Gladbeck. . VHS-Leiter Pollmann und Fachbereichsleiterin Hornig Bilo im WAZ-Interview: In den Sprachkursen für Flüchtlinge spielen auch Werte eine große Rolle.

Wie leicht kommt der Satz über die Lippen: „Für eine Integration von Flüchtlingen, die bei uns gelingen soll, ist es von entscheidender Bedeutung, Deutsch zu können.“

Doch in der Umsetzung gibt’s doch den einen oder anderen Gesichtspunkt, der den Ablauf bisweilen stottern lässt. Die WAZ sprach mit Dietrich Pollmann, Leiter der Volkshochschule, und Karin Hornig-Bilo, die unter anderem den Fachbereich „Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache“ leitet. Wie funktionieren die Kurse für Flüchtlinge? Wo hakt es? Was ist in Zukunft zu erwarten?

WAZ: Wie viele Deutschkurse für Gladbecker Flüchtlinge führt die VHS derzeit durch?

Karin Hornig-Bilo: Wir haben vier laufende Kurse für Flüchtlinge, ein fünfter für Anfänger ist geplant. Insgesamt haben wir 85 Teilnehmer. Die Kurse umfassen 100 bis 120 Unterrichtsstunden.

WAZ: Wer darf an einem Deutschkurs für Flüchtlinge teilnehmen?

Dietrich Pollmann: Die Ausländerbehörde oder die Evangelische Flüchtlingshilfe bestimmt, wer teilnimmt. Wir können nicht abschätzen, wer eine gute Bleibeperspektive hat. Das ist Voraussetzung. Außerdem gibt es vier bevorzugte Herkunftsländer, zum Beispiel Syrien.

WAZ: Wie groß sind die Klassen?

Hornig-Bilo: Im Durchschnitt besuchen 23 Menschen zwischen 18 und 24 Jahren eine Klasse. Der Anteil der Männer ist dabei deutlich höher als der der Frauen. Das Verhältnis ist etwa 8 zu 2.

WAZ: Welche Nationalitäten sind vertreten?

Hornig-Bilo: Bei der überwiegenden Mehrzahl – aktuell 41 – handelt es sich um Syrer. Insgesamt haben wir Teilnehmer aus 20 Nationen, darunter aus Eritrea, dem Irak und Iran, aus Guinea, Marokko und Nigeria. Es ist günstiger, wenn die Zusammensetzung bunt ist, als wenn in einem Kurs fast ausschließlich Teilnehmer sitzen, die Arabisch sprechen und deswegen aus ihrer Sprache nicht herauskommen. Ist die Gruppe gemischt, ist die einzige Verbindung die deutsche Sprache.

WAZ: Ist es nicht frustrierend für die Dozenten, wenn jemand nicht in Deutschland bleiben und er seine Deutschkenntnisse in unserem Land nicht mehr nutzen kann?

Pollmann: Man muss bedenken, dass der größte Teil der Flüchtlinge in Deutschland Asyl beantragen will, und das Verfahren kann Jahre dauern. Selbst wenn einige in drei Jahren zurückkehren, nehmen sie doch einen Schatz mit – nicht nur in Form der deutschen Sprache, sondern sie wissen auch etwas über unsere Kultur.

Hornig-Bilo: Die Menschen sind dann auch für Deutschland eingenommen. Außerdem haben sie schon jetzt etwas vom Unterricht, denn sie sitzen nicht nur rum und warten, dass der Tag vorbeigeht. Sie unternehmen etwas Sinnvolles, indem sie Deutsch lernen; sie sind nicht isoliert, lernen unsere Kultur und den Alltag kennen. Nein, für unsere Dozenten gibt’s keinen Frust, wenn einige Teilnehmer in ihr Heimatland zurückkehren.

WAZ: Die Unterrichtsinhalte gehen weit über Grammatik und Vokabeln hinaus . . .

Pollmann: Die Leute kommen aus dem Unterricht heraus und können das Gelernte sofort anwenden.

Hornig-Bilo: Sie müssen nach dem Weg fragen, antworten, wenn sie im Bus bei einer Kon­trolle nach dem Ticket gefragt werden.

Pollmann: Bei uns spielen Inhalte und – damit verbunden – Werte eine große Rolle. (Er schlägt ein Lehrbuch auf, deutet auf eine abgebildete Szene.)

Hornig-Bilo: Hier begrüßen sich zwei Menschen mit einem Handschlag – das ist nicht in allen Kulturen eine Selbstverständlichkeit.

Pollmann: Wir wollen in den Kursen den Austausch fördern. Also fragt zum Beispiel einer den anderen: Wie ist das bei Ihnen zu Hause? Es täte übrigens jedem von uns gut zu erkennen, dass nicht alles in Stein gemeißelt ist: Ein Vater, der sein Kind ins Bett bringt, ist auch bei uns nicht in jeder Familie Alltag. Respekt vor religiöser Vielfalt, dem anderen Geschlecht, Homosexualität – das sind einige Themen.

WAZ: Gibt es unter den Teilnehmern Konflikte, die im Unterricht zu Tage treten?

Hornig-Bilo: Das Internationale macht unseren Unterricht aus, und das klappt sehr schön. Dass Teilnehmer Konflikte in unsere Kurse tragen, habe ich noch nicht erlebt.

Pollmann: Sie bilden eine Schicksalsgemeinschaft.

Wechsel in Integrationskurse ist wichtig 

WAZ: Welche Dozenten leiten die Deutschkurse?

Hornig-Bilo: Eine Zusatz-Qualifikation ist nur für Integrationskurse notwendig, nicht bei Deutsch für Flüchtlinge. Wir haben Tandems aus erfahrenen und neuen Dozenten gebildet, in den Flüchtlingskursen haben wir acht Lehrende im Einsatz.

WAZ: Wie sieht’s mit der Finanzierung aus?

Pollmann: Von der Stadt Gladbeck haben wir für 2016 allein für Flüchtlingskurse 12 000 Euro eingestellt bekommen. Man muss etwa 3 000 Euro pro Kurs rechnen. Außerdem gibt es Mittel des Landes, der Bundesagentur für Arbeit, der Evangelischen Kirchengemeinde, der Rotarier und private Spenden.

WAZ: Welche Rolle spielt der Bund dabei?

Pollmann: Ehrlich gesagt, erwarte ich vom Bund, dass er die Kosten für die Kurse für Flüchtlinge ebenso zahlt wie die Integrationskurse.

WAZ: Wo sehen Sie zukünftig Probleme?

Hornig-Bilo: Die Finanzierung ist es zurzeit nicht. Mittelfristig sind wir, was Lehrkräfte und Räume angeht, auch gut aufgestellt. Ein Problem könnte die hohe Fluktuation in den Kursen sein, weil immer wieder Menschen weggeschickt werden.

Pollmann: Die Gruppe der Analphabeten ist derzeit nicht unser Ziel, aber wir wollen entsprechende Strukturen aufbauen. So ist geplant, dass wir noch niederschwelligere Bücher beschaffen.

WAZ: Was erhoffen Sie sich auf diesem Sektor für die Zukunft?

Pollmann: Wir erwarten, dass sich die Zeiten für die Anerkennungsverfahren deutlich verkürzen, so dass Flüchtlinge zügig in die Integrationskurse wechseln. Jeder, der in Deutschland Fuß fassen will, muss einen Integrationskurs absolvieren – das ist seit 2005 eine rechtliche Verpflichtung.