Gladbeck. . Mit „Ü 60“ hat der orthopädische Schuhmacher und bekannte Gladbecker Geschäftsmannnoch einmal die Schulbank gedrückt - und seinen Meister gemacht.
Wen der Schuh drückt und wem die Füße schmerzen, der hält den orthopädischen Schuhmacher Adi Raible (62) schon lange für einen Meister seines Fachs. Doch den Meisterbrief mit amtlichem Siegel, den hatte der selbstständige Kaufmann bis vor wenigen Wochen gar nicht. Jetzt aber hält er das wertvolle Dokument stolz in den Händen. In einem Alter, in dem viele Berufstätige an die nahe Rente denken, hat der 62-Jährige 26 Monate lang die Schulbank gedrückt und den Meister gemacht. „Ein echt hartes Stück Arbeit“, sagt er.
Dabei hätte er das gar nicht machen müssen, denn ab dem 47. Lebensjahr und mit Berufspraxis würde auch eine einfache Eignungsprüfung zum Meistertitel führen. „Aber ich wollte nichts geschenkt“, sagt der gebürtige Schwabe, der 1983 in Gladbeck seinen Betrieb mit Laufanalysen startete.Was er bei seinem Entschluss nicht ahnte: Geschenkt wurde ihm wirklich nichts.
Natürlich war Raible mit Abstand der Älteste in seiner Klasse. Zum Vergleich: Die jüngste Mitschülerin war gerade mal 22 Jahre alt. Dem „Senior“ zollten die 20 Mitschüler daher großen Respekt, wählten ihn zum „Klassensprecher“.
„In der ersten Klausur hatte ich eine fünf“
Was er den Mitschülern an Erfahrung und Berufspraxis voraus hatte, das machten diese ihm allerdings beim Lernen vor. Denn mit „Ü 60“ fällt das ungleich schwerer, merkte Raible schnell.
Acht Prüfungstage in Düsseldorf
Acht Tage dauerte die Prüfung zum Meister. Neben der Theorie galt es, Lösungen für orthopädisch-medizinische Fälle zu erarbeiten und in einem selbst gefertigten Meisterstück die Fähigkeit zu beweisen.
Vier von 21 Prüflingen sind durch gefallen, Adi Raible schloss hochzufrieden mit einer guten „Drei“ ab.
Dazu kamen moderne Unterrichtsmethoden mit Gruppenarbeit, die nichts mit der Pestalozzi-Pädagogik seiner Jugend zu tun haben. „In der ersten Klausur hatte ich eine fünf. Das war ein Schock“, erinnert er sich.
Doch ein disziplinierter Hochleistungssportler (Leichtathletik) wirft bei der ersten Niederlage natürlich nicht das Handtuch. Sowieso hat dieser Meisterschüler nichts dem Zufall überlassen, einen genauen (Zeit-)Plan zur Bewältigung der Herausforderung ausgearbeitet. „Ich habe alle unwichtigen Sozialkontakte gekappt, das Tanzen beim TC Harmonie und den Kampfsport aufgegeben.“
Pauken an der frischen Luft
Fast jede freie Minute außerhalb der täglichen Arbeit galt der Schule. Für spezielle Fächer suchte er sich Nachhilfelehrer aus der Praxis, richtete sich gar eine Schaftmacherwerkstatt im eigenen Haus ein, um das Anfertigen eines orthopädischen Schuhs bis zur letzten Naht zu üben. In den Monaten vor der Prüfung wanderte Raible morgens ab sechs Uhr mit Karteikarten in der Hand durch den Wittringer Wald, um den Lehrstoff in den Kopf zu kriegen. Auch das ganz bewusst: „Durch Bewegung in der frischen Luft bekommt das Gehirn mehr Sauerstoff, ist aufnahmefähiger.“
Eine Notwendigkeit, denn der Lehrstoff hatte es in sich: Anatomie, Medizinische Fußpflege, überhaupt viel, viel Theorie. „Natürlich weiß ich vieles aus der Praxis, aber jetzt sehe ich die Zusammenhänge noch besser“, sagt Raible.
Für die What’s App-Gruppe musste ein Smartphone her
Und, noch ein Nebeneffekt der harten Meisterschule, „ich bin jetzt auf dem aktuellsten Stand.“ Übrigens auch digital: Dass Skypen die Fahrt zum Mitschüler in Dithmarschen ersetzen kann, lernte Raible ebenso wie die Tatsache, dass zur Aufnahme in die What’s App Gruppe ein Smartphone nötig ist. Das schenkten ihm übrigens die Mitschüler zum Geburtstag.
Und jetzt? Ist der Gedanke an die Rente noch weiter weg als vorher. „Ich habe durch die Schule so viele neue Ideen bekommen.“ Meister Adi Raible denkt noch lange nicht ans Aufhören.