Kreis Recklinghausen. . Wie sich der Preisverfall im Kreis Recklinghausen auswirkt – und wie Verbraucher helfen können.Ein Interview mit Friedrich Steinmann.

Die Milchpreise sind im Keller. Die deutschen Molkereien zahlen derzeit im Schnitt weniger als 20 Cent pro Liter Milch.

Während sich die Verbraucher über günstige Preise für Milch, Butter und Käse freuen können, kämpfen viele Bauern um ihre Existenz – auch im Kreis Recklinghausen. Die Redaktion sprach mit Friedrich Steinmann, Vorsitzender des landwirtschaftlichen Kreisverbandes und selbst Milchviehhalter in Bottrop-Kirchhellen, über die Lage.

Warum gibt es die aktuelle Milchschwemme überhaupt?

In den letzten vier Jahren wurde die Milchproduktion in der EU verstärkt, da die Nachfrage weltweit sehr hoch war. Doch dann kam – nach der Krim-Krise – das Embargo gegen Russland. Da haben wir von heute auf morgen einen wichtigen Abnehmer verloren. Überdies hat die Wachstumskrise in China dazu geführt, dass unser Export regelrecht eingebrochen ist. Die Chinesen, so heißt es, wollen erst einmal ihre Vorräte an Milchpulver aufbrauchen, bevor sie neues ordern.

Und diese Situation hat der Lebensmittelhandel ausgenutzt?

Und zwar brutal. Da der Export im Frühjahr im Keller war, haben die Molkereien bei den Preisverhandlungen mit dem Handel grottenschlechte Konditionen erzielt. Die Marktmacht der großen Discounter wie Aldi, Lidl und Co. macht dies möglich – zulasten der Bauern. Dazu kommt, dass die Preise halbjährlich – also erst wieder im Herbst – neu festgelegt werden. Uns steht im Sommer eine echte Durststrecke ins Haus.

Was bedeutet das für die Milcherzeuger konkret?

Das ist eine Katastrophe! Binnen weniger Monate ist der Preis pro Liter Milch von gut 30 Cent auf unter 20 Cent gefallen. Wir brauchen aber mindestens 30 bis 40 Cent, um kostendeckend wirtschaften zu können. Ein konkretes Beispiel: Wenn ein Milchbauer 500 000 Liter pro Jahr produziert und dafür benötigt er etwa 50 bis 55 Kühe, beträgt der Verlust für den Landwirt derzeit überschlagmäßig 50 000 Euro. Also etwa 1 000 Euro pro Kuh. Welcher Betrieb kann das über einen längeren Zeitraum verkraften?

Wie viele Milchviehbetriebe gibt es insgesamt im Kreisverband Recklinghausen?

Rund 130 Landwirte betreiben Milchproduktion. In den letzten Wochen haben leider schon wieder zwei Höfe aufgegeben. Ich fürchte, das geht noch weiter.

Kann die Politik helfen?

Ich meine, dass die Politik nur begrenzt helfen kann. Denn eine Milchquote wie in der Vergangenheit, die Mengen festlegt und Mehrproduktion bestraft, lehnen die meisten Landwirte ab. Denkbar sind Zuschüsse zur Überbrückung der Krise, wie sie in Berlin jetzt angedacht werden. Am besten wäre es, wenn die Politik hilft, neue Absatzmärkte zu finden. Mittlerweile gibt es Hoffnung, dass der Export nach Asien wieder anspringt.

Ist die Selbstvermarktung ein Ausweg?

Jeder Liter Milch, der vom Verbraucher ab Hof gekauft wird, hilft dem Bauern. Manche Landwirte wie die Höfe Im Winkel in Rentfort oder Overgönne in Mitte-Ost haben sogar eine „Tankstelle“ für ihre Frischmilch gebaut. Doch das ist nur ein Zubrot. Letztlich ist die benötigte Milchmenge ab Hof nicht abzusetzen.