Gladbeck. Präsidium Recklinghausen startete die erste PoliTour als Baustein der Verkehrssicherheitsarbeit. Gladbecker Gruppe traf sich vor der Wache Jovyplatz zum Rundkurs mit informativen Zwischenstopps.


PoliTour und Motorräder, das klingt stark nach blitzeblank gewienertem und chromblitzendem Chopper – hatte damit aber nur am Rande zu tun. Denn mit der PoliTour 2016 startetet die Kreispolizeibehörde Recklinghausen am Sonntag eine Premiere, einen neuen Baustein der Verkehrssicherheitsarbeit für Motorradfahrer. Die erste von Polizisten geführte Bikerausfahrt, bei der motorisierte Gruppen von Gladbeck, Recklinghausen, Marl, Datteln, Castrop-Rauxel und Haltern am Sonntag auf Rundkurs gingen. Mit festen Stopps und eingebundenen Partnern, um z.B. über besondere Gefahren, Vorurteile, Unfallstatistiken und neueste Sicherheitstechnologien informiert zu werden.

Fahrer im Alter von 20 bis 63 Jahren

Die mit 18 Teilnehmern größte Gruppe startete ab Polizeiwache Jovyplatz unter kundiger Führung von Holger Siegburg, der seit 16 Jahren beim Verkehrsdienst der Polizei als Kradfahrer tätig ist. „Auch privat begeisterter Motorradfahrer“, wie der Polizeihauptkommissar verriet, der mit der Familie auch bevorzugt per Krad in den Urlaub fahre. Zum Beweis war Ehefrau Ute mit ihrer 23-PS-Enduro mit dabei. Das Fahrerfeld war im Altersspektrum von 20 bis zu 63 Jahren ein ebenso bunter Mix wie der Fuhrpark mit komfortablen Tourern wie der 1600er BMW, wendigen Supermoto-Flitzern wie der KTM Duke, PS-starken Supersportlern wie der Yamaha R1, Allroundern wie der Reiseenduro BMW GS 1200 und chromblitzenden Choppern wie einer Harley Davidson.

Besondere Polizeieskorte am Bikertreff Mutter Vogel: Uniformierte Beamte geleiteten die PoliTour-Gruppe zu Infotafeln mit Fakten rund ums Unfallgeschehen.
Besondere Polizeieskorte am Bikertreff Mutter Vogel: Uniformierte Beamte geleiteten die PoliTour-Gruppe zu Infotafeln mit Fakten rund ums Unfallgeschehen. © WAZ | WAZ






Los ging’s am Morgen bei kuscheligen 23,5 Grad Richtung Norden in die Lippeauen bei Dorsten, weiter in die Üfter Mark um Erle und Rhade, vorbei am Lembecker Schützenfest zum ersten Stopp am Bikertreff Vogel in Marl. Hier hatte die Polizei einen Stand mit Infotafeln aufgebaut und Hauptkommissar Detlef Marks lieferte Zahlen, Daten und Fakten zum Unfallgeschehen im Kreis mit Motorradbeteiligung. Dass sich zum Beispiel bei den 8145 Alleinunfällen im Kreis, also mit Schuld des Kradfahrers selbst, zwar mehr als die Hälfte der Fälle (4 483) mit überhöhter Geschwindigkeit ereigneten, dass aber ebenso die ,Volksmeinung’ vom Klischee des vorrangig rasenden Mopedfahrers, der sich so selbst in Unfallgefahr bringt, falsch ist (Text unten).

Tourer Heiner Malchus (49) und Sohn Patrick (20) nahmen Biker ins Visier..
Tourer Heiner Malchus (49) und Sohn Patrick (20) nahmen Biker ins Visier.. © WAZ | WAZ






Von Mutter Vogel ging es weiter Richtung Weißes Venn im Norden und entlang des Silbersees, dann um den Halterner Stausee zum zweiten Bikertreff-Stopp am Drügen Pütt. Hier hatte die Polizei Lasermessgerät quasi zum Anfassen aufgebaut. Biker visierten so grinsend mal aus anderer Perspektive heranbrausende Biker. „Mit dem schwarzen Kreis im Sucher am besten den Scheinwerfer des Mopeds ins Ziel nehmen“, empfahl Hauptkommissar Michael Grüning. Bis auf einen Kilometer Entfernung seien amtlich verwertbare Messungen möglich, „wenn sie der Kradfahrer sieht und bremst, ist seine Geschwindigkeit also schon längst gemessen.“ Was alle heranflitzenden Pütt-Besucher beruhigen mochte: Die Blitzer schossen nur zu Übungszwecken, Knöllchen wurden nicht verteilt.

Am Bikertreff Vogel wurde das Klischee des ,Volksglaubens’ vom vorrangig rasenden Motorradfahrer, der so nahezu alle Kradunfälle selbst verschuldet, deutlich widerlegt. „Bei jedem zweiten Zusammenstoß oder Sturz war ein Autofahrer schuld, meist wurde die Vorfahrt missachtet. Nur ein Viertel der Motorradunfälle haben die Kradfahrer allein verursacht, meist wegen überhöhter Geschwindigkeit, falschem Überholen oder zu geringem Abstand“, so Hauptkommissar Detlef Marks.

Slalomparcours auf dem Hof des Polizeipräsidiums, die auch bei Fahrsicherheitstrainigs geübt werden.
Slalomparcours auf dem Hof des Polizeipräsidiums, die auch bei Fahrsicherheitstrainigs geübt werden. © WAZ | WAZ






Auffällig sei an der Statistik 2015 auch, dass zunehmend nicht junge Motorrad-Neulinge, „sondern ältere Motorradfahrer im Alter von 45 bis 65 Jahren, oft Wiedereinsteiger ins Hobby, bei Alleinunfällen verunglücken“. Hier habe das Präsidium eine Steigerungsrate von fast 200 Prozent verzeichnet. Klare Empfehlung: Fahrstunden nehmen oder ein Fahrsicherheitstraining besuchen.

Die PoliTour erfüllte so ihren Zweck, denn auch bei der Gladbecker Startertruppe waren Altsemester dabei, die sich nach Jahren der Abstinenz wieder ein Krad angeschafft hatten. Darunter Oberarzt Cosmin (37) der mit seiner Honda Shadow das Fahren in der Gruppe lobte: „Ein gutes Training, dazu hatte ich bislang keine Gelegenheit.“

Von Haltern ging es zurück nach Gladbeck mit traurigem Halt an der Kreuzung Schultenstraße/Frentroper Straße/Am Dorffelde. Dort verunglückte Ende 2012 ein 51-jähriger Gladbecker Kradfahrer tödlich, weil ihm von einem Autofahrer (65) die Vorfahrt genommen wurde. „Der Kradfahrer hat nichts falsch gemacht“, unterstrich Truppführer Siegburg. Der geschilderte Fall solle Mahnung sein, als Kradfahrer an möglichen Gefahrenstellen noch aufmerksamer und defensiver zu fahren und mit dem Fehlverhalten anderer zu rechnen. „Denn ihr habt keine Knautschzone und auch bei einem unverschuldeten Unfall so immer den größeren Nachteil.“

Trauriger Halt an Unfallstelle in Gladbeck

Von Haltern ging es zurück nach Gladbeck mit traurigem Halt an der Kreuzung Schultenstraße/Frentroper Straße/Am Dorffelde. Dort verunglückte Ende 2012 ein 51-jähriger Gladbecker Kradfahrer tödlich, weil ihm von einem Autofahrer (65) die Vorfahrt genommen wurde. „Der Kradfahrer hat nichts falsch gemacht“, unterstrich Truppführer Siegburg. Der geschilderte Fall solle Mahnung sein, als Kradfahrer an möglichen Gefahrenstellen noch aufmerksamer und defensiver zu fahren und mit dem Fehlverhalten anderer zu rechnen. „Denn ihr habt keine Knautschzone und auch bei einem unverschuldeten Unfall so immer den größeren Nachteil.“

DRK-Ausbilder Fritz Kaiser (l.) zeigt wie bei einem Krad-Unfallopfer der Helm abgenommen wird.
DRK-Ausbilder Fritz Kaiser (l.) zeigt wie bei einem Krad-Unfallopfer der Helm abgenommen wird. © WAZ | WAZ






Nächsten Stopp: das Polizeipräsidium Recklinghausen. Dort wurde mit dem DRK auch die Erste Hilfe für Kradfahrer am Unfallort geübt, zum Beispiel wie man einem Verletzten den Helm abnimmt und in stabile Seitenlage bringt.

„Ich habe vor meinem ersten Start als Sozia auch die Infoveranstaltung des Notarztes besucht – und danach kurz überlegt, ob ich überhaupt mitfahren sollte“, gab Friederike Zurhausen zu. Was die Präsidentin des Polizeipräsidiums Recklinghausen meinte, waren die drastischen Bilder offener Verletzungen, die Dr. med. Christian Berger bei seinem Vortrag im Polizeipräsidium aus Sicht des Notarztes an die Wand projizierte.

Ergebnis des Schleiftestes: Stuntman mit zerfetzter Jeansbekleidung (über der Lederkombi).
Ergebnis des Schleiftestes: Stuntman mit zerfetzter Jeansbekleidung (über der Lederkombi). © WAZ | WAZ






Wer ohne Schutzkleidung aufs Motorrad steige, riskiere schwerste Verletzungen. Wer nach einem Motorradsturz ohne Handschuhe, mit Jeans oder gar nur kurzer Sommerhose 30 Meter über den Asphalt rutsche, „erleidet Schürfwunden, die durch alle Hautschichten gehen“. Komplizierte Operationen und langwierige Hauttransplantationen seien die Folge, mit Narben, die später auch die Beweglichkeit einschränken könnten.

Dringender Appell des Mediziners: „Niemals, gerade auch nicht bei der Kurzstrecke mal eben um die Ecke ins Eiscafé, ohne abriebfeste und gepolsterte Schutzkleidung aufs Motorrad steigen.“

Drastisch vorgeführt wurde das Ergebnis falscher Kleidung später auf dem Verkehrsübungsplatz des ADAC beim Schleiftest über wenige Meter. Die grobe Jeanshose und Jacke waren völlig zerfetzt – selbstverständlich hatte der Stuntman unter dem leichten Stoff eine gut gepolsterte Lederkombi getragen.