Gladbeck. Viele Gladbecker Griechen gehen davon aus, dass am Sonntag statt „Grexit“ ein Votum pro Euro erfolgt und schnell Neuwahlen stattfinden.

„Genieße jeden Tag“, hat Sotirios Malamas als Wahlspruch an der Wand in seiner physiotherapeutischen Praxis in Brauck stehen. Das fällt ihm zurzeit aber schwer, da ihn die Situation in Griechenland und die Sorge um die Eltern und Verwandten stark belastet.

„Rentner wie meine Eltern, die beide über 80 Jahre alt sind, erhalten nur noch knapp 400 Euro Rente pro Monat“, erzählt der 58-Jährige, der sich vor 35 Jahren eine Existenz in Deutschland aufbaute. Das geringe Einkommen vieler Griechen reiche kaum zum Leben, „da die Kosten für Grundnahrungsmittel nicht wie viele glauben extrem niedrig seien, sondern ähnlich hoch wie in Deutschland“, ergänzt seine Frau Sofia (55). Durch die Medien werde leider oft ein völlig falsches Bild vermittelt, „vom faulen Griechen, der den ganzen Tag lieber gemütlich im Café sitzt, anstatt zu arbeiten“. Dabei würde der Großteil der Menschen den ganzen Tag sehr hart arbeiten, „wenn sie noch einen Job haben und nicht wie so viele junge Leute arbeitslos sind, die keine Anstellung finden“.

Klaren Schuldenschnitt zugestehen

Berufskollegen von ihm seien so erst kürzlich nach Deutschland ausgewandert, „da die Krankenkassen ihre Leistungen nicht bezahlt“, erzählt Sotirios Malamas. Er wie seine Frau sind gegen den Grexit, den Ausstieg Griechenlands aus dem Euro. „Wir bezweifeln, dass alles besser wird, wenn wieder die Drachme käme“. Wofür beide klar appellieren: Dass die EU Griechenland einen klaren Schuldenschnitt zugesteht. „Und statt die Banken mit Milliardenkrediten zu stützen, muss das Geld in Förderprogramme für die Wirtschaft und mehr Arbeitsplätze fließen.“

Was zudem klar werde: „Dass die Regierung Tsipras vorschnelle Wahlversprechen gemacht hat, die sie nicht hinbekommt“. Seit Monaten gebe es offenbar keine Idee, wie Griechenland geholfen werden kann. „Doch anstatt das Scheitern einzugestehen, den Schulterschluss über die Parteigrenzen hinweg zu suchen, um mit allen Fraktionen den Neuanfang hinzukriegen und wirklich die Fachleute der EU dabei mit einzubinden“, werde jetzt die Verantwortung via Referendum aufs Volk abgewälzt.

Mit Tsipras verlorene Zeit für Griechenland

„Im Prinzip war das mit Tsipras ein verlorenes halbes Jahr für Griechenland“, schimpft Konstantinos Prasinos vom Restaurant Poseidon an der Friedrichstraße. Mit der Vorgängerregierung Samaras sei das Land auf einem guten Weg gewesen, „seit der Wahl von Tsipras und Co. ist außer vielen Worten nichts geschehen, was Griechenland weiter bringt“.

Es sei „dumm, was die griechische Regierung gemacht hat, und das Volk leidet darunter“, sagt Gastronom Evangelos Vassiliou vom Restaurant Artemis (Marktstraße). „Ich hoffe, dass die Griechen am Sonntag zum Euro stehen.“ Eine große Koalition aller Parteien sei sinnvoll, um das Land wieder zu stabilisieren.

Für Konstantinos Prasinos ist das Ende von Tsipras schon jetzt eine klare Sache: „Die Mehrheit wird am Sonntag Ja sagen und am Montag haben wir Neuwahlen“.

Menschen können weitere Belastung nicht tragen 

„Selbstverständlich ist das Referendum zurzeit für jeden Griechen, ob er in Deutschland lebt, oder in Griechenland, das Thema Nummer Eins“, sagt Argiro Kamarianaki, Vorsitzende des Griechischen Kulturvereins des Kreises Recklinghausen, die die Redaktion in Alexandropolis, beim Urlaub in Nordostgriechenland erreichte.

Viele der rund 2000 Menschen im Kreis mit griechischen Wurzeln seien besorgt, wie es im Heimatland, beziehungsweise dem Land der Eltern, Großeltern und vieler Verwandter weiter geht.

In Gladbeck leben 87 Menschen mit griechischem Pass.

Natürlich sei es ein Unterschied, „wenn man direkt von der Politik im eigenen Land betroffen ist“, oder aus der Ferne auf das Geschehen blicke, so Kamarianaki. Die Meinungen der Griechen im Kreis zum Referendum „gehen auseinander“. Fakt sei, „dass die normalen Menschen in Griechenland keine weitere Belastung tragen können“. Bei vielen sei das Einkommen um 40 Prozent gesunken, bei gleichbleibend hohen Lebenshaltungskosten. In Alexandropolis wollen so wohl „gefühlt 80 Prozent mit Nein stimmen, sie sind trotzdem klar für den Euro und einen Verbleib in der EU“.