"Kinder stören doch! Und wer zahlt später unsere Renten?" Das fragt WAZ-Leser Michael Borr.Die Alterung der Gesellschaft stellt auch die lokale Politik vor erhebliche Herausforderungen
"Kinder stören doch! Und wer zahlt später unsere Renten?", fragt der Gladbecker WAZ-Leser Michael Borr im Zuge der aktuellen Aktion "Mitreden! WAZ lesen".
Ein Thema nur für die Bundes- und Landespolitik in Berlin oder Düsseldorf? Keineswegs. Das Miteinander oder Gegeneinander der Generationen - gerade darauf spielt diese Gladbecker Leserfrage ja gezielt an - vollzieht sich auch und gerade im Lokalen. . .
Mitte März 2008 sorgte ein Fall, der vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ausgetragen wurde, in Gladbeck für viel Aufsehen - ein Ehepaar beschwerte sich über den Lärm, der nachmittags nach Schulschluss von spielenden Kindern auf dem Schulhof der Jordan-Mai-Schule in Zweckel ausgehe.
Das Gericht erklärte schließlich, dass solche Spiel- und Bolzplätze in Wohngebieten durchaus zulässig seien.
Alt gegen Jung; und das auch noch vor Gericht. Und wer zahlt unsere Renten?
Aber es gibt auch eine ganz andere Seite - das Bemühen um mehr Miteinander der Generationen gerade in einer immer älter werdenden Stadtgesellschaft:
An einem sonnigen Nachmittag etwa treffen wir Seniorenbeirats-Chef Rolf Kauls und seine Mitstreiter in Zweckel - regelmäßig gehen hier Beirats-Aktive schon seit einiger Zeit mit Mädchen und Jungen des städtischen Naturkindergartens im Wald spazieren. Für manche Kinder, die daheim keine Oma und keinen Opa haben, ist das eine wunderbare, Generationen-übergreifende Lernerfahrung.
Alt und Jung, Hand in Hand - damit Kinder auch 2008 erleben können, was ein 70-Jähriger so alles weiß über den Wald und über das Leben.
Alt und Jung - das ist auch ein lokales Top-Thema für Wissenschaftler und Statistiker. Der aktuelle "Familienbericht Gladbeck 2007" zeigt's eindrucksvoll, z. B. auf Seite 37: "Der Anteil der Kinder und Jugendlichen liegt heute (2006) um knapp sieben Prozentpunkte unter dem Wert von 1975, die Bevölkerung im Alter von 65 Jahren und älter hat hingegen um etwa sieben Prozentpunkte zugenommen." Heutzutage sei der Anteil der Älteren und Alten in Gladbeck größer als der der Kinder und Jugendlichen, betonen die Familienbericht-Autoren. Die Sozialforscher weisen darauf hin, dass diese dramatische demographische Entwicklung massive Veränderungen in den Nachbarschaften und lokalen Milieus der Stadt zur Folge habe.
Ein Rechtsstreit um Kinderlärm auf einem Gladbecker Schulhof - in den 60-er Jahren wäre das wohl kaum denkbar gewesen, denn Kinder prägten damals viel intensiver die Nachbarschaften und lokalen Milieus. Sie waren der akzeptierte "Normalfall" im sozialen Umfeld der Gladbecker.
Die Lokalpolitik hat's in gewisser Weise gut. Sie muss nicht über die Zukunft der Renten entscheiden, sich nicht darüber den Kopf zerbrechen, wie das Beitrags-finanzierte System noch zu halten ist und wie gerecht es (noch) ist.
Die Lokalpolitik hat's in gewisser Weise aber auch schwer: Sie hat mit dafür zu sorgen, dass die auseinander driftenden Generationen (immer weniger Junge, immer mehr Alte) in einer funktionierenden Stadtgesellschaft miteinander auskommen. Dafür muss sie deren Lebensituationen genau kennen: Regelmäßige Familienberichte etwa sind ein Instrument dafür; oder auch Untersuchungen wie "Partizipation im Alter" (in Zweckel) und Generationen-übergreifende Projekte der Stadtteilbüros in Rentfort-Nord und Brauck.
Eines haben Kinder und Senioren dann doch noch gemeinsam - sowohl bei den Kindern (und ihren Familien) als auch bei den Älteren gibt es immer dramatischere Unterschiede im sozialen Status. Die gesellschaftliche Mitte verliert an Bedeutung, das persönliche Armutsrisiko steigt - mit den entsprechenden Folgen für Bildung und soziale Teilhabe in Gladbeck. M. Bresgott