Gladbeck. . Seine Schwerhörigkeit wurde über Jahrzehnte immer mehr zur Taubheit. Jetzt nimmt der Gladbecker FDP-Politiker wieder am Leben teil.

„Nicht sehen trennt von den Dingen, nicht hören trennt von den Menschen“. Den zweiten Teil des Spruchs von Philosoph Immanuel Kant kann Heinz-Josef Thiel nur unterschreiben.

Leidvoll musste der stellvertretende Parteivorsitzende der FDP über Jahrzehnte erfahren wie seine Schwerhörigkeit immer mehr zur Taubheit führte. Und damit zur Ausgrenzung von zwischenmenschlicher Kommunikation, die das Leben lebenswert macht. Erst eine Innenohrprothese brachte Thiel die Hörwelt zurück, machte ihm deutlich, dass es viel mehr gibt als nicht gewollte Stille. Der 61-Jährige ist glücklich und vor allem dankbar – seinen Ärzten und der Medizintechnik – und sagt: „Ich habe wieder Spaß am Leben. Es ist ein ganz anderes Lebensgefühl als früher.“

Hörprobleme begannen bei Thiel, verheiratet und Vater zweier erwachsener Söhne, bereits zu Kinderzeiten. Auslöser war eine verschleppte Mittelohrentzündung. Besser wurde es mit den Jahren nicht. Vielmehr folgten zehn Operationen, beidseitig getragene Hörgeräte und „irgendwann war das linke Ohr taub“. Endstation – nicht nur gesundheitlich. Eine Teilnahme am normalen Leben schien von Tag zu Tag unmöglicher zu werden. „Wer nicht hören kann, der nimmt nicht teil. Also zieht man sich zurück.“

Sozialer Rückzug durch Schwerhörigkeit, das ist ein Ausschluss vom kommunikativen Leben, letztlich ein Ende der Teilnahme und Teilhabe. Die Folgen für Thiel waren dramatisch. Er verstand nicht mehr, was die anderen sagten, konnte an Unterhaltungen nicht mehr teilnehmen. Die anderen wiederum nahmen an, Thiel wollte nicht zuhören.

Als Gesprächspartner wurde er ausgegrenzt, man nahm ihn einfach nicht mehr wahr. So zog er sich immer weiter zurück. „Ich wollte schon gar nicht mehr weggehen, habe mich in meiner Taubheit eingeigelt, mich damit abgefunden.“ Kompliziert wurde es auch im Beruf. Hier hatte er täglich Kundenkontakte, war aufs Hören angewiesen. „Es wurde schwierig, sehr schwierig.“ Ein Alterszeitvertrag, den der Chef anbot, war die Folge der Schwerhörigkeit.

Tipp brachte ihn ans St. Elisabeth-Hospital in Bochum

Dann endlich die Wende zum Guten. Sein HNO-Arzt Dr. Christian Primavesi gab ihm den Tipp, es doch einmal im Bochumer St. Elisabeth-Hospital beim ärztlichen Direktor Prof. Dr. Stefan Dazert zu versuchen. Dort wurde dem Onkel von Primavesi erfolgreich eine Innenohrprothese eingesetzt, ein sogenanntes Cochlea-Implantat, das taube und schwer hörgeschädigte Menschen wieder gut hören lässt.

Die Voruntersuchungen – der Hörnerv darf nicht beschädigt sein – wiesen Thiel als geeigneten Patienten aus. „Kurz vor Ostern vor zwei Jahren lag ich unterm Messer. Die OP ist bestens verlaufen. Drei Tage später war ich zu Hause.“ Vier Wochen danach konnte bereits der Prozessor angepasst werden, den er seitdem wie ein Hörgerät hinter dem linken Ohr trägt. „Es war ein unbeschreiblich schönes Gefühl, als ich im ersten Moment sofort Töne hörte und Einsilber verstand“, erinnert sich Thiel an den großen Moment der Scharfschaltung der Geräte.

In der Reha wurde das Hörverständnis immer besser

Natürlich hörte sich der Klang zunächst etwas synthetisch an und damit ungewohnt. Doch in der folgende Reha wurde das Hörverständnis immer besser und fast normal. „Es war wie ein neues Leben. Ich konnte Dinge intensiv hören, Dinge, die ich lange nicht mehr hörte und die für Gesunde ganz normal sind wie das Ticken der Uhren oder das Ploppen der Schnürsenkel aufs Schuhleder.“

Für Heinz-Josef Thiel ist klar, dass ihn das Cochlea-Implantat aus seiner Ausweglosigkeit zurück in die aktive Gesellschaft geholt, ihm den „Spaß am Leben“ zurück gebracht hat. Er ist dankbar für die Hilfe und engagiert sich im „Cochlear Implant Verband NRW,“ um Betroffene zu unterstützen, ihnen Informationen zu geben. „Interessierte können sich gerne an mich unter der Rufnummer 3 30 22 wenden“, sagt Thiel, der das Scherzen nicht verlernt hat: „Ich höre jetzt auch wieder, wenn meine Frau mich ruft.“

Ein Drittel der Patienten wird auf beiden Ohren versorgt 

Taube können wieder hören – das Thema Cochlea-Implantat (CI) erreicht da fast biblische Dimensionen. Professor Dr. Stefan Dazert, Direktor der HNO-Klinik der Ruhr Universität Bochum (St. Elisabeth-Hospital), mit dem der Gladbecker HNO-Arzt Dr. Christian Primavesi eng zusammenarbeitet, ist mit dem CI-Zentrum Ruhrgebiet an dieser innovativen Erfindung seit langem führend beteiligt.

Hörimplantate sind ein noch junges Feld in der HNO-Medizin?

Dr. Stefan Dazert: Ja, und sie sind ein modernes und sehr interessantes Verfahren, eine große Hoffnung für taube Menschen. Bei einer Cochlea-Implantat-Operation sind die Erfolgsaussichten sehr gut. Ich arbeite bereits seit 20 Jahren mit IC und bin immer wieder begeistert, wie es Menschen in die Gesellschaft kommunikativ integriert. Hier zu helfen und miterleben zu dürfen, wie einstmals taube Menschen wieder hören und ihre Umwelt akustisch wahrnehmen können, ist jedes Mal ein tolles Gefühl.

Wie viele Operationen führen sie im Jahr durch?

Bochum macht im Jahr rund 100 OPs unter meiner Leitung. Behandelt werden sowohl Kleinkinder als auch ältere Menschen. In Prozenten ist die Verteilung etwa 40 Prozent Kinder und 60 Prozent Erwachsene. Dabei sind die jüngsten Kinder etwa acht bis neun Monate alt. Unsere ältesten Patienten waren 80 Jahre plus.

Muss ich Angst vor einer solchen OP haben?

Nein, es ist ein Standardoperationsverfahren, ein komplikationsarmer Eingriff. Grade bei kleinen Kindern hat die Bochumer HNO-Klinik mit der zugehörigen Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie viel Erfahrung. Ein Drittel der Patienten wird auf beiden Ohren versorgt, teilweise in einer Operation.

Wie lange funktioniert das CI?

Das Implantat hält etwa 20 Jahre. Neu zur Verfügung stehende Software kann immer angepasst werden.

Was kostet die Implantat-Versorgung?

Es sind rund 30 000 Euro. Am Anfang haben wir bei der Kostenerstattung noch für jeden Patienten kämpfen müssen. Inzwischen übernehmen die Kassen die Kosten.