Gladbeck. . Der Rat der Stadt wählte den Ersten Beigeordneten einstimmig erneut für weitere acht Jahre in das zweithöchste Spitzenamt im Rathaus.

„Mit hundertprozentiger Zustimmung und stehendem Applaus votierte der Rat der Stadt am Mittwoch für eine weitere achtjährige Amtsperiode des Ersten Beigeordneten Rainer Weichelt (59). Der Wahlbeamte, der fünf Dezernate verantwortet, war erstmals 2008 in das Amt gewählt worden und stellte sich nun einer Wiederwahl. Ausdrücklich und eindringlich hatte zuvor Bürgermeister Ulrich Roland dazu aufgerufen, die „stadtprägende Persönlichkeit“ erneut zu wählen. Ausführlich würdigte SPD-Fraktionschef Michael Hübner die bisherige Arbeit Weichelts, der für die Schwerpunktthemen der Stadt, Erziehung, Bildung, Zukunft, zu einer Triebfeder geworden sei. CDU-Fraktionschef Peter Rademacher lobte die fachliche Kompetenz, insbesondere habe die CDU sich bei der Entscheidung für den Heisenberg-Neubau gut mitgenommen gefühlt. Einzige Einschränkung: Man sei politisch auseinander, erinnerte Rademacher an die SPD-Mitgliedschaft Weichelts und bat für die Zukunft um etwas mehr Neutralität.

„Der Zug fährt weiter“, gab der Bürgermeister dem wiedergewählten Ersten Beigeordneten mit auf den Weg. Was dieser mit wissendem Lächeln wohl zu deuten wusste: Die Arbeit geht weiter. Dass es davon in seinem Aufgabenbereich genug gibt, bezeugen die Aktenstapel auf seinem Schreibtisch. So extrem viel wie in 2015 wird es aber wohl nicht in jedem Jahr sein. „Das vergangene war eindeutig das arbeitsreichste Jahr“, sagt Weichelt.

Warum war 2015 so anstrengend?

Wir hatten extrem viel Arbeit, wurden ja im Sommer mit der Flüchtlingssituation konfrontiert. In kürzester Zeit Notunterkünfte zu schaffen war eine riesige Herausforderung. Aber auch die weitere Unterbringung zugewiesener Asylbewerber musste ja bewältigt werden. Das hat mir Sorgen gemacht. Es gab eine Zeit im Herbst, in der ich schlecht geschlafen habe. Dazu kamen ja alle anderen Aufgaben, wie die Planung fürs neue Heisenberg-Gymnasium, zwei neue Kitas, weiterer Ausbau der U3-Betreuung . . . und mittendrin holte uns der Gelsenkirchener Jugendamtsskandal. von dem auch Gladbecker Kinder in der Vergangenheit betroffen waren, ein. Aber wir haben das gut geschafft, sind übern Berg. Das macht mich stolz. Jeder einzelne Mitarbeiter, nicht nur in meinem Dezernat, hat herausragend gut gearbeitet, ich kann mich auf meine Leute verlassen.

Gladbeck muss sparen, Haushaltskürzungen treffen jeden Bereich. Wird die Lösung sozialer Probleme, die Geld kostet, noch schwieriger?

In Gladbeck war die Haushaltssituation immer eng, ich kenne keine andere Situation. Wir können trotz des Sanierungsplans eine Menge schaffen. Das zeigt der Heisenberg-Neubau, oder die Umgestaltung der Innenstadt, die als Folge des 1. Familienberichts in 2008 angestoßen wurde, auch um die sozialen Probleme in den Griff zu bekommen.

Man muss viel erklären und aufklären, wie bei den Hilfen zur Erziehung, die mit 13,5 Mio Euro im Haushalt stehen. Wir versuchen, die nicht funktionierende Erziehungsarbeit der Eltern zu reparieren. Hier tun sich oft menschliche Abgründe auf, die man gar nicht öffentlich machen kann. Das Jugendamt leistet viel, arbeitet fachlich qualifiziert und steht dazu im Fokus. Wir brauchen hier das Vertrauen der Gesellschaft.

Mit Blick auf die nächsten acht Jahre. Was steht auf dem Arbeitsplan?

Bildung und Erziehung bleibt natürlich ein Schwerpunkt. Neu hinzu kommt integrierte Sozialplanung als zentrales Thema. Also passgenaue Hilfen für die quartiersnahe Armutsbekämpfung, wie mit dem Projekt Biwaq. So wird ein dritter, sozialer Arbeitsmarkt geschaffen, der den Kreislauf aus Armut und Arbeitslosigkeit durchbrechen soll.

Die Integration bleibt auch ein zentrales Thema, da vor allem Sprache und Bildung. Auch wenn mehr Kinder von Zuwanderern höhere Bildungssabschlüsse machen, klafft die Schere noch immer weit auseinander. Wir werden deutlich mehr fordern.

Was heißt das konkret?

Wir werden eine noch deutlichere Sprache sprechen und den konsequenten Gebrauch der deutschen Sprache in allen Einrichtungen fordern. Auch in Familien sollte das so sein. Migranten machen es sich und ihren Kindern selbst schwer, wenn diese die deutsche Sprache nicht beherrschen.

Gibt es die Sorge, dass auch in Gladbeck das soziale Klima und die Stimmung in der Stadt wegen der Flüchtlingssituation kippen könnte?

Nein, es gibt hier wie im ganzen Ruhrgebiet eine Grundsolidarität, da mache ich mir keine Sorgen. Aber wir sind als Verwaltung auch viel vor Ort, um mit den Bürgern, die ihre Sorgen artikulieren, zu reden.

Wir leben hier in einer sozial hoch belasteten Region. Man muss die Entwicklung im Auge behalten, es darf keine Konkurrenz entstehen. Wenn wir Sozialwohnungen bauen, dann für alle Anspruchsberechtigten. und nicht für eine spezielle Gruppe. Ich habe das Gefühl, die Gladbeck honorieren das.“

Wissen über die Vergangenheit hilft beim Blick nach vorn 

Rainer Weichelt ist Historiker und hat bis 2007 das Gladbecker Stadtarchiv geleitet. Er übernahm danach für ein Jahr die Steuerung sozialer Projekte und wurde im Mai 2008 erstmals zum Ersten Beigeordneten gewählt. Die Wiederwahl eines Amtsinhabers ist in der Gemeindeordnung ausdrücklich vorgesehen, um die Kontinuität zu gewährleisten. Nur wenn Gründe wie z. B. eine Erkrankung, dagegen sprechen, den Amtsinhaber erneut zu wählen, wäre eine öffentliche Ausschreibung notwendig geworden.

Zweithöchstes Verwaltungsamt

Die Position des Ersten Beigeordneten ist in der Verwaltung das zweithöchste Amt und beinhaltet die Vertretung des Bürgermeisters im Falle seiner Verhinderung. Zugleich verantwortet Weichelt als Dezernent fünf Ämter in der Verwaltung: Bildung und Erziehung, Soziales und Wohnen, Jugend und Familie, Integration und Sport und dazu das Jobcenter mit gut 100 Mitarbeitern, für das er nun auch im Kreis als Mitglied im neu gegründeten Jobcenter-Vorstand zuständig ist.

Dass es mit der Fülle der A ufgaben selten einen Acht-Stunden-Tag gibt, liegt auf der Hand. Aber viel Arbeit schreckte Rainer Weichelt noch nie. „Mir macht der Job total Spaß, man muss natürlich delegieren können“, bekennt er und erklärt auch, warum das so ist: „Es ist toll, vieles entscheiden zu können, die Verantwortung zu übernehmen und mitzugestalten. Ich kann meine Erkenntnisse und mein Wissen, auch meine Fähikeiten als Historiker einbringen. Ich weiß ja viel darüber, wie in der Vergangenheit Anpassung an neue gesellschaftliche Herausforderungen gelungen ist. Das brauchen wir, um die Zukunft zu gestalten.