Gladbeck. Die Kriegsfront war Anfang April 1945 durch Gladbeck durch, die Amerikaner hatten das Sagen in der zerstörten Stadt. Die Menschen rückten zusammen.
An Ostern 1945 – vor 70 Jahren – war die Front durch Gladbeck durch und weiter Richtung Südosten gezogen. In der kriegsverwüsteten Stadt atmeten die Menschen erstmals wieder auf, obwohl sie große Not litten. Erstmals seit längerem wurden wieder Gottesdienste in Notbehelfen gefeiert.
Unzählige Gladbecker hausten obdachlos in Stollen und Bunkern oder rückten in den wenigen unzerstörten oder noch halbwegs bewohnbaren Häusern enger zusammen. Später gab es Einquartierungen. Viele hungerten. Es gab kein Trinkwasser, da das Leitungsnetz an vielen Stellen zerstört war. Nur mancherorts funktionierte das Licht. An wenigen Stunden am Tag durften die Menschen anfangs wegen der Ausgangssperre zu Brunnen oder Pumpen, um Wasservorräte zu holen. Straßen- und Eisenbahnen fuhren nicht. Brauck drohte obendrein eine Überflutung, weil die Pumpen der Emschergenossenschaft zerstört waren.
Hunderte von Toten wurden an Ostern ‘45 aus den noch qualmenden Trümmern geborgen. Schreinereien mussten Särge zimmern, Bergleute hoben Sammelgräber aus. Dennoch blieben wegen der von den Amerikanern verhängten, anfangs sehr langen nächtlichen Ausgangssperre (nach einigen Tagen gelockert auf 22 bis 6 Uhr) viele der zusammengetragenen Leichen schutzlos liegen, so eine Quelle.
Problematisch waren für die Bevölkerung die Plünderungen durch die befreiten, ehemaligen Kriegsgefangenen, die durchs Stadtgebiet zogen: Nicht nur Bauernhöfe wurden überfallen, auch in der Innenstadt wurden verlassene Geschäfte geplündert, auch Wohnungen. Etliche hatten Waffen, viele hegten Hass gegen die Deutschen, die wiederum Angst hatten.
Wohnungen wurden von den Amerikanern beschlagnahmt
Unterdessen suchten sich die Amerikaner die besten Wohnungen aus, um Quartiere einzurichten. Sie wurden kurzerhand beschlagnahmt – „Off Limits“ stand an vielen Türen. Gegenüber der Bevölkerung gaben sie sich freundlich und human. Hedwig Enxing, geborene Tenbusch, die den Einmarsch der Amerikaner in einem Erdstollen im Zweckeler Norden als 11-Jährige erlebte, bestätigt das. Sie berichtet, alle GIs seien „sehr freundlich gewesen“, hätten Schokolade, sogar Bananen verteilt. Nicht ein Schuss sei gefallen, auch Gewalt gegenüber der Bewohnern habe sie weder erlebt noch davon gehört. Bei ihrem Vormarsch sei aber alles kontrolliert worden. „Angst vor den Amerikanern hatten wir nicht, allerdings vor der ungewissen Zukunft.“
Heimatforscher Manfred Samen berichtet, dass auch er bei seinen zahlreichen Nachforschungen stets gehört und nachgelesen habe, dass die Amerikaner und Kanadier bei ihrem Vormarsch durchs Stadtgebiet freundlich zur Bevölkerung gewesen seien. Allerdings hätten die Menschen vielerorts die ersten Tage und Nächte nach der Besetzung in den Bunkern verbringen müssen.
Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Bernhard Striewe erfuhr Samen, dass man in den Tagen um Ostern aus der Ferne noch längere Zeit Artillerie und Kanonendonner vernahm: Am Rhein-Herne-Kanal hing die Front fest, letzte deutsche Truppe versuchten von der Südseite, die Alliierten beim Übersetzen über Emscher und Kanal zu hindern.
Vereinzelte Artilleriegeschosse drangen bis aufs Stadtgebiet vor, weitere Gladbecker fanden dadurch noch den Tod, berichtet auch Zeitzeugin Erna-Johanna Fiebig. Wichtige erste Aufgabe der neuen Machthaber in der trümmerübersäten Stadt sei es gewesen, Lebensmittel und Medikamente heranzuschaffen sowie Straßen und Schienen befahrbar zu machen.
Engländer folgten den Amerikanern
Die Amerikaner richteten in der Jovy-Villa, die die Dienstwohnung des geflüchteten Nazi-OB Bernhard Hackenberg war, ihre Kommandantur ein. Chef war Major Flatow, so Zeitzeuge Heinz Ilaender, der sofort in den ersten Tagen nach dem Einmarsch als junger Mann für die Amerikaner als Dolmetscher tätig war. Erna Fiebig, die ebenfalls für die Alliierten übersetzte, berichtet, dass die Amerikaner im Umgang mit der Bevölkerung recht höflich und konziliant umgingen. Die Englänger, die wenige Wochen später die Amerikaner als Stadtkommandanten ablösten, waren mit Captain Knight an der Spitze dagegen „sehr streng“, so Fiebig.
Schon in den ersten Tage nach der Einnahme der Stadt regte die Stadtkommandantur den Aufbau einer Selbstverwaltung ein, setzte Johannes Schulte, der unter den Nazis aus der Stadtverwaltung als „unzuverlässig“ verbannt worden war, ein, eine neue Stadtverwaltung aufzubauen, die aber zunächst nur eine mitarbeitende Funktion hatte.
Schulte richtete im nicht zerstörten Polizeigebäude ein Stadtbüro ein. Sein erstes Anliegen war gewesen, die Menschen zu überzeugen, dass sie den Anordnungen der Militärregierung zu folgen habe, berichtet Erna Fiebig, die damals als 16-Jährige das Geschehen miterlebte. „Damit sollten mit Schultes Hilfe schon bald die rigorosesten Verbote aufgehoben werden.“ Eine ganz wichtige Aufgabe der neuen Selbstverwaltung war auch dabei mitzuhelfen, die Versorgungslage mit Lebensmitteln zu verbessern. Doch das dauerte viele Wochen.
Gladbeck war fast zur Hälfte
Die Kriegsbilanz für Gladbeck war schrecklich: Über 820 tote Gladbecker durch den Bombenkrieg, mehr als 1800 gefallene Gladbecker an den Fronten. Rund 40 000 Bomben waren auf Gladbeck niedergegangen, mehr als 5100 Häuser mit über 16 000 Wohnungen wurden völlig zerstört. Weitere 450 Häuser waren abbruchreif, nochmals über 1000 Wohnhäuser so stark beschädigt, dass zunächst niemand darin wohnen konnte. 29 der 48 öffentlichen Gebäude lagen in Trümmern.
Gladbeck war zu 44,8 Prozent zerstört und zählte somit zu den am stärksten betroffenen Gemeinden. 135 000 Quadratmeter Straßenfläche war unbenutzbar. Die Bevölkerungszahl lag Ende März 1945 – auch wegen vieler Evakuierungen – bei nur noch etwa 40 000. Zu Kriegsbeginn waren es 61 000 gewesen. Nur langsam nahm der Wiederaufbau Formen an – Trümmerfrauen bestimmten das Bild.
Wohnungen notdürftig hergerichtet
Wenige Tage nach dem Einmarsch der Amerikaner und dem Kriegsende in der Stadt befanden sich die Menschen in einem absoluten Tief. An vielen Straßenecken patrouillierten Posten mit umgehängten Gewehren. Schwere amerikanische Schutträumpflüge schoben Trümmer rigoros und ohne Rücksicht auf Anlieger beisetie. Für manche Ausgebombte verschärfte sich die Lage.
Dennoch begannen die Gladbecker langsam, ihr Leben zu normalisieren. Bergleute, die noch nicht wieder einfahren konnten, begannen mit der Trümmerbeseitigung und richteten Wohnungen notdürftig her. Auch Bombentrichter wurden zugekippt, Straßen passierbar gemacht, erste Vorfluter wieder hergestellt. Die Männer der neuen städtischen Selbstverwaltung sorgten dafür, dass ein Fahrdienst eingerichtet wurde, um Lebensmittel in die Stadt zu holen und die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Dazu wurde auch ein Ernährungsamt eingerichtet. Gladbecker selbst konnten nur mit einem Passierschein das Stadtgebiet verlassen. Auch der Schutz vor Raub und Plünderung wurde ausgeweitet, erste Polizeikräfte wieder mobilisiert.
Als wenig später die Zechen langsam wieder Kohlen förderten, wurden die „schwarzen Diamanten“ zu Gladbecks Rettung aus der härtesten Not der ersten Nachkriegszeit, heißt es in einer Nachkriegschronik. Noch im April ‘45 kehrten die ersten Gladbecker Männer in die Heimat zurück. Ohne ordentliche Entlassungspapiere hatten sie allerdings ihre Not, einen Ausweis und damit Lebensmittelkarten zu erhalten. Ihnen stand ein langwieriger Entnazifizierungsverfahren bevor.