastsänger dabei“, sagt das Ehrenmitglied. „Aufgetreten sind wir immer in der Schauburg in Buer. Da fuhr die Straßenbahn vor der Tür. Und wenn der Männerchor dort sang, mussten Extra-Bahnen eingesetzt werden.“

Nächster Titel: „Plaisir d’amour“, ein Klassiker der Chorliteratur, den die Männer gefühlvoll, ja fast romantisch singen. Auch modernere Klänge stehen auf dem Probenplan. „Wenn wir jüngere Menschen ansprechen wollen, können wir nicht mit Aida kommen“, sagt Bernd Weber. „Wir möchten den Chor ja verjüngen.“ Daher singe man neben den geliebten Operetten mehr Musicaltitel. Auch Ungewöhnliches: „Unser Chorleiter arrangiert uns Stücke, die es für Männerchöre eigentlich gar nicht gibt.“

Ein gemischter Chor kommt nicht in Frage

Eines können sich die singenden Männer gar nicht vorstellen: Frauen an ihrer Seite – beim Singen, versteht sich. „Wir haben mal überlegt, einen gemischten Chor zu machen“, sagt Weber. „Aber das kommt nicht in Frage. Vielen Männern ist es wichtig, auch mal unter sich zu sein. Denn hier wird nicht nur gesungen, hier wird auch geklönt. Wir sind über 100 Jahre lang ein Männerchor.“ Das sei eben Tradition. Genauso, wie die Familien bei geselligen Anlässen einzuladen.

„Ave Maria“, singen die Herren. Klassisch geht es los, mit der weltbekannten Version von Charles Gounod. Dann aber zeigt sich, es ist das Stück „Ave Maria no morro“. Ganz anders entwickelt sich das Lied, bis es dann, ganz am Ende, wieder zurück kehrt zu Gounod. Ein weiteres Zeugnis des Könnens der 34 Sänger, die ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen und ihren Männerchor über die Zeiten retten wollen.