Gelsenkirchen. In Gelsenkirchen steuerten Frauen aus unterschiedlichen Berufen probeweise Lkw und Busse. Neue berufliche Perspektiven locken.
Emma, das ist ihr Leben. Wenn Daggi von ihr spricht, kommt sie ins Schwärmen. Ein Traum ging für sie in Erfüllung, die beiden sind eine Einheit. Aber Emma ist nicht etwa die Tochter der 52-Jährigen. Emma ist ein Betonmischer, ihr großer Schatz. Das Schönste sei auf dem Bock zu sitzen und zu fahren. Das sagen alle Frauen, die sich am Dienstag im Gewerbegebiet von Bismarck eingefunden haben, um in den Beruf der Kraftfahrerin hineinzuschnuppern. Eingeladen hatten die Arbeitsagentur Gelsenkirchen und die Jobcenter Gelsenkirchen und Bottrop.
Lkw-Fahrerinnen erklärten mit Leidenschaft ihren Beruf
In Scharen folgten Frauen der Einladung zum Schnuppertag, informierten sich, stiegen selbst auf den Bock und fuhren unter Anleitung die größten Busse, Lkw mit und ohne Anhänger und – waren schlicht überwältigt. „Ich bin völlig beeindruckt“, sagt Aleksandra Pereira, die seit Dienstag auch weiß, dass man von hoch oben aus der Führerkabine rückwärts die Stufen hinuntergehen muss. „Niemals vorwärts. Das ist das Erste, was man in der Fahrschule lernt“, erzählt Dagmar Bielitza, genannt Daggi.
Viele türkische Frauen sind stolz auf ihren Beruf als Kraftfahrerin
Lkw zu fahren, war immer ihr Traum. Die Gene hat sie wohl vom Papa. Der hat auf dem Bau als Polier gearbeitet. „Ich wollte immer einen 40-Tonner fahren. Aber in den 80er Jahren waren solche Berufe für Frauen tabu“, sagt sie. Als sie dann 2019 in einer beruflichen Maßnahme steckte, war die Antwort auf die Frage, was sie denn arbeiten möchte, spontan. „Einen 40-Tonner fahren“.
Die Antwort habe zwar völlige Verblüffung ausgelöst, aber dann ging alles ganz schnell. Innerhalb eines halben Jahres machte sie den Lkw-Führerschein. Vier Monate lang jeden Tag acht Stunden lernen und dann zwei Monate ein Praktikum. Seitdem ist sie, wie so viele andere, in die Welt der Lkw-Fahrer eingetaucht, völlig verliebt in ihren Beruf.
„Wenn ich auf der Autobahn fahre und die Sonne untergeht, dann könnte ich immer weiter fahren. Bis der Tank leer ist. Die Kabine ist mein Zuhause“, schwärmt Daggi, die Ohrringe und Arbeitskleidung trägt und die Fingernägel dunkel lackiert hat mit kleinen Verzierungen darauf.
Von der Altenpflegerin zur Berufskraftfahrerin
Von Männern in ihrem Beruf akzeptiert zu werden, war nur ein Anfangsproblem. Mittlerweile gibt es auch häufig Charmeoffensiven, und man hilft sich gegenseitig, wenn es nötig ist. Aleksandra Pereira, die sich für den Beruf interessiert, ist gelernte Altenpflegerin. Der Patient, den sie zu Hause betreut hat, ist gestorben und in einer Pflegeeinrichtung arbeiten, möchte sie nicht. Noch ist die 44-Jährige „erschlagen von den Eindrücken.“ Aber sie lässt sich von Daggi genau erklären, wie man mit so einem riesigen Lkw umgeht.
Begeistert von ihren Berufen sind alle Frauen. „Da drüben, das ist mein Mädchen“, sagt die Fatma Aksoy (44) und zeigt auf einen gigantischen Lkw mit Anhänger. Die Türkin kam vor 20 Jahren nach Deutschland und lernte Deutsch durch unterschiedliche Jobs. „Es war schon mein Kindheitstraum, Lkw zu fahren. Ihr Vater fuhr Bus und Lkw, und als ihre Kinder alt genug waren und sie Zeit hatte, ging ihr Traum in Erfüllung.
Die Skepsis von Bekannten ist meistens eher Bewunderung
Vor dreieinhalb Jahren fand sie einen Bildungsträger, der sie unterstützt hat. Genauso wie ihr Mann, den sie bei ihrer Entscheidung an ihrer Seite hatte. Kritik, die ihr von Bekannten entgegenschlug, ordnet sie als Bewunderung ein. „Und arbeitslos werde ich in meinem Beruf nie“, sagt sie stolz. Im Übrigen arbeitet sie im Nebenjob noch als DJ. Außergewöhnlich, diese Frau. So wie viele andere Kraftfahrerinnen auch.
Alexandra Nagel ist ebenfalls unter den Berufskraftfahrerinnen zu finden. Spätestens ab Mittwoch. „Da mach ich meinen Busführerschein“, freut sie sich. Und dann steuert sie einen Bus im Nahverkehr. Zumindest, solange die Kinder klein sind. Später will sie mit ihrem Mann, der den gleichen Beruf hat, für Tourismusreisen arbeiten und auf diese Weise die Welt sehen.
Auch Gabriele Hegerath, bis zur Coronakrise Bodenstewardess, guckt sich an diesem Tag nach einer neuen beruflichen Perspektive um. Mit einem „tollen Fahrlehrer“ an ihrer Seite steuert sie den riesigen Lkw mit Anhänger übers Gelände und schafft die Kurven zwischen den hohen Gebäuden ganz locker. Ein beeindruckender Schnuppertag für viele Frauen in der Männerdomäne.