Rolf Abrahamson überlebte als kleiner Junge den Holocaust. Obwohl der Massenmord des Nazi-Regimes für heutige Schüler nur noch ferne Geschichte ist, fesselte und erschütterte die Biografie des einstigen KZ-Häftlings
Es ist still in der Bücherei der Erich-Kästner-Realschule als Rolf Abrahamson den Raum betritt. Drei Klassen der Jahrgangsstufe neun applaudieren. Dabei hat Rolf Abrahamson noch nichts gesagt. Unwichtig in diesem Moment. Die Biografie des Mannes spricht für sich. 1925 in Marl geboren überlebte der Junge jüdischen Glaubens das Nazi-Regime in sieben KZs. Das macht Eindruck. Auch 63 Jahre nach dem Ende des Terrors, dessen Abrahamson einer der letzten Zeitzeugen ist.
15, 16 Jahre alt sind die Jugendlichen, die Rolf Abrahamson zuhören. NSDAP und Holocaust sind für sie im Alltag weit weg. Selbst das erst vor 19 Jahren untergegangene DDR-Regime kennen sie nur aus Geschichtsbüchern. Irgendwie aber scheinen sie zu spüren, dass dieser Mann mit seiner Geschichte des Schreckens auch für ihr Leben relevant ist.
Rolf Abrahmanson erzählt mit ruhiger, fester Stimme unvorstellbare Fakten auf. Wie an einem Tag in Riga 30 000 Menschen erschossen wurden und er als Nachfolger im dortigen Ghetto noch Reste der letzten Mahlzeit auf dem Tisch fand. Wie er nur überlebte, weil sein Oberschenkelhalsbruch im frühen Kindesalter ohne Beinverkürzung ausheilte. "Ein Humpelnder kann ja nicht arbeiten. Ich wäre sofort erschossen worden." Wie er für seine Mutter unter Lebensgefahr eine Scheibe Brot ins KZ schmuggelte. Wie sein jüngerer Bruder an Diphterie starb, weil ihn als Juden kein Arzt behandeln wollte.
Die geschichtliche Verortung mag für die Schüler keine Rolle spielen. Das aber immer die Gefahr besteht, dass Menschen einander solche Verbrechen antun, das spüren die Schüler. Obwohl sie in einer gefestigten Demokratie leben, beschäftigt sie die Frage, ob Rolf Abrahamson auch nach Ende des Krieges mit Rassisten in Konflikt kam.
Das Abrahamson tatsächlich vor einem ähnlichen Vortrag in einer anderen Schule antijüdische Schmäh-Parolen an seiner Hauswand erdulden musste, macht betroffen.
Ebenso wie die Beschreibung der tiefen menschlichen Enttäuschung nach dem Krieg, als Abrahamson durch Unterlagen erfuhr, dass vermeintlichen Freunde sich für den Zwangsverkauf des Hauses der Familie an die Stadtverwaltung stark gemacht hatten und den Verweis des älteren Bruders von der Berufsschule gefordert hatten.
Abrahamson mahnt zum Schluss: "Demokratie ist die beste Regierungsform." Wieder bekommt er Applaus - und Blumen. Man versteht sich, auch wenn Generationen zwischen Schülern und dem einstigen KZ-Häftling liegen.